Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.hinauf, aus der sie kamen. Ihre Augen glänzten.
»Freundlich waren die Berge ja nicht zu mir!« sagte sie ernst, »sie haben mich recht unwirsch empfangen, ganz wie einen wilden Eindringling. Aber es ist gut so. Die beiden Tage da oben ... die stehen ganz für sich in meinem Leben. Die vergess' ich nicht. Und ich komm wieder. Ich werbe um die Gunst der Berge, bis sie mir gnädig sind. Einmal muß ja auch dort wieder die Sonne scheinen!«
Er sah sie an mit einem langen seltsamen Blick. Und lange noch, als sie stumm den geröllüberschütteten Pfad hinabstiegen, klang es in seiner Seele nach: Einmal muß ja doch wieder die Sonne scheinen ...
Christen Zum Brunnen blieb plötzlich stehen und stieß ein herzliches Gelächter aus. Das war bei ihm so neu und überraschend, daß die Touristen sich ganz erschrocken nach ihm umwandten.
Er zeigte stillvergnügt den Weg entlang, und jetzt merkten sie, warum niemand aus dem Chalet hatte den Rückweg antreten wollen.
Durch den Regenguß hatten sich Bäche gebildet, die, den Berg hinabströmend, als rauschender Wasserfall auf dem Pfad aufschlugen und dann auf der andern Seite in schäumendem Gischt weiter zu Tale rannen. Wer den Weg fortsetzen wollte, mußte unter der riesigen Regendusche hindurch! Sonst blieb nur die Wahl, umzukehren und sich im Chalet auslachen zu lassen.
»Vorwärts!« rief Elisabeth kampfesfreudig. Ihr Begleiter lachte, und auch der Alte meckerte fröhlich auf.
Es machte ihm offenbar Spaß, daß sie alle nun patschnaß würden. Mit einem raschen Ruck fuhr er in den Wassersturz hinein, drehte sich einmal darin um und zog das Seil, das er in der Hand nach sich geschleift hatte, straff. »Fest am Seil halten!« schrie er der Dame zu.
Die packte das Seil, schloß die Augen und stürzte sich in das Abenteuer. Brrr! Sie schrie laut auf, als plötzlich, mit einem dröhnenden Schlag auf den Kopf die Wassermassen auf sie niederkrachten und das eisige Naß im Augenblick den ganzen Leib entlang rann.
Aber da war sie schon draußen und schüttelte sich. Ein Gefühl tollen Übermutes kam über sie. »Juhuu!« schrie sie, die Hand an den Mund legend, in den Nebel hinein, und aus der Ferne kam das lachende Echo.
Sie fühlte sich am Arm berührt. Ihr Begleiter stand triefend neben ihr. »Rasch laufen!« rief er ihr durch das Brausen des Falles ins Ohr, »damit Sie sich nicht erkälten!«
Im Laufschritt ging's jetzt den steinigen Pfad bergab.
Merkwürdig, sie fühlte gar keinen Frost, und als man an ein zweites kleineres Rinnsal kam, tollte sie lachend mit gesenktem Kopf in die Flut hinein und mit einem mächtigen Sprung wieder hinaus, als ob es sich um eine angenehme Erfrischung handelte. Schien doch derselbe zarte Körper, dem im Ballsaal ein offenstehendes Fenster schwere Krankheit bringen konnte, hier in Anspannung und kräftiger Bewegung wie gefeit gegen alle Schäden.
Und nun lagen endlich Grindelwalds weit über die Matte hin zerstreuten Häuschen und die um den Bahnhof gruppierte Hotelkolonie vor ihr.
In der regenglänzenden Dorfgasse standen überall Gäste, Bergführer und Dienerschaft von den Hotels und warteten auf die zurückkehrenden Expeditionen, denen bei dem üblen Wetter so leicht ein Unfall in den Bergen zustoßen konnte.
Am Portal des »Bär« verhandelte ein schmächtiger, peinlich elegant gekleideter Herr mit einigen Führern und dem Hotelier. Er mochte zu Anfang der Dreißig sein. Sein fein geschnittenes gutmütiges Gesicht mit dem kleinen blonden Schnurrbart trug den Ausdruck von Angst und Erregung.
»Natürlich!« sagte Elisabeth stehenbleibend, und ein Schatten des Unmuts zog über ihr schönes Gesicht, »... und in tausend Ängsten, wie ich mir's dachte!«
»Kennen Sie den Herrn?« fragte ihr Begleiter.
Sie sah zur Seite. »Es war ja eigentlich nicht recht«, sagte sie mit gepreßter Stimme, »aber es machte mir anfangs so Spaß, wie Sie mich gleich mit ›Fräulein‹ anredeten und mich als junges Mädchen behandelten. Den Ring hatt' ich ja auch in die Tasche gesteckt, weil er mir beim Klettern so hinderlich war ... und dann später fand ich gar nicht mehr den Mut, Ihnen meine Unvernunft zu gestehen ...«
Der Herr trat einige Schritte vor.
»Da hört doch alles auf, Elisabeth!« rief er, und man merkte an seiner Stimme, wie viel Mühe er sich gab, sich vor den Fremden zu beherrschen. »Ich fahre, nichts Böses ahnend, auf einen Tag nach Interlaken, und das benutzest du, um ...«
»Es ist mein Mann!« Elisabeth sprach das rasch und halblaut vor sich hin, ohne ihren Begleiter anzusehen. Dann reichte sie dem alten Christen und ihm hastig die Hand. »Schönsten Dank! ich muß mich jetzt eilen! ... Wir sehen uns ja heute abend bei der Table d'hote!«
Sie ging mit raschen Schritten davon. Der andre sah ihr einen Augenblick nach, dann trat er durch eine Seitentür in die Küchenräume des Hotels.
»Richten Sie mir Proviant für drei oder vier Tage!« ordnete er an, »ich gehe in ein paar Stunden wieder hinaus!«
Zum Brunnen, der ihm gefolgt war, nahm vor Erstaunen die Pfeife aus dem Mund.
»Bei dem Wetter geht der Herr aus?«
»Ja.«
»Wohin denn?«
»Ich denk ins Lauteraargebiet!«
»Und wenn das schlechte Wetter anhält?«
»Dann, mein guter Christen« – der Herr klopfte ihm auf die Schulter – »wird es im Tal regnen und oben auf dem Firn schneien. Und ich werde in der Klubhütte sitzen und mir eins pfeifen!«
Der alte Christen zweifelte.
»'s könnt ja sein, daß sich's bis übermorgen aufhellt«, meinte er endlich gedankenvoll.
»Um so besser!« Der andre wandte sich zum Kellner: »Also rasch die Provisionen und die Rechnung. Ich pack' unterdessen und zieh mich um ...«
»Geht der Herr denn ganz fort?«
»Ich denke!« sagte der, »fürs erste wenigstens komme ich nicht nach Grindelwald zurück.«
IV
»Nee ... was zu doll ist, ist zu doll ... da hört sich denn doch verschiedenes auf ... Komm ich da ganz gemütlich aus Interlaken vom Bankhaus mit 'm Geld in der Tasche ... frage: ja, zum Kuckuck ... wo steckt denn meine Frau? ... Einfach weg ... verschwunden ... Gott weiß wohin ... der Nachmittag vergeht ... Abends bekomm ich die Mitteilung: Ihre Frau kampiert irgendwo in den Gletschern in 'nem Ziegenstall oder so was Gutem! Die Nacht vergeht ... der nächste Morgen ... und dann endlich kommt ein unbekannter Mann vom Berge und liefert mir