Dichtung und Wahrheit. Johann Wolfgang von Goethe
Читать онлайн книгу.hatte wirklich etwas Fürchterliches, eine Strafe an einem leblosen Wesen ausgeübt zu sehen. Die Ballen platzten im Feuer und wurden durch Ofengabeln aus einander geschürt und mit den Flammen mehr in Berührung gebracht. Es dauerte nicht lange, so flogen die angebrannten Blätter in der Luft herum, und die Menge haschte begierig danach. Auch ruhten wir nicht, bis wir ein Exemplar auftrieben, und es waren nicht wenige, die sich das verbotne Vergnügen gleichfalls zu verschaffen wussten. Ja, wenn es dem Autor um Publizität zu tun war, so hätte er selbst nicht besser dafür sorgen können.
Jedoch auch friedlichere Anlässe führten mich in der Stadt hin und wider. Mein Vater hatte mich früh gewöhnt, kleine Geschäfte für ihn zu besorgen. Besonders trug er mir auf, die Handwerker, die er in Arbeit setzte, zu mahnen, da sie ihn gewöhnlich länger als billig aufhielten, weil er alles genau wollte gearbeitet haben und zuletzt bei prompter Bezahlung die Preise zu mäßigen pflegte. Ich gelangte dadurch fast in alle Werkstätten, und da es mir angeboren war, mich in die Zustände anderer zu finden, eine jede besondere Art des menschlichen Daseins zu fühlen und mit Gefallen daran teilzunehmen, so brachte ich manche vergnügliche Stunde durch Anlass solcher Aufträge zu, lernte eines jeden Verfahrungsart kennen, und was die unerlässlichen Bedingungen dieser und jener Lebensweise für Freude, für Leid, Beschwerliches und Günstiges mit sich führen. Ich näherte mich dadurch dieser tätigen, das Untere und Obere verbindenden Klasse. Denn wenn an der einen Seite diejenigen stehen, die sich mit den einfachen und rohen Erzeugnissen beschäftigen, an der anderen solche, die schon etwas Verarbeitetes genießen wollen, so vermittelt der Gewerker durch Sinn und Hand, dass jene beide etwas voneinander empfangen und jeder nach seiner Art seiner Wünsche teilhaft werden kann. Das Familienwesen eines jeden Handwerks, das Gestalt und Farbe von der Beschäftigung erhielt, war gleichfalls der Gegenstand meiner stillen Aufmerksamkeit, und so entwickelte, so bestärkte sich in mir das Gefühl der Gleichheit, wo nicht aller Menschen, doch aller menschlichen Zustände, indem mir das nackte Dasein als die Hauptbedingung, das übrige alles aber als gleichgültig und zufällig erschien.
Da mein Vater sich nicht leicht eine Ausgabe erlaubte, die durch einen augenblicklichen Genuss sogleich wäre aufgezehrt worden – wie ich mich denn kaum erinnre, dass wir zusammen spazieren gefahren, und auf einem Lustorte etwas verzehrt hätten – so war er dagegen nicht karg mit Anschaffung solcher Dinge, die bei innerm Wert auch einen guten äußern Schein haben. Niemand konnte den Frieden mehr wünschen als er, ob er gleich in der letzten Zeit vom Kriege nicht die mindeste Beschwerlichkeit empfand. In diesen Gesinnungen hatte er meiner Mutter eine goldne mit Diamanten besetzte Dose versprochen, welche sie erhalten sollte, sobald der Friede publiziert würde. In Hoffnung dieses glücklichen Ereignisses arbeitete man schon einige Jahre an diesem Geschenk. Die Dose selbst von ziemlicher Größe ward in Hanau verfertigt: denn mit den dortigen Goldarbeitern, so wie mit den Vorstehern der Seidenanstalt, stand mein Vater in gutem Vernehmen. Mehrere Zeichnungen wurden dazu verfertigt; den Deckel zierte ein Blumenkorb, über welchem eine Taube mit dem Ölzweig schwebte. Der Raum für die Juwelen war gelassen, die teils an der Taube, teils an den Blumen, teils auch an der Stelle, wo man die Dose zu öffnen pflegt, angebracht