Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.Als der Wagen die Autobahn erreichte und noch schneller wurde, schlüpfte Wolfgang Lehmbacher mit letzter Kraft hinein und ließ sich auf den Boden des Anhängers fallen.
Es war ihm ganz egal, wohin der Wagen fuhr, Hauptsache, er brachte ihn so weit wie möglich von hier fort!
*
Robert Demant betrachtete zufrieden sein Werk. Das Bild entsprach exakt seinen Vorstellungen, eine Fotografie von Kathie Lehmbacher hätte nicht treffender sein können.
Ein, zwei Tage wollte er es noch trocknen lassen, bevor es Katharina zu sehen bekommen sollte. Ein paar Monate würde es dauern, bis es dann ganz getrocknet war und fixiert werden konnte.
Doch bis dahin wollte Robert die Frau seiner Träume längst geheiratet haben… Er war selbst überrascht gewesen, als dieser Gedanke ihm kam. Bisher hatte er nie daran gedacht, in den Hafen der Ehe einzulaufen. Nun war er sogar bereit, seinen Wohnsitz von München nach St. Johann zu verlegen, sollte Kathie nicht bereit sein, von hier fortzuziehen.
Von all diesen Plänen wußte das Madel noch nichts. Mit Rücksicht auf ihre Arbeitszeiten hatte Robert Kathie nicht schon wieder um einen Ausflug bitten wollen und statt dessen vorgeschlagen, bis zu ihren nächsten freien Tagen zu warten. So kam es, daß der Maler immer häufiger alleine in der näheren Umgebung spazieren ging. Und jedesmal gefiel ihm der kleine Ort besser. Es mußte doch möglich sein, hier irgendwo ein Haus zu finden, in dem man auch ein Atelier einrichten konnte. Denn malen wollte er. Seit er hier war, hatte Robert so viele Ideen entwickelt und sah so viele Motive vor seinem geistigen Auge, daß er fast schon ungeduldig wurde. Er zwang sich regelrecht zum Nichtstun, weil er nichts überstürzen wollte. Zunächst wurde es höchste Zeit, Kathie zu gestehen, wie es um ihn stand. Robert glaubte zu wissen, daß es dem Madel nicht anders ging. Ihre Blicke und Gesten ließen keinen anderen Schluß zu, und beinahe wäre es ja schon zum ersten Kuß gekommen…
Der Maler warf einen Blick auf die Uhr. Schon war es wieder Abend geworden. Er zog sich zum Essen um und ging hinunter in das Restaurant, wo er von Katharina Lehmbacher mit einem freudigen Lächeln begrüßt wurde.
Nach dem Essen setzte er sich in die Wirtsstube hinüber, die besonders von den Einheimischen gerne besucht wurde. An einem der Tische saß Dr. Wiesinger beim Abendschoppen.
Der junge Arzt lud den Kunstmaler mit einer Handbewegung ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Es war eine herzlich gemeinte Geste, die Robert da entgegengebracht wurde. Obwohl er nur Urlauber war, hatte er das Gefühl, in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu sein.
Mediziner und Künstler waren bald in eine angeregte Unterhaltung vertieft, die sich um beider Berufe drehte. Dabei vergaßen sie beinahe die Zeit. Gerade Toni Wiesinger hatte viel zu erzählen. Als Zugereister hatte er nicht immer einen leichten Stand in St. Johann. Die Einheimischen trauerten ihrem guten, alten Doktor nach, und dem jungen trauten sie noch net so recht zu, ein richtiger Arzt zu sein. Da ihm das Alter fehlte, meinten sie, fehle ihm auch die Erfahrung. Einzig Pfarrer Trenker stand dem Arzt immer wieder hilfreich zur Seite und versuchte, auf seine Schäflein einzuwirken, sich auf das Können des Doktors zu verlassen. Dennoch gab es Momente, in denen Toni Wiesinger der Meinung war, die Dörfler hätten sich gegen ihn verschworen.
Hinzu kam der Ärger, den Toni immer wieder mal mit dem alten Brandhuber-Loisl hatte. Der Alte, der von sich behauptete, ein Wunderheiler zu sein, stellte irgendwelche obskuren Tees, Salben und Mixturen her, wofür er in bestimmten Nächten Kräuter und Wildblumen sammelte und verarbeitete. Diese »Medikamente« verkaufte er dann für viel Geld an seine gutgläubigen Mitmenschen. Dabei konnte es unter Umständen lebensgefährlich sein, sich auf die Heilwirkung zu verlassen.
Sepp Reisinger trat an ihren Tisch, und die beiden sahen erstaunt auf. Der Wirt hatte ein Tablett mit drei Schnapsstamperl darauf.
