Der zweite Killer. Hansjörg Anderegg

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Der zweite Killer - Hansjörg Anderegg


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Opfer ist Staatsbürger der USA, Ex-Soldat der US-Navy, um genau zu sein.«

      Die Staatsanwältin schwieg, als reichte diese Erklärung.

      »Und?«

      »Haben Sie mich nicht verstanden?«, platzte die Staatsanwältin heraus. »Ein Soldat der US-Navy ist in Berlin erschossen worden!«

      »Sagten Sie nicht Ex-Soldat?«

      »Soldat, Ex-Soldat, was spielt das für eine Rolle? Der Fall braucht äußerstes Fingerspitzengefühl, gerade jetzt, wo die Beziehungen zu den USA nicht die besten sind, wie Sie wohl wissen. Nein, das ist kein Fall für das LKA. Die wären heillos überfordert. Wir müssen auf Bundesebene ermitteln. Um es kurz zu machen: Sie übernehmen den Fall. Nehmen Sie umgehend Kontakt auf mit Hauptkommissar …«

      »Augenblick«, unterbrach Chris. »Ich habe mich auf Montag eingestellt. Zurzeit bin ich nicht in Berlin.«

      Die Bemerkung dämpfte den Eifer der Staatsanwältin nur für eine Sekunde. »Wann können Sie beim LKA sein?«

      Chris unternahm einen letzten Versuch: »Ich bin nicht gerade berühmt für mein diplomatisches Fingerspitzengefühl, wie Sie sicher aus meiner Akte entnommen haben.«

      »Damit müssen wir leben. Also wann?«

      »Vielleicht schaffe ich es heute noch«, brummte sie mit einem wehmütigen Blick auf Jamie, der in der Küche hantierte, als erwarte er die Gäste in einer Stunde.

      »Hauptkommissar Mertens heißt der Kontakt«, sagte die Staatsanwältin und legte auf.

      Die Stimme jagte Chris kalte Schauer über den Rücken. Willkommen beim BKA Berlin. Jamie maß den zweiten Einbauschrank aus. Er hatte nichts vom Gespräch mitbekommen.

      »Tut mir leid, mein Schatz. Ich muss dringend nach Berlin und brauche den Wagen.«

      Er war noch nicht zufrieden mit der Planung seiner Laborküche, schüttelte den Kopf und murmelte undeutlich, ohne sie anzusehen. Sie warf ihm einen Handkuss zu und eilte hinaus.

      Sie befand sich schon am Stadtring, als er anrief.

      »Das Auto ist weg. Wo bist du?«

      Seine Stimme klang verzweifelt.

      »Ich musste dringend nach Berlin, hab ich dir doch erklärt.«

      »Aber – wie komme ich jetzt hier weg?«

      Bei der Vorstellung seines betroffenen Gesichtsausdrucks verspürte sie große Lust, ihn noch einmal zu heiraten.

      »Ruf ein Taxi, du Ärmster. Ich muss Schluss machen, bis später.«

      Berlin

      Im Schritttempo näherte sich Chris dem Tatort. Das Sträßchen hinter dem Asylheim war ein Rad- und Wanderweg, besonders beliebt am Freitagnachmittag, wie ihr zahlreiche Mittelfinger bestätigten. Das LKA hatte den Tatort freigegeben, nachdem Spuren und Beweisstücke gesichert worden waren. Trotzdem bestand sie darauf, Hauptkommissar Mertens hier zu treffen. Berichte und Fotos in den Akten ersetzten keine Tatortbegehung.

      Die ersten Tropfen fielen, als sie aussteigen wollte. Kaum war die Tür offen, begann es kräftig zu regnen. Es sah nicht nach einem kurzen Platzregen aus. Sie hievte den gelben Koffer vom Rücksitz nach vorn. Er enthielt das wichtigste Zubehör für kriminaltechnische Untersuchungen und begleitete sie seit dem ersten Tag an der Front. Mühsam zwängte sie sich in den weißen Einwegoverall. Ein junger Mann empfing sie, Erstsemester an der Uni und Mobbingopfer, nach dem blassen Gesicht zu urteilen. Sein Schirm reichte für vier seinesgleichen. Sie musste Staatsanwältin Winter recht geben: Das LKA war heillos überfordert, wenn es Schüler wie den als Kommissare beschäftigte.

      »Sie haben sich reichlich Zeit gelassen«, knurrte eine Stimme hinter dem Studenten.