werden sollten. Der Juwelier, dem die völlige Ausführung nebst den dazu nötigen Steinen übergeben ward, hieß Lautensack und war ein geschickter, muntrer Mann, der, wie mehrere geistreiche Künstler, selten das Notwendige, gewöhnlich aber das Willkürliche tat, was ihm Vergnügen machte. Die Juwelen, in der Figur, wie sie auf dem Dosendeckel angebracht werden sollten, waren zwar bald auf schwarzes Wachs gesetzt und nahmen sich ganz gut aus; allein sie wollten sich von da gar nicht ablösen, um aufs Gold zu gelangen. Im Anfange ließ mein Vater die Sache noch so anstehen; als aber die Hoffnung zum Frieden immer lebhafter wurde, als man zuletzt schon die Bedingungen, besonders die Erhebung des Erzherzogs Joseph zum Römischen König, genauer wissen wollte, so ward mein Vater immer ungeduldiger, und ich musste wöchentlich ein paarmal, ja zuletzt fast täglich den saumseligen Künstler besuchen. Durch mein unablässiges Quälen und Zureden rückte die Arbeit, wiewohl langsam genug, vorwärts: denn weil sie von der Art war, dass man sie bald vornehmen, bald wieder aus den Händen legen konnte, so fand sich immer etwas, wodurch sie verdrängt und beiseite geschoben wurde.
Die Hauptursache dieses Benehmens indes war eine Arbeit, die der Künstler für eigene Rechnung unternommen hatte. Jedermann wusste, dass Kaiser Franz eine große Neigung zu Juwelen, besonders auch zu farbigen Steinen hege. Lautensack hatte eine ansehnliche Summe (und, wie sich später fand, größer als sein Vermögen) auf dergleichen Edelsteine verwandt und daraus einen Blumenstrauß zu bilden angefangen, in welchem jeder Stein nach seiner Form und Farbe günstig hervortreten und das Ganze ein Kunststück geben sollte, wert, in dem Schatzgewölbe eines Kaisers aufbewahrt zu stehen. Er hatte nach seiner zerstreuten Art mehrere Jahre daran gearbeitet und eilte nun, weil man nach dem bald zu hoffenden Frieden die Ankunft des Kaisers zur Krönung seines Sohns in Frankfurt erwartete, es vollständig zu machen und endlich zusammenzubringen. Meine Lust, dergleichen Gegenstände kennen zu lernen, benutzte er sehr gewandt, um mich als einen Mahnboten zu zerstreuen und von meinem Vorsatz abzulenken. Er suchte mir die Kenntnis dieser Steine beizubringen, machte mich auf ihre Eigenschaften, ihren Wert aufmerksam, sodass ich sein ganzes Bouquet zuletzt auswendig wusste und es eben so gut wie er einem Kunden hätte anpreisend vordemonstrieren können. Es ist mir noch jetzt gegenwärtig, und ich habe wohl kostbarere, aber nicht anmutigere Schau- und Prachtstücke dieser Art gesehen. Außerdem besaß er noch eine hübsche Kupfersammlung und andere Kunstwerke, über die er sich gern unterhielt, und ich brachte viele Stunden nicht ohne Nutzen bei ihm zu. Endlich, als wirklich der Kongress zu Hubertsburg schon festgesetzt war, tat er aus Liebe zu mir ein übriges, und die Taube zusamt den Blumen gelangte am Friedensfeste wirklich in die Hände meiner Mutter.
Manchen ähnlichen Auftrag erhielt ich denn auch, um bei den Malern bestellte Bilder zu betreiben. Mein Vater hatte bei sich den Begriff festgesetzt, und wenig Menschen waren davon frei, dass ein Bild auf Holz gemalt einen großen Vorzug vor einem anderen habe, das nur auf Leinwand aufgetragen sei. Gute eichene Bretter von jeder Form zu besitzen, war deswegen meines Vaters große Sorgfalt, indem er wohl wusste, dass die leichtsinnigern Künstler sich gerade in dieser wichtigen Sache auf den Tischer verließen. Die ältesten Bohlen wurden aufgesucht, der Tischer musste mit Leimen, Hobeln und Zurichten derselben aufs genauste zu