Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Nilufer im eigentlichen Theben, und zwar mit ihren Familien in ihren eigenen Häusern; aber jeder von ihnen gehörte zu einem Priesterkollegium.
Wer eines Arztes bedurfte, sandte nicht in das Haus eines solchen, sondern in einen Tempel. Hier mußte angegeben werden, woran der Hülfesuchende erkrankt sei, und es blieb dem Vorsteher der Aerzte des Heiligthums überlassen, denjenigen Heilkünstler auszusuchen, dessen Spezialkenntnisse ihn für die Behandlung des vorliegenden Falles besonders geeignet erscheinen ließen.
Wie alle Priester, so lebten auch die Aerzte von den Einkünften, welche ihnen durch ihren Besitz an Grund und Boden, die Geschenke des Königs, die Steuern der Laienschaft und die ihnen aus dem Staatssäckel zufließenden Revenüen zukamen; von den Patienten, welche sie behandelten, hatten sie keine Honorare zu erwarten; doch versäumten die Geheilten es selten, dasjenige Heiligthum, welches ihnen einen Arzt gestellt hatte, zu beschenken, und es war nichts Seltenes, daß die priesterlichen Heilkünstler die Genesung der Leidenden geradezu von gewissen, ihrem Tempel darzubringenden Gaben abhängig machten.
Die Kenntnisse der ägyptischen Mediziner waren nach jeder Richtung hin bedeutend; aber es ist natürlich, daß die Aerzte, da sie als »verordnete Diener der Gottheit« an das Krankenbett traten, sich keineswegs mit der rationellen Behandlung der Leidenden begnügten, sondern vielmehr der mystischen Wirkung von Gebeten und Beschwörungen nicht entbehren zu können meinten.
Unter den ärztlichen Lehrern im Setihause befanden sich Männer von sehr verschiedener Begabung und Geistesrichtung; aber Pentaur war keinen Augenblick in Zweifel, wem von ihnen er die Behandlung des überfahrenen Paraschitenkindes, dem er seine Theilnahme zugewandt hatte, anvertrauen sollte.
Der Erwählte war der Enkel eines berühmten längst verstorbenen Arztes, dessen Name Nebsecht auf ihn übergegangen war, und einer der liebsten Schulfreunde und Altersgenossen des Pentaur.
Mit hoher, ihm angeerbter Begabung, Eifer und Neigung war dieser Jüngling von früh an seiner Wissenschaft ergeben gewesen, hatte sich in Heliopolis die Chirurgie 12 zu seiner Spezialität erwählt und würde dort gewiß als Lehrer zurückgehalten worden sein, wenn ihm nicht ein Fehler an seinem Sprachorgan das Reden erschwert und die laute Rezitation von Formeln und Gebeten verboten haben würde.
Dieser von seinen Eltern und Lehrern tief beklagte Umstand sollte für ihn selbst im besten Sinne förderlich werden; wie es denn so oft geschieht, daß uns aus scheinbaren Vorzügen Schaden und aus scheinbaren Mängeln das Heil unseres Lebens erwächst.
Während nämlich die Genossen Nebsecht's in Gesängen und Deklamationen geübt wurden, konnte er, Dank seiner schweren Zunge, seiner ihm angeerbten fast leidenschaftlichen Neigung, das organische Leben in der Natur zu beobachten, nachgehen und seine Lehrer begünstigten bis zu einem gewissen Grade den ihm innewohnenden Forschungstrieb und zogen aus seiner Kenntniß des thierischen und menschlichen Körpers und der Geschicklichkeit seiner Hände Nutzen.
Seine tiefe Abneigung gegen den magischen Theil seiner Wissenschaft würde ihm strenge Strafen, ja vielleicht die Ausstoßung aus seiner Zunft zugezogen haben, wenn sie in irgend einer Form zum Ausdruck gekommen wäre; Nebsecht war jedoch eine still in sich selbst zurückgezogene Gelehrtennatur, die, frei von dem Verlangen nach äußerer Anerkennung, in der Süßigkeit der Forschung reiches Genügen fand und jede an ihn herantretende Aufforderung, seine Fähigkeiten öffentlich zu bewähren, als einen unvermeidlichen, aber widerwärtigen Eingriff in sein anspruchsloses, aber erfolg- und arbeitsreiches Streben unwillig hinnahm.
Diesem Nebsecht war Pentaur näher getreten, als irgend ein anderer unter seinen Mitschülern.
Er bewunderte seine Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit, und wenn der schwächlich gebaute, aber auf seinen Wanderungen unermüdliche Arzt die Dickichte am Nilufer, die Wüste und das Gebirge durchstreifte, um Pflanzen oder Thiere zu suchen, dann begleitete ihn der junge priesterliche Dichter mit Freude und reichem Gewinn, denn sein Gefährte sah tausend Dinge, die, ohne ihn, seinem Auge für immer verborgen geblieben wären, und andere, ihm nur der Form nach bekannte Gegenstände gewannen für ihn Inhalt und Bedeutung durch die Erklärungen des Naturforschers, dessen ungelenke Zunge sich zwanglos regte, wenn es galt, dem Freunde die von ihm zuerst wahrgenommenen Eigentümlichkeiten der organischen Wesen, deren Entwicklungsgang er beobachtet hatte, darzulegen.