      Sie atmete auf, denn der Mittfünfziger, der jetzt auf sie zutrat, hatte den Stimmbruch schon hinter sich.

      »Chris Roberts, BKA«, stellte sie sich vor. »Sie sind HK Mertens, nehme ich an?«

      Die ausgestreckte Hand griff ins Leere. Statt sie zu grüßen, schüttelte er das Wasser vom Schlapphut und brummte weiter:

      »Ich verstehe nicht, was das hier soll. Steht doch alles im Bericht.«

      Bevor sie den Mund öffnete, schaltete sich das Erstsemester ein:

      »Sie konnten den Bericht ja noch nicht lesen, Dr. Roberts. Wenn ich kurz zusammenfassen darf …«

      Mertens rollte die Augen, ließ ihn jedoch weitersprechen. Ihre Achtung vor dem jungen Mann stieg mit jedem Satz. Kurz und präzise beschrieb er den Tathergang, soweit man ihn bisher rekonstruiert hatte, fasste die Ergebnisse der Gerichtsmedizin und der KT zusammen und zeigte ihr den genauen Fundort von Eddie Jones Leiche.

      »Noch Fragen?«, grinste Mertens.

      »Wer ist der junge Mann?«

      »Niemand.«

      Der Student wagte keinen Widerspruch. Erst als sie ihn auffordernd anblickte, sagte er unsicher:

      »Mein Name ist Horst Seidel, Referendar und Praktikant im ersten Jahr.«

      Sie schüttelte ihm die Hand. »Gut gemacht, Referendar Seidel.«

      »Hotte«, murmelte er verschämt mit leuchtenden Augen, als hätte sie ihn zum Abschlussball eingeladen.

      »Wie weit wurde die Umgebung abgesucht? Das Asylheim? Gibt es weitere Zeugen?«

      Sie richtete die Fragen direkt an den Referendar, der offenbar Mertens wandelndes Gedächtnis darstellte. Der Kommissar fuhr dazwischen:

      »Hören Sie, Frau … Ich habe einen wichtigen Termin. Herr Seidel wird Sie über alles Weitere informieren. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.«

      Er drehte sich um und ging zu seinem Wagen. Nach zwei Schritten blieb er stehen, kehrte zurück und fragte sie leise:

      »Brauchen Sie Unterstützung?«

      »Immer«, antwortete sie verwundert.

      Sein Blick streifte den Referendar, der etwas abseitsstand.

      »Er kennt sich bestens aus mit dem Fall.«

      »Sie wollen mir Niemand überlassen?«

      Er ignorierte den absichtlichen Fallfehler und präzisierte:

      »Sie könnten ihn ausleihen – natürlich nur für diesen Fall.«

      »Natürlich.« Nach kurzem Zögern fragte sie: »Stimmt etwas nicht mit dem jungen Mann?«

      Kommissar Mertens zuckte die Achseln. »Er schreibt lauter Einsen.«

      Ein Genie! Sie begann zu verstehen. Da prallte Intellekt auf jahrzehntelange Praxis, eine explosive Mischung. Sie erinnerte sich an die angespannte Personalsituation am Treptower Park und lächelte Referendar Seidel zu, um etwas Farbe in sein Gesicht zu zaubern.

      »Sie meinen das ernst, nicht wahr?«, fragte sie zur Sicherheit.

      »Todernst.«

      »O. K., Deal, aber er bleibt auf Ihrer Gehaltsliste und ich unterschreibe kein einziges Formular.«

      »Deal.«

      Diesmal schlug Mertens ein. Blieb nur noch übrig, Seidel zu überzeugen. Sie spürte keinen Widerstand. Im Gegenteil: Der arme Kerl war froh, seinem Tyrannen zu entrinnen, obwohl, oder besser, weil er ihre problematischen Charakterzüge noch nicht kannte. Mertens seinerseits fuhr mit einem Lächeln davon. Er war nicht nur den heiklen Fall los, sondern auch den neunmalklugen Praktikanten. Besser ging es nicht, sagte sein Gesicht. Ihr sollte es recht sein. Einen ergebenen Sklaven konnte sie gut gebrauchen. Notfalls würde sie ihn mit dem Zopf ruhigstellen.

      »Also Herr Seidel«, sagte sie mit einem letzten Blick auf Mertens Wagen.

      Der junge Mann sprang ihr fast ins Gesicht. »Dr. Roberts?«

      »Vergessen


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