Staatsfeinde. Hansjörg Anderegg

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Staatsfeinde - Hansjörg Anderegg


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nichts verstehst du, aber du solltest jetzt verschwinden. Mein Kunde wird sich sonst erschrecken.«

      Er lachte. »Ich denke, den kann nichts mehr erschrecken, wenn er es mit so einem Monster treibt.«

      »Willst du mich beleidigen?«

      »Nein!«, wehrte er hastig ab. »War ein Scherz. Habe schon bessere gemacht, ich gebe es zu. Kannst du mir eventuell mit etwas Casablanca aushelfen, wollte ich fragen.«

      Sie verschwand, kehrte nach einer Millisekunde mit dem Briefchen zurück und stieß ihn weg. »Jetzt hau ab. Max ist gleich da.«

      Die Tür flog zu. Zu spät, ihr Kunde betrat gerade den Korridor. Erschrocken hielt er inne, wollte umkehren.

      »Max!«

      Der gepflegte, ältere Herr, Typ Apotheker mit Familienbetrieb, erstarrte.

      »Kommen Sie, die kleine Meerjungfrau wartet schon sehnsüchtig. Mich haben Sie gar nicht gesehen.«

      Noch bevor Monis Kunde sich wieder umwandte, verschwand er im RZ. Beruhigt hörte er gedämpfte Stimmen an Monis Tür, während er das Briefchen Marokkaner zu einem handlichen Joint rollte.

      »Rauchen tötet«, krächzte Hermann auf dem Büchergestell hinter seinem Rücken.

      Der künstliche Papagei besaß einen Rauchmelder, den er eigentlich eingebaut hatte, um Brandgefahr zu melden.

      »Halt die Klappe, Hermann!«

      Das blecherne Vieh hielt sich normalerweise nicht an seine Anweisungen. Diesmal schwieg der Papagei, ein Zeichen, dass er sich beleidigt fühlte. Nach ein paar Zügen spürte Phil die Entspannung. Die düstere Kammer erschien ihm heller, beinah ein wenig rosa. Die Melancholie ließ nicht auf sich warten, dann rückte der Alltag in weite Ferne, verkroch sich in der Wolke des Vergessens, bis die Wolke sich verformte und Lenis Gesichtszüge annahm.

      »Leni«, murmelte er, »ich fürchte, ich habe sie verletzt.« Schnell brachte er den traurigen Rest des Joints noch einmal zum Glühen. »Hermann, was meinst du? Habe ich sie verletzt?«

      Das Vieh schwieg.

      »Hermann, ich habe dich etwas gefragt.«

      »Ich soll die Klappe halten.«

      »Aber doch nicht, wenn ich dir eine Frage stelle.«

      »Wie lautet die Frage noch mal?«

      »Verarschen kann ich mich selber, Alter. Also, was ist jetzt. War ich zu grob zu Leni?«

      »Vielleicht«, krächzte der Vogel. »Vergiss nicht: Wenn wir einen Menschen glücklicher und heiterer machen können, so sollten wir es in jedem Fall tun, mag er uns darum bitten oder nicht.«

      Jetzt kam die Nummer mit den Zitaten, die er sich selbst eingebrockt hatte, weil er den Vogel seinerzeit den ganzen Hermann Hesse lesen ließ. Es war nur ein blöder Test gewesen, aber seither wurde das Vieh nicht müde, daraus zu zitieren, und seither hieß er Hermann.

      »Ich habe das Glasperlenspiel auch gelesen«, gab er unwirsch zurück, »war dröger Abi-Stoff.«

      »Ich wollte nur helfen.«

      Es klang wieder beleidigt, obwohl er wusste, dass er sich das nur einbildete. Der Papagei besaß bloß eine fixe, ziemlich rostige Stimme.

      »Ich brauche Musik«, sagte er und wandte sich dem Computer zu, »muss arbeiten.«

      Hermann gehorchte, schaltete die Surround-Sound-Anlage ein, kalibrierte die sechs Lautsprecher auf seinen Standort und justierte die Beleuchtung für stressfreies Arbeiten.

      »Nicht wieder den Trauermarsch! Mensch, wie oft muss ich dir das noch beibringen?«

      »Ich bin kein Mensch«, krächzte die Maschine, »hast du selbst gesagt.«

      »Ist ja gut jetzt. Nerv mich nicht! Die Nocturnes.«

      »Bitte.«

      »Was?«

      »Bitte heißt es«, krächzte Hermann.

      Phil schüttelte grinsend den Kopf. Der Vogel reagierte schon verblüffend menschlich, als besäße er Gefühle. Einfache Gemüter wie Moni oder ihr Max würden wohl darauf hereinfallen. Der Trauermarsch lief immer noch. Die düsteren Akkorde hinderten ihn am Denken, also tat er Hermann den Gefallen.

