Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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Vermuthungen geäußert. Eine Botschaft des Königs sollte angelangt, die Prinzessin Bent-Anat von Kolchyten überfallen worden sein, und ein Schalk unter den ausgebrochenen Knaben erzählte, der Wegeführer des Königs, Paaker, sei gewaltsam in den Tempel gebracht worden, um hier besser schreiben zu lernen. Da der also Verspottete ein früherer Zögling des Setihauses war und noch manche ergötzliche Kunde von seinen stylistischen Verbrechen im Munde der späteren Knabengenerationen fortlebte, so erntete diese Nachricht fröhlichen Beifall und schien, so widersinnig sie war, denn Paaker bekleidete einen der höchsten Posten im Felddienste des Königs, einen Schimmer von Wahrscheinlichkeit zu gewinnen, als ein ernster junger Priester versicherte, den Wegeführer im ersten Vorhofe des Tempels gesehen zu haben.

      Das lebhafte Hin und Her, das Lachen und Jauchzen der Knaben in so ungewöhnlicher Stunde blieb auch von dem Oberpriester nicht unbemerkt.

      Dieser ungewöhnliche, einem alten und edlen Hause entstammende Prälat, Ameni, der Sohn des Nebket, war weit mehr als der unbeschränkte Leiter der Tempelgenossenschaft, der er mit Kraft und Weisheit vorstand, denn die Priesterkollegien des ganzen Landes erkannten seine Ueberlegenheit an, verlangten in schwierigen Fällen seinen Rath und widersprachen nicht den von dem Setihause, das heißt von Ameni ausgehenden Anordnungen in geistlichen Dingen. Man sah in ihm die Verkörperung der priesterlichen Idee, und wenn er zu Zeiten an die einzelnen Kollegien schwierige, ja befremdliche Anforderungen stellte, so fügte man sich ihnen, weil die Erfahrung gelehrt hatte, daß auch die verschlungenen Wege, die er zu wandeln gebot, immer nur dem einen Ziele zustrebten, die Macht und das Ansehen der Hierarchie zu erhöhen. Auch der König schätzte diesen seltenen Mann und hatte längst versucht, ihn als Siegelbewahrer an den Hof zu ziehen. Ameni aber war nicht zu bewegen gewesen, seine scheinbar bescheidene Stellung aufzugeben, denn er verachtete äußeren Glanz und prunkende Titel, wagte es zu Zeiten den Maßregeln des »Großhauses« »Großhaus«, 8 entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen und war nicht gewillt, die unbedingte Leitung der Geister für die bedingte Herrschaft über ihm kleinlich erscheinende äußere Angelegenheiten im Dienste des nur zu selbständigen, schwer zu beeinflussenden Pharao aufzugeben.

      Regelmäßig in seinen Lebensgewohnheiten ordnete er sein Dasein in ungewöhnlicher Weise.

      Acht von je zehn Tagen verblieb er in dem ihm anvertrauten Tempel, zwei von ihnen widmete er seiner am jenseitigen Nilufer wohnenden Familie; aber er ließ Niemand, selbst nicht die Seinigen, wissen, welchen Abschnitt der erwähnten zehn Tage er seiner Erholung zu weihen gedenke. Er bedurfte nur vier Stunden Schlaf. Diese genoß er gewöhnlich in einem von keinem Geräusch zu erreichenden, tief zu verdunkelnden Gemach um die Mittagszeit, niemals in der Nacht, deren Kühlung und Ruhe seiner Arbeitskraft förderlich schien und in der er sich zu Zeiten dem Studium des gestirnten Himmels hingeben konnte.

      Allen Ceremonien, die sein Stand von ihm forderte: den Waschungen, Reinigungen, Scheerungen und Fasten unterzog er sich mit peinlicher Strenge und sein äußeres entsprach seinem inneren Wesen.

      Ameni stand im Anfang der fünfziger Jahre, seine Gestalt war hoch und entbehrte gänzlich jener Fülle, der die Orientalen in diesem Alter anheimzufallen pflegen. Die Form seines glatt rasirten Schädels war ebenmäßig und bildete ein längliches Oval. Seine Stirn war weder breit noch hoch, aber sein Profil von seltener Feinheit. Auffallend waren die schmalen, trockenen Lippen seines Mundes und die gewaltigen Augen, die unter dichten Augenbrauen weder feurig noch prächtig glänzten, sondern gewöhnlich zu Boden schauten, aber groß, klar und leidenschaftslos sich langsam erhoben, wenn es zu sehen und zu prüfen galt.

      Der junge Pentaur, der Dichter des Setihauses, der diese Augen kannte, hatte sie besungen und von ihnen gesagt, sie glichen den gut geführten Heeren, die der Feldherr vor und nach dem Kampfe ruhen lasse, damit sie mit voller Kraft siegesgewiß in die Schlacht treten könnten.

      Die vornehme Gemessenheit seines Wesens war ebenso königlich als priesterlich, denn theils war sie ihm ureigen und angeboren, theils eine Folge der geistigen Beherrschung seiner selbst. An Feinden fehlte es ihm nicht, aber die Verleumdung wagte sich selten an Ameni's überlegene Natur.

