Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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eine kompakte Häusermasse sich erhob und die Bürger laut und fröhlich den Geschäften des Tages nachgingen, sah man auf dem diesseitigen Ufer nur große Prachtbauten, an welche sich kleinere Häuser und Hütten drängten, wie Kinder, die sich an die schützende Mutter schmiegen. Unvermittelt lagen diese Gebäudegruppen neben einander.

      Wer den Berg bestieg und schaute zu ihnen hernieder, der empfing den Eindruck, als läge unter ihm eine große Zahl von engbenachbarten Dörfern mit stattlichen Herrenhäusern; wer von der Ebene aus zu dem östlichen Abhange der westlichen Berge hinaufschaute, der entdeckte hier Hunderte von verschlossenen, bald einzeln, bald in Reihen nebeneinander liegenden Thoren, von denen viele am Fuße der Hügel, noch zahlreichere in ihrer Mitte, aber auch einige in beträchtlicher Höhe gelegen waren.

      Und wie wenig gleich sah das gemessene, fast feierliche Leben auf den Straßen hier, dem muntern und wirren Getreibe dort! Drüben, auf dem rechten Stromesufer war Alles in heftiger Bewegung bei der Arbeit und Erholung, in Lust und Schmerz, bei der That und Rede; hier auf dem linken wurde wenig gesprochen, schien ein Zauber die Schritte der Wanderer zu hemmen, eine blasse Hand den frohen Blick jeden Auges zu trüben und das Lächeln von jedem Munde zu bannen.

      Und doch landete hier manche glänzend geschmückte Barke, fehlte es nicht an singenden Chören, zogen große Festzüge dem Westberge entgegen. Aber die Nilschiffe trugen Todte, die hier ertönenden Lieder waren Klagegesänge und die Festzüge bestanden aus den dem Sarkophage folgenden Leidtragenden.

      Wir befinden uns auf dem Boden der Todtenstadt von Theben.

      Immerhin fehlte es auch in dieser keineswegs an Verkehr und Leben, denn dem Aegypter starben seine Todten nicht. Er drückte ihnen die Augen zu, er führte sie in die Nekropole, in das Haus des Balsamirers oder Kolchyten und in die Gruft; aber er wußte, daß die Seele des Verstorbenen fortleben, daß sie gerechtfertigt als Osiris in der Sonnenbarke den Himmel befahren und in jeder Gestalt, die sie anzunehmen wünsche, auf Erden erscheinen und in den Lauf des Daseins der Hinterbliebenen eingreifen dürfe. Darum sorgte er für eine würdige Bestattung seiner Todten, vor Allem aber für eine dauerhafte Balsamirung der Leiche und für zu bestimmten Zeiten zu erneuernde Todtenopfer an Fleisch und Geflügel, Getränken und wohlriechenden Essenzen, Gemüsen und Blumen.

      Weder bei der Bestattung, noch bei den Darbringungen durften die Diener der Gottheit fehlen und die stille Todtenstadt galt für die günstigste Stätte, für die Anlage von Schulen und Gelehrtenwohnungen.

      So kam es, daß in den Tempeln, auf dem Boden der Nekropolis große Priestergenossenschaften beisammen wohnten und in der Nähe der ausgedehnten Balsamirungshäuser zahlreiche Kolchyten, deren Geschäft sich vom Vater auf den Sohn vererbte, ihre Häuser hatten.

      Außerdem fehlte es nicht an Fabriken und Verkaufsstätten. In diesen wurden Sarkophage von Stein und Holz, Leinwandbinden zur Umwicklung der Mumien und Amulete für die Ausstattung der letzteren verfertigt, in jenen hielten Kaufleute Spezereien und Essenzen, Blumen, Früchte, Gemüse und Backwerk feil. Rinder, Gazellen, Ziegen, Gänse und anderes Geflügel wurden auf eingehegten Weideplätzen gefüttert und die Leidtragenden begaben sich hierher, um sich unter den von den Priestern für rein erklärten Exemplaren die Opferthiere, deren sie bedurften, auszusuchen und mit dem heiligen Siegel versehen zu lassen. Viele kauften bei den Schlachtbänken nur einzelne Fleischstücke. – Die Armen blieben dieser Stätte fern. Sie erstanden nur buntes Gebäck in Thiergestalt, das die theuren Rinder und Gänse, die ihnen zu erwerben ihre Mittel untersagten, symbolisch zu vertreten hatte. In den stattlichsten Läden saßen priesterliche Diener, welche Bestellungen auf Papyrusrollen annahmen, die man in den Schreibstuben der Tempel mit jenen heiligen Texten versah, welche die Seele der Verstorbenen zu wissen und zu sagen hatte, um die Genien der Tiefe abzuwehren, die Thore der Unterwelt zu öffnen und vor Osiris und den zweiundvierzig Beisitzern des unterirdischen Gerichtshofs gerecht befunden zu werden.

      Was in den Tempeln vor sich ging, entzog sich den Blicken, denn ein jeder ward von einer hohen Umfassungsmauer umgeben, deren sorgfältig verschlossene, stattliche Hauptthore sich nur öffneten, wenn in der Morgenfrühe und am Abend ein Priesterchor in's Freie trat, um dem als Horus aufsteigenden und als Tum niedergehenden Gotte fromme Hymnen zu singen 1.