Der Dichter war dem Gelehrten hold und Nebsecht liebte Pentaur, der Alles besaß, was ihm selber abging: männliche Schönheit, kindliche Heiterkeit, freimüthige Offenheit, künstlerischen Schwung und die Gabe, in Wort und Lied Jedwedes zum Ausdruck zu bringen, was sein Herz bewegte.
Der Dichter war ein Laie auf den Gebieten, die er selbst beherrschte, aber wohl befähigt, auch das Schwierigste zu begreifen. So kam es, daß Nebsecht seinem Urtheil größeres Gewicht beilegte, als dem seiner eigenen Fachgenossen, die überall da, wo Pentaur frei und unbeeinflußt entschied, sich von vorgefaßten Meinungen befangen zeigten.
Das Zimmer des Naturforschers lag zu ebener Erde, abgesondert von allen übrigen Wohnräumen, unter einem der zum Setihause gehörenden Kornspeicher. Es hatte die Größe eines Saales und dennoch fand der auf seinen stillen Bewohner zuschreitende Pentaur seinen Weg fast überall verlegt von großen Bündeln der verschiedenartigsten Pflanzen, von zu vieren und fünfen über einander gestellten Käfigen aus Palmenstäben und einer Menge von größeren und kleineren, mit durchlöchertem Papier überbundenen Töpfen. In diesen Behältnissen bewegten sich allerlei lebendige Thiere, vom Springhasen, der großen Nileidechse und einer hellfarbigen Eulenart an bis zu den in vielen Exemplaren vertretenen Fröschen, Schlangen, Skorpionen und Käfern.
Auf dem einzigen, in der Mitte dieses Raumes stehenden Tische lagen neben einem Schreibzeuge Thierknochen, sowie scharfe Feuerstein- und Bronzemesser von verschiedener Größe.
In einer Ecke dieses Raumes lag eine Matte, auf der eine hölzerne Kopfstütze 13 stand, welche andeutete, daß der Naturforscher auf ihr zu schlafen pflege.
Als Pentaur's Schritte sich an der Schwelle dieses seltsamen Raumes vernehmen ließen, schob sein Bewohner so ängstlich wie ein Schüler, der ein verbotenes Spielzeug vor seinem Lehrer zu verbergen wünscht, einen umfangreichen Gegenstand unter den Tisch, warf eine Decke über ihn und verbarg den scharfen, an einen hölzernen Griff befestigten Feuersteinsplitter, 14 den er eben noch benutzt hatte, in die Falten seines Gewandes. Dann kreuzte er die Arme, um sich das Ansehen eines Mannes zu geben, der in harmlosem Nichtsthun vor sich hinträumt.
Die einzige an einem hohen Ständer befestigte Lampe neben seinem Stuhle verbreitete spärliches Licht, welches aber dennoch genügte, um dem mit allen Gewohnheiten seines Freundes vertrauten Pentaur zu zeigen, daß er Nebsecht in einer verbotenen Arbeit gestört habe. Der Letztere nickte dem Eintretenden, nachdem er ihn erkannt hatte, zu und sagte:
»Du hättest mich nicht zu erschrecken brauchen!« Dann griff er unter den Tisch und holte den verborgenen Gegenstand, ein an ein Brett gebundenes lebendes Kaninchen, in dessen aufgeschnittenem und mit Holzstäbchen auseinandergehaltenem Leibe sich das Herz bewegte, hervor und fuhr, ohne den Andern weiter zu berücksichtigen, in seinen unterbrochenen Beobachtungen fort.
Eine Zeitlang sah Pentaur dem Forscher schweigend zu; dann legte er ihm die Hand auf die Schulter und sagte:
»Schließe künftig Dein Gemach, wenn Du verbotene Dinge treibst.«
»Sie haben – haben mir,« stotterte der Gelehrte, »den Riegel von der Thür genommen, seitdem sie mich neulich bei der Zerlegung der Hand des Fälschers Ptahmes ertappten.«
»Der Mumie des armen Menschen wird ja nun auch seine Rechte fehlen,« erwiederte der Dichter.
»Wird sie nicht brauchen im Jenseits.«
»Hast Du ihm wenigstens Schebtifiguren 15 mit in's Grab gegeben?«
»Unsinn!«
»Du gehst zu weit, Nebsecht, und bist unvorsichtig! Wer ein unschädliches Thier zu keinerlei Nutzen martert, dem sollen die Geister der Unterwelt das Gleiche thun, lehrt das Gesetz. Aber ich sehe Dir an, was Du sagen willst. Du hältst es für erlaubt, einem Thiere Schmerzen zu bereiten, wenn Du damit Dein Wissen, mit dessen Hülfe Du