»So, meine Herren, das ist der letzte, der geht aufs Haus«, sagte er und stellte das Tablett ab.
»Du lieber Himmel, ist’s schon so spät?«
»Ja«, nickte Sepp. »Kurz vor Mitternacht.«
Dennoch setzte er sich für einen letzten Augenblick mit an den Tisch.
»Ich hab’ gar net bemerkt, wie die Zeit dahin ist«, schüttelte Dr. Wiesinger den Kopf.
»Stimmt«, gab Robert Demant ihm recht. »Mir geht’s ebenso.«
Er lachte den Wirt an.
»Es ist aber auch saugemütlich in Ihrer Stuben!«
»Es freut mich, daß es Ihnen gefällt. Also, auf eine gute Nacht«, hob Sepp Reisinger sein Glas.
Der Enzian sorgte für einen guten Schlaf. Als Robert sich verabschiedete und auf sein Zimmer ging, da hatte Kathie längst Feierabend gemacht. Der Kunstmaler streckte sich in seinem Bett aus und löschte das Licht, nachdem er einen letzten Blick auf das Bild geworfen hatte. Dann schlief er mit einem seeligen Lächeln ein.
»Ich wünsch’ dir eine gute Nacht«, flüsterte er, bevor er in den Schlaf hinüberglitt.
*
Katharina Lehmbacher trat vor das Hotel und atmete tief durch. Es war eine angenehm frische Nachtluft.
Endlich Feierabend. Und endlich war es mal nicht so spät geworden. Heute hatte sie nur im Restaurant bedienen müssen. Die junge Frau freute sich auf ihre kleine Wohnung. Sie würde sich noch einen Tee kochen und dann mit einem guten Buch ins Bett gehen.
St. Johann lag weitgehend im Dunkeln, als sie nach Hause schlenderte. Es brannten nur noch wenige Straßenlaternen, und auch die würden bald verlöschen. Trotzdem hatte Kathie keine Furcht, als sie mutterseelenallein durch die Straßen ging. Noch nie war ihr jemand begegnet, wenn sie vom Spätdienst kam, und sie hatte auch nie davon gehört, daß jemand nächtens überfallen wurde.
Allerdings hatte sie von den Autodiebstählen erfahren, die sich in der letzten Zeit häuften, und sie hielt schon Augen und Ohren offen, ob sie etwas Verdächtiges bemerkte.
Sie hatte nur noch wenige Schritte bis zu ihrer Wohnung zu gehen, als sich ihr überraschend jemand in den Weg stellte. Kathie stieß einen erstickten Schrei aus und hielt sich die Hand vor den Mund, als sie die Gestalt bemerkte.
»Wolfgang…!« entfuhr es ihr. »Wie siehst du denn aus?«
Beinahe hätte sie ihren Bruder nicht erkannt. Er war unrasiert, und die Haare hingen wirr an seinem Kopf. Die Hose schlotterte um die Hüfte, in den Schuhen fehlten die Schnürsenkel, und weder Sakko, noch Krawatte waren vorhanden. Ängstlich, ganz so, als würde er verfolgt, schaute Wolfgang Lehmbacher sich immer wieder um. Seine Schwester packte ihn am Arm und schüttelte ihn durch.
»Was ist denn passiert? Um Himmels willen, so red’ doch endlich!«
»War… war die Polizei bei dir?« fragte er und schaute wieder mit unstetem Blick um sich.
»Die Polizei? Nein. Was soll denn die Polizei bei mir?«
Ihr Bruder rang hilflos die Hände.
»Sie sind hinter mir her. Sie suchen mich! Ich bin da in eine dumme Sache geschlittert.«
Lähmende Angst griff nach der jungen Frau. Sie sah Wolfgang kopfschüttelnd an. Worauf hatte er sich da nur wieder eingelassen? Sie hatte ja gleich ein ungutes Gefühl gehabt damals, als er mit dem vielen Geld in ihrer Küche saß.
»Jetzt komm’ erstmal mit«, sagte sie. »Hier, auf der Straße können wir schlecht bereden, was geschehen ist.«
Sie zog ihn mit sich. Vor dem Haus, in dem sie wohnte, brannte eine kleine Lampe über der Eingangstür. Wolfgang blieb drei Schritte vor dem Haus stehen, so daß er sich noch im Halbdunkel befand.
»Mach’ erst das Licht aus«, forderte er seine Schwester auf.
Kathie tat, wie ihr geheißen. Mit zitternden Fingern führte sie den Hausschlüssel in das Schlüsselloch und sperrte auf. Dann drehte sie die Schalter für das Straßenlicht, der gleich hinter der Tür war. Sekunden später huschte Wolfgang in den Flur und schlich die Treppe