      Sobald das Abendlied der Priester verklang, leerte sich die Nekropole, denn alle Leidtragenden und Besucher der Grüfte waren gehalten, nunmehr die Boote zu besteigen und die Todtenstadt zu verlassen. Große Menschenmengen, die in feierlichen Aufzügen das Westufer von Theben betreten hatten, eilten ohne Ordnung an den Fluß, von den Wachtmannschaften getrieben, welche abtheilungsweise den Dienst versahen und die Grüfte vor Räubern zu behüten hatten. Die Verkäufer schlossen ihre Buden, die Kolchyten und Arbeiter beendeten ihr Tagewerk und begaben sich in ihre Häuser, die Priester gingen in die Tempel zurück und die Herbergen füllten sich mit Gästen, welche aus der Ferne hieher gepilgert waren und lieber in der Nähe des Verstorbenen, dem ihr Besuch gegolten hatte, als in der geräuschvollen Stadt am jenseitigen Stromesufer zu übernachten wünschten.

      Die Stimmen der Sänger und Klageweiber waren verstummt, selbst der Gesang der Matrosen auf den zahlreichen dem Ostufer von Theben zuströmenden Booten verhallte nach und nach, der Abendwind trug nur noch vereinzelte Töne herüber und endlich schwieg Alles.

      Ein wolkenloser Himmel breitete sich über die schweigende Todtenstadt, nur zuweilen verfinstert von leichten Schatten, den in ihre Grüfte und Felsenspalten heimkehrenden Fledermäusen, die allabendlich zum Nil fliegen, um dort Mücken zu jagen, zu trinken und sich so zu ihrem lichtscheuen Tagesschlafe zu stärken. Dann und wann glitten schwarze Gestalten mit langen Schatten über den hellen Boden hin, die Schakale, welche zu dieser Stunde ihren Durst am Stromesufer zu löschen pflegten und sich oft schaarenweis und mit geringer Scheu in der Nähe der Gänsehürden und Ziegenställe zeigten.

      Es war verboten, diese nächtlichen Räuber zu jagen, denn sie galten als heilige Thiere des Gottes Anubis, des Wächters der Gräber 2. und zeigten sich wenig gefährlich, denn sie fanden reichliche Nahrung in den Gräbern.

      Die auf den Opferaltären niedergelegten Fleischstücke wurden von ihnen verzehrt; zur Genugthuung der Spendenden, welche, wenn sich das dargebrachte Fleisch am folgenden Tage nicht mehr vorfand, glaubten, es sei von den Unterirdischen für gut befunden und angenommen worden. Auch zeigten sie sich als zuverlässige Wächter, denn sie wurden zu gefährlichen Feinden eines jeden Unberufenen, der unter dem Schutze des Dunkels der Nacht in eine Gruft zu dringen versuchte.

      Auch an demjenigen Sommerabende des Jahres 1352, an dem wir den Leser ersuchen, die Todtenstadt von Theben mit uns zu betreten, wurde es, nachdem der priesterliche Abendhymnus verklungen war, still in der Nekropole.

      Schon wollten die wachthabenden Soldaten von ihrem ersten Untersuchungsgange heimkehren, als plötzlich ein Hund im Norden der Todtenstadt laut anschlug. Bald folgte ein zweiter, dritter und vierter. Der Wachthauptmann rief seinen Leuten ein »Halt« zu und befahl ihnen, als sich das Gebell weiter und weiter verbreitete und mit jeder Minute an Heftigkeit zunahm, gen Mitternacht zu marschiren.

      Die kleine Schaar hatte den hohen Damm erreicht, welcher das Westufer eines vom Nil abgezweigten Kanals begrenzte, und übersah von hier aus das Fruchtland bis zum Flusse und dem Norden der Nekropole. Noch einmal ward »Halt« kommandirt und als die Soldaten in derjenigen Richtung, in welcher die Hunde am heftigsten bellten, den Schein von Fackeln wahrnahmen, eilten sie vorwärts und erreichten bei den Pylonen Pylonen 3 des von Seti I., dem verstorbenen Vater des regierenden Königs, Ramses II., erbauten Tempels die Ruhestörer.

      Der Mond war aufgegangen und goß sein blasses Licht über das stattliche Bauwerk, dessen Außenmauern von den mit dunklem Rauch überwehten Flammen der Fackeln in den Händen von schwarzen Dienern röthlich strahlten.

      Ein untersetzter Mann in überladen reicher Kleidung pochte mit dem metallenen Griffe einer Geißel so heftig an das mit Erz bekleidete Tempelthor, daß die Schläge weithin durch die Nacht schallten. In seiner Nähe hielt eine Sänfte und ein mit edlen Rossen bespannter Wagen. In jener saß ein junges Weib und in diesem stand neben ihrem Rosselenker die hohe Gestalt einer vornehmen Frau. Mehrere den bevorzugten Ständen angehörende Männer und viele Diener umgaben das Fuhrwerk und die Sänfte. Nur wenige Worte wurden gewechselt.


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