      »Die Nocturnes bitte.«

      »Geht doch.«

      Die Musik wechselte. Nun passte sie perfekt zu seiner Wolke. Der zündende Gedanke wollte sich dennoch nicht wieder einstellen. Enttäuscht widmete er sich der anderen Aufgabe, die er stets vor sich hergeschoben hatte. Sein Algorithmus benötigte Daten, tonnenweise Daten aus dem Netz. Die Quellen waren identifiziert, zumindest für einen vernünftigen Testbetrieb. Drei Probleme blieben noch zu lösen. Um Entscheidungen in Echtzeit, also ohne Verzug, fällen zu können, musste der notwendige Input sozusagen augenblicklich zur Verfügung stehen. Das war natürlich nur annähernd zu schaffen über ein riesiges Netz von Dämonen, die auf Tausende Rechner verteilt gleichzeitig Daten sammelten und filtrierten.

      Sein Programm war bereits fähig, diese Hilfsprogramme unbemerkt auf bis zu einer Million Rechner im Netz zu verteilen und binnen Sekunden zu aktivieren. Er war trotzdem nicht zufrieden mit der Arbeit. Professionell ausgerüstete Hacker oder Behörden würden den Ursprung der digitalen Invasion, sein Programm, rasch ermitteln. Das durfte nicht geschehen, denn jeder Eingriff von außen verfälschte potenziell das Ergebnis.

      Der Zugriff auf Big Data musste vollkommen unter dem Radar erfolgen. Das war sein zweites Problem, an dessen Lösung er drei Stunden verbissen arbeitete. Das dritte Problem, den Clean-up, betrachtete er als Fleißarbeit. Es war keine intellektuelle Herausforderung, alle Spuren auf Knopfdruck wieder beseitigen zu lassen, obwohl weder er noch sein Algorithmus anfangs wussten, auf welche Rechner sich die Dämonen ausbreiten würden.

      »Musik aus!«, befahl er unvermittelt.

      Die Stille gab ihm für einen Augenblick das Gefühl, taub zu sein. Sie half, sich ganz auf den Hauptbildschirm zu konzentrieren. Es war ein magischer Moment. Sogar Hermann enthielt sich eines Kommentars. Das unüberschaubare Netz der Datensammler, die noch Sekunden zuvor wie helle Sterne einer Galaxie geleuchtet hatten, war nun dunkelgrau, fast nicht mehr zu sehen, dunkle Materie. Gleichzeitig steigerte sich der Durchsatz eingelesener Daten weiter.

      »Sieh dir das an, Hermann. Jetzt sagst du nichts mehr, was?«

      »Man hat nur Angst, wenn man mit sich selber nicht einig ist«, krächzte es vom Büchergestell.

      »Du hältst besser wieder die Klappe.«

      Hermann hatte zu einem weiteren Zitat angesetzt. Jetzt schwieg er beleidigt. Phil stoppte den Datentransfer befriedigt. Blieb nur noch die Verschlüsselung. Ein 512-Bit-Schlüssel sollte genügen, um den Zugriff auf seine Software zu schützen. Zusätzliche Sicherheit bot die Tatsache, dass sich das Programm nach zehn Fehlversuchen selbst zerstörte.

      Technisch war nun alles bereit für den nächsten, vielleicht entscheidenden Test. Der zündende Gedanke, wie er den deep learning Algorithmus verbessern und vor allem um Größenordnungen beschleunigen könnte, fehlte allerdings immer noch. Da er das neuronale Netz, den Kern der Software, der dem Algorithmus die Intelligenz verleihen sollte, nicht auf seinem Rechner laufen lassen konnte, musste er zur Agentur zurück. Nur auf dem Supercomputer in der verbotenen Zone bestand eine Chance, sein Projekt zum Fliegen zu bringen. Er sicherte den neuen digitalen Schlüssel mehrfach an Orten, die nur er kannte, bevor er die Rechner in seinem RZ herunterfuhr.

      »Ich bin dann in der Agentur«, sagte er zu Hermann.

      »Gruß an Leni«, krächzte der Papagei.

      Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Hermanns Zitat hörte er nicht mehr. Im 15er, auf der kurzen Fahrt zum Kölnturm, zerbrach er sich den Kopf über die geniale Verbesserung des Algorithmus, die aus seiner Erinnerung getilgt war, als hätte er den Clean-up im eigenen Hirn laufen lassen. Er nahm die Verkehrsdurchsage über einen Unfall auf der Deutzer


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