Der Bergpfarrer Staffel 9 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.auch Angela Rast gemacht hatte.
»Auf der and’ren Seite geht’s ziemlich steil abwärts«, fuhr der Geistliche fort. »Hoffen wir, daß sie net dorthin gegangen ist. Das könnt’ gefährlich sein.«
Stephan Richter war der Verzweiflung nahe. Er wußte nicht, warum, aber er hatte die größte Hoffnung gehabt, Angela an dieser Stelle zu finden. Er stellte sich an den Rand des Hanges und rief ihren Namen. Immer wieder und jedesmal lauter als zuvor.
Sebastian sah die Verzweiflung in seinen Augen und trat neben den jungen Mann.
»Laß gut sein«, sagte er, während er seinen Arm um Stephan legte, der von Schluchzern geschüttelt wur-
de.
»Vielleicht kann sie dich net hören. Aber wir geben die Hoffnung net auf, und keiner kehrt um, eh’ wir die Angela net gefunden haben.«
Stephan Richter nickte. Krampfhaft rang er nach Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Und dann hob er lauschend den Kopf.
»Hört ihr nix?« rief er hoffnungsvoll. »Da hat doch jemand um Hilfe gerufen?«
»Was?«
Auch Sebastian lauschte genauso wie Max und Toni, die neben sie getreten waren.
Ein schwacher Laut drang zu ihnen herauf, im prasselnden Regen kaum zu vernehmen.
»Tatsächlich«, sagte der Bergpfarrer. »Da hat jemand gerufen.«
»Angela!« brüllte Stephan wie von Sinnen. »Sie ist es. Angela!«
Die anderen hielten ihn zurück, sonst wäre er den Hang hinuntergestürzt, als er ihre Stimme erneut vernahm.
»Ja«, rief die junge Frau. »Ich…, ich bin hier unten…«
»Der Stein ist naß und glatt«, erklärte Sebastian. »Man muß aufpassen, daß man net ausrutscht. Am besten geh’n der Doktor und ich.«
Toni Wiesinger nickte und band das Seil los, das Max um die Hüften trug. Sebastian hatte seines ebenfalls abgenommen. Er sah Stephan an, daß der am liebsten auch gleich mit hinuntergegangen wäre.
»Der Max und du, ihr müßt uns sichern«, erklärte er dem Juniorchef der Richterbrauerei. »Das wird besonders schwer, wenn wir Angela heraufholen.«
Stephan nickte verstehend und band sich das Seil um, dann suchte er einen sicheren Stand und hielt es mit beiden Händen fest. Max machte es genauso, während die anderen beiden Männer sich abseilten.
»Halt’ aus, Angela«, rief der Geistliche. »Wir sind gleich bei dir.«
Sie erreichten die junge Frau, die in gut drei Metern Tiefe in einer Art Senke lag. Toni Wiesinger band sich los und kniete neben ihr.
»Außer am Kopf sonst irgendwelche Verletzungen?« fragte er.
Angela verneinte. Sie war erst vor ein paar Minuten aus ihrer Ohnmacht erwacht und hatte sich abgetastet. Der Kopf tat ein bißchen weh, aber sonst verspürte sie keine Schmerzen.
Dr. Wiesinger hatte rasch einen Verband angelegt, dann war die Verletzte bereit, um nach oben gezogen zu werden.
»Da wartet schon jemand auf dich«, sagte Sebastian augenzwinkernd und schmunzelnd zugleich.
Langsam ging es aufwärts, das Seil schnürte zwar ein wenig ein, aber das war zu ertragen. Oben angekommen, spürte Angela, wie hilfreiche Hände nach ihr griffen.
Stephan beugte sich über sie. In seinen Augen schimmerten tatsächlich – was sie nie für möglich gehalten hätte – Tränen!
»Verzeih’ mir«, bat er. »Ich hab’ mich schrecklich dämlich benommen, und eigentlich könnt’ ich’s dir net übelnehmen, wenn du mich jetzt zum Teufel jagst.«
»Na, mit dem woll’n wir doch nix zu tun haben«, lachte Sebastian, der eben wieder heraufgekommen war.
Angela Pfister lächelte.
»Ich weiß net, warum du das getan hast«, sagte sie. »Aber ich kann dir net bös’ sein. Dazu lieb’ ich dich viel zusehr!«
Stephan verspürte ein unbeschreibliches Glücksgefühl.
»Dann soll es nie wieder so etwas Schreckliches zwischen uns geben«, versprach er feierlich.