      Jetzt blickte der Oberpriester erstaunt über die ihn störende Unruhe in den Höfen des Heiligthums von seiner Arbeit auf.

      Das Gemach, in dem er sich befand, war sehr geräumig und kühl. Der untere Theil der Wände war mit Fayencekacheln belegt, der obere mit Stuck beworfen und bemalt. Aber man sah wenig von den bunten Meisterwerken der Künstler des Institutes, denn fast überall wurden sie von hölzernen Repositorien bedeckt, in denen Schriftrollen und Wachstafeln lagen. Ein großer Tisch, ein mit Pantherfell bezogenes hohes Sopha, vor dem eine Fußbank und auf welcher eine halbmondförmige Kopfstütze 9 von Elfenbein stand, mehrere Stühle, ein Gestell mit Becken und Kannen und ein anderes mit Flaschen in jeder Größe, Schalen und Büchsen bildeten die Ausstattung des Saales, der von drei mit Kikiöl gefüllten Lampen in Vogelgestalt erleuchtet wurde.

      Ameni trug einen fein gefältelten Rock von schneeweißer Leinwand, der ihm bis an die Knöchel reichte. Um seine Hüften schlang sich eine mit Fransen verzierte Schärpe, welche vorn zusammengeschürzt war und deren breite, stark gesteifte Enden bis auf seine Kniee reichten.. Ein breites Tragband von weißem Silberbrokat hielt den Faltenrock. Von dem Halse des Priesters hing bis tief auf seine nackte Brust herab ein aus Perlen und Steinen zusammengesetztes, mehr als eine Spanne breites Halsband und an seinen Oberarmen glänzten große goldene Armbänder. Er erhob sich von dem löwenfüßigen Ebenholzstuhle, auf dem er saß, und winkte einem der an einer Wand seines Wohngemaches kauernden Diener. Dieser verstand auch ohne Worte das Verlangen seines Herrn, setzte behutsam und schweigend eine lange und dichte Lockenperrücke 10 auf den kahlen Schädel desselben und hängte ein Pantherfell, dessen Kopf und Krallen mit Goldblech überzogen waren, um seine Schultern. Ein zweiter Diener hielt Ameni einen Metallspiegel hin, in welchen er, das Fell und den Hauptschmuck zurechtrückend, einen aufmerksamen Blick warf.

      Eben wollte ein dritter Sklave dem Prälaten den Krummstab, das Zeichen seiner hohen Würde, überreichen, als ein Priester eintrat und den Schreiber Pentaur meldete.

      Ameni winkte und derselbe junge Geistliche, mit welchem die Prinzessin Bent-Anat an dem Thore des Tempels verhandelt hatte, betrat das Gemach.

      Pentaur küßte knieend die Hand des Prälaten, der, indem er ihn segnete, mit wohlklingender Stimme und in so dialektloser und gut stylisirter Sprache, als läse er ein Buch vor, sagte: »Steh' auf, mein Sohn. Dein Erscheinen wird mir einen Gang in dieser unfrühen Stunde ersparen, wenn Du mir mittheilen kannst, was die Schüler in unserem Tempel beunruhigt. Rede!«

      »Es ist wenig Bemerkenswertes vorgefallen, heiliger Vater,« gab Pentaur zurück, »ja ich würde Dich jetzt kaum gestört haben, wenn sich nicht unter den Schülern ein ganz unbegründeter Lärm erhoben hätte und die Prinzessin Bent-Anat nicht in eigener Person erschienen wäre, um uns um einen Arzt zu bitten. Die ungewöhnliche Stunde und das Gefolge, mit dem sie erschien . . .«

      »Ist die Tochter des Pharao erkrankt?« fragte der Prälat.

      »Nein, mein Vater. Sie ist wohl bis zum Uebermuthe, denn als sie die Schnelligkeit ihrer Rosse prüfen wollte, überfuhr sie die Tochter des Paraschiten Pinem. Edelherzig wie sie ist, brachte sie das schwerbeschädigte Mädchen in eigener Person nach Hause.«

      »Sie betrat die Hütte des Unreinen?«

      »Du sagst es.«

      »Und sie bittet nun, daß wir sie reinigen?«

      »Ich glaubte sie freisprechen zu dürfen, Vater, denn die reinste Menschenliebe bewog sie zu einer Handlung, die freilich gegen die Sitte verstößt, aber . . .«

      » Aber?« fragte der Prälat mit ernster Stimme und seine Augen, welche bis dahin gesenkt geblieben waren, begannen sich zu erheben.

      »Aber,« fuhr der junge Priester, seinerseits den Blick senkend, fort, »aber doch kein Verbrechen sein kann. Wenn Ra in seiner goldenen Barke den Himmel befährt, dann bescheint sein Licht nicht früher und nicht reicher den Palast des Pharao als die Hütte des Geächteten, und sollte denn das schwache Menschenherz sein holdes Licht, die Gnade, dem Niedrigen vorenthalten, weil er elend ist?«

      »Ich


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