Die schönsten Kinderbücher (Illustriert). Гарриет Бичер-Стоу

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Die schönsten Kinderbücher (Illustriert) - Гарриет Бичер-Стоу


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Stricke lagen, und Sikes suchte sich hastig den längsten und stärksten heraus. Er ging damit nach dem Dach.

      Alle Fenster an der Hinterseite des Hauses waren zugemauert, mit Ausnahme eines Loches in der Kammer, wo Karl Bates eingesperrt war. Es war aber zu klein, als daß er hätte durchkriechen können. Durch diese Öffnung rief jedoch der Junge unaufhörlich den Außenstehenden zu, auch die Rückseite des Gebäudes zu bewachen. Als der Mörder aus dem Dachfenster stieg, wurde es sogleich bemerkt. Er kroch über die Ziegel und beugte sich über den Dachrand. Das Wasser war infolge der Ebbe abgelaufen und der Graben ein Schlammbett.

      Die Menge sah lautlos und gespannt zu, was der Mörder nun wohl beginnen würde. Als sie gewahrte, daß er sich in der Flucht verrechnet hatte, erhob sie ein mächtiges Triumphgeschrei, gegen das alle früheren nur ein Flüstern waren.

      "Jetzt hat man ihn!" rief ein Mann auf der nächsten Brücke. "Hurra!"

      Ein tausendfaches Echo folgte.

      "Ich verspreche fünfzig Pfund demjenigen, der den Mörder lebend ergreift!" rief ein alter Herr auf der Brücke. "Ich bleibe hier stehen, um die Summe sofort auszuzahlen."

      Neues Gebrüll. In diesem Augenblick verbreitete sich das Gerücht, daß die Haustür aufgebrochen und der Mann, der zuerst nach der Leiter gerufen, in das Zimmer eingedrungen sei. jeder wollte nun sehen, wie der Mörder von den Polizisten abgeführt würde. Es entstand ein furchtbares Gedränge, und die Aufmerksamkeit wurde von dem Dache abgelenkt.

      Sikes beschloß jetzt, den letzten Rettungsversuch zu wagen und sich in den Graben hinunterzulassen, selbst auf die Gefahr hin, im Schlamme zu ersticken. Er schlang das eine Ende des Seiles fest um den Schornstein und machte an dem anderen Ende unter Zuhilfenahme der Zähne im Nu eine starke Laufschlinge. Er konnte sich mit dem Strick fast bis auf Manneslänge vom Boden hinunterlassen und hielt sein Messer bereit, um ihn rechtzeitig durchzuschneiden und sich fallen zu lassen.

      Er hatte sich eben die Schlinge über den Kopf geworfen und war im Begriff mit den Armen gleichfalls durchzuschlüpfen, als der alte Herr die Leute darauf aufmerksam machte, daß der Verbrecher sich vom Dache hinunterlassen wolle. Im selben Augenblick sah sich Sikes um, stieß einen Schrei des Entsetzens aus und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen.

      "Da sind die Augen wieder!" rief er mit Grabesstimme und taumelte wie vom Blitz getroffen. Er verlor das Gleichgewicht und fiel über den Rand des Daches. Die Schlinge am Halse, sauste er fünfunddreißig Fuß hinab. Ein plötzlicher Ruck, ein krampfartiges Zucken der Glieder – und da hing er, entseelt, das Messer in der erstarrten Hand!

      Der alte Schornstein hatte der Erschütterung standgehalten. Sikes' Hund lief heulend auf dem Dache hin und her und nahm endlich einen Ansatz, um auf die Schultern des toten Mannes zu springen. Er verfehlte jedoch sein Ziel, fiel in den Graben, in dem er sich überkugelte. Mit dem Kopf auf einen Stein schlagend, verspritzte er sein Gehirn.

      Einundfünfzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

       Enthüllt verschiedene Geheimnisse und enthält einen Heiratsantrag ohne ein Wort von Ausstattung und Nadelgeld

      Zwei Tage nach den im letzten Kapitel erzählten Ereignissen befand sich Oliver nachmittags um drei Uhr In einem Reisewagen, der rasch dem Geburtsorte des Knaben zurollte. Frau Maylie, Rosa, Frau Bedwin und der gute Doktor waren bei ihm. Herr Brownlow folgte in einer Postkutsche, noch von jemand begleitet, dessen Name nicht erwähnt wurde.

      Sie sprachen unterwegs wenig. Herr BrownIow hatte den beiden Damen und Oliver die Geständnisse, die er Monks abgerungen hatte, vorsichtig mitgeteilt. Jeder hing nun seinen Gedanken nach.

      Als sie sich der Stadt näherten und endlich durch ihre engen Straßen fuhren, war der Junge ganz außer sich. Da stand Sowerberrys Haus gerade noch so wie früher. Er gewahrte Gamfields Karren vor einem Wirtshause. Das Armenhaus, das traurige Gefängnis seiner Kinderjahre, mit den düsteren Fenstern nach der Straße hinaus und demselben dürren Pförtner am Eingang. Es war ihm, als wenn er die Stadt erst gestern verlassen hätte, und sein neues Leben nur ein glücklicher Traum gewesen wäre.

      Sie fuhren am ersten Gasthof vor, den Oliver nur mit Ehrfurcht anzusehen und für einen ganz gewaltigen Palast zu halten pflegte. Hier wurden sie von Herrn Grimwig empfangen, der eitel Freude und Sonnenschein war. Er küßte Rosa und auch die alte Dame, wie sie aus dem Wagen stiegen, als wäre er der Großvater der ganzen Gesellschaft. Er erbot sich nicht einmal, seinen Kopf aufzuessen – nicht einmal, als er einem sehr alten Postillion wegen des nächsten Weges nach London widersprach und es besser zu wissen behauptete, obgleich er ihn nur ein einziges Mal, und zwar im festen Schlaf gemacht hatte. Das Mittagessen und die Zimmer standen bereit alles war aufs beste angeordnet.

      Herr Brownlow erschien nicht beim Essen, sondern blieb auf seinem Zimmer. Die beiden anderen Herren gingen mit wichtigen Mienen ein und aus und flüsterten geheimnisvoll, wenn sie im Zimmer waren. Einmal wurde Frau Maylie abgerufen und kam erst nach einer Stunde mit rotgeweinten Augen wieder zurück. Alles dies versetzte Rosa und Oliver in große Unruhe. Sie saßen stumm da und flüsterten nur, wenn sie sprachen, als fürchteten sie sich vor dem Ton ihrer eigenen Stimme.

      Endlich, als die Uhr neun schlug, traten die Herren Losberne und Grimwig ins Zimmer, denen Herr Brownlow und ein Mann folgte, bei dessen Anblick Oliver laut aufschrie. Es war derselbe Mann, den er damals im Hofe des Gasthauses getroffen und dann an Fagins Seite vor dem Fenster seines kleinen Studierzimmers hatte stehen sehen. Monks warf einen haßerfüllten Blick auf den Jungen und setzte sich unweit der Tür. Herr Brownlow hatte einige Papiere in der Hand und trat an den Tisch, an dem Rosa und Oliver waren.

      "Es ist zwar eine peinliche Sache begann er, "aber diese Erklärungen, die ich in London vor Zeugen niederschreiben und beglaubigen ließ, müssen der Hauptsache nach hier von Ihnen noch einmal persönlich abgegeben werden. Ich hätte Ihnen diese Demütigung gern erspart, aber Sie kennen die Gründe, warum wir sie aus Ihrem eigenen Munde abermals hören müssen, ehe wir uns trennen."

      "Los!" sagte der Angeredete mit abgewandtem Gesicht, "machen Sie schnell. Ich habe genug getan. Halten Sie mich hier nicht unnötig auf."

      "Dieses Kind", fuhr Herr Brownlow fort und zog Oliver an sich, "ist Ihr Halbbruder, der illegitime Sohn Ihres Vaters, meines teuren Freundes Edwin Leeford, und der unglücklichen Agnes Flemming, der die Geburt des Knaben das Leben kostete."

      "Ja", sagte Monks, Oliver zornig anblickend, dessen Herz hörbar klopfte, "es ist ihr Bastard!"

      "Der Ausdruck, dessen Sie sich bedienen", sagte Herr BrownIow ernst, "enthält einen beleidigenden Vorwurf gegen Verstorbene, die dem Urteil dieser Welt längst entrückt sind, und beschimpft keine Lebenden außer dem, der ihn gebrauchte. Doch lassen wir das. Er wurde in dieser Stadt geboren?"

      "In dem Armenhause dieser Stadt", war die mürrische Antwort. "Sie haben die Geschichte doch in den Papieren dort aufgeschrieben."

      "Sie muß auch hier zur Sprache kommen."

      "Also hören Sie", begann Monks. "Als sein Vater in Rom erkrankte, begab sich seine Frau, meine Mutter, von der er lange getrennt gelebt hatte, von Paris aus mit meiner Wenigkeit zu ihm – soviel ich weiß, um sich sein Vermögen zu sichern, denn sie hegte keine besondere Liebe für ihn, wie auch er nicht für sie. Er wußte nichts von unserer Anwesenheit, denn er war bereits besinnungslos und starb am folgenden Tag. Unter den Papieren, die sich in seinem Pulte vorfanden, waren zwei mit dem Datum des Tages, an dem er erkrankte. Sie waren nebst einigen kurzen Zeilen an Sie, Herr Brownlow, adressiert und trugen auf dem Umschlag die Weisung, daß sie erst nach seinem Tode abgeschickt werden sollten. Das eine dieser Papiere war ein Brief an jenes Mädchen Agnes und das andere ein Testament."

      "Und der Brief?" fragte Herr Brownlow.

      "Der Brief? Ein ganzer Bogen voll reuiger Selbstanklagen und Bitten, daß Gott ihr helfen möge. Er sagte darin dem Mädchen, daß ein Geheimnis, das sich eines Tages aufklären werde, ihn verhindert hätte, sich mit ihr zu vermählen. Sie


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