Angela nickte und hob ihm ihre Lippen entgegen. Vergessen waren alle Ängste und Nöte, als er sich wieder über sie beugte und sie unendlich lange küßte.
-ENDE-
Es regnete Bindfäden, als der Bus St. Johann erreichte, und die Reisenden sahen entsprechend miß-mutig aus. Vor dem Hotel standen die Angestellten, mit Regenschirmen bewaffnet, um die Gäste in Empfang zu nehmen.
»Grüß Gott, meine Herrschaften«, rief Sepp Reisinger, der Wirt vom Hotel »Zum Löwen«. »Sein S’ herzlich willkommen, auch wenn das Wetter net gerad’ das Beste ist. Aber ich kann Ihnen versprechen, morgen herrscht der schönste Sonnenschein.«
»So?« meinte einer der Kurzurlauber. »Dann haben S’ wohl einen besonders guten Draht zum Petrus, was?«
»Ich net«, lachte der Gastwirt. »Aber unser Herr Pfarrer, und wenn der sagt, daß morgen die Sonne scheint, dann ist es so!«
Unter dem Schutz der Regenschirme liefen die Gäste ins Hotel, während zwei Hausburschen sich um das Gepäck kümmerten. In der Halle wurden die Zimmerschlüssel verteilt, und dann konnte jeder seinen Koffer oder Reisetasche in Empfang nehmen.
Nicole Dressler schloß die Tür zu ihrem Zimmer auf und trat ein. Es war zwar erst später Nachmittag, aber man mußte schon das Licht einschalten. Draußen war es nur noch ärger geworden, der Himmel schien alle Schleusen geöffnet zu haben, dunkle Wolken jagten am Himmel und gaben einem das Gefühl, es sei längst Mitternacht.
Das Zimmer gefiel der jungen Frau. Es war hübsch eingerichtet und besaß ein kleines Bad. Nicole erfrischte sich und kämmte die dunklen Haare durch. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel ging sie hinunter in das Clubzimmer, in dem sich die Teilnehmer der Wochenendreise trafen.
Vor ein paar Jahren hatte Sepp Reisinger diese Fahrt initiiert, um auch dann die Betten zu belegen, wenn die Saison noch nicht angefangen hatte oder schon wieder zu Ende war. Mit einem namhaften Busunternehmen hatte er einen Vertrag geschlossen. Die Zimmer wurden zu einem günstigen Preis angeboten, sogar die Mahlzeiten waren inklusive. Anreise am Freitag, Rückfahrt am Sonntagnachmittag. Das Konzept hatte sich bewährt, denn nicht wenige, die so die gute Bergluft erstmals geschnuppert hatten, kamen auch im Jahr darauf wieder, wenn die großen Ferien waren.
Im Clubzimmer wurde den Gästen Kaffee und Kuchen serviert, und Sepp erläuterte den Ablauf der Tage. So konnte man sich für eine Bergwanderung anmelden oder den Aufenthalt frei gestalten, je nach Belieben.
Nicole schaute sich um. Ihre Mitreisenden hatte sie schon während der Fahrt in näheren Augenschein genommen. Es waren dreißig Leute, ältere Ehepaare zumeist, und eine kleine Gruppe von vier Paaren, die nur wenig älter schienen, als die hübsche Lehramtsstudentin. Außerdem war ein einzelner, junger Mann mitgefahren. Er hatte sich ihr als Florian Mooser vorgestellt, und schon im Bus hatte sie den Eindruck, daß er sie immer wieder verstohlen beobachtete, wenn er glaubte, sie bemerke es nicht…
Für einen Moment dachte Nicole Dressler an Wolfgang Arnhäuser, und ein trauriger Zug huschte über ihr Gesicht. Ursprünglich hatten sie die Fahrt gemeinsam gebucht, um hier Nicoles Geburtstag zu feiern.
Zweiundzwanzig Jahre wurde sie morgen und hatte es sich so schön ausgemalt. Doch wie so oft in letzter Zeit, war es zwischen ihnen zum Streit gekommen, diesmal jedoch heftiger als je zuvor, und eine Versöhnung war unmöglich gewesen, so sehr Nicole sie sich auch gewünscht hätte.
Aber als sie dann auch noch über Dritte erfahren mußte, daß Wolfgang an genau diesem Wochenende mit einer anderen Frau in den Bayerischen Wald fahren würde, da war ihr klargeworden, daß es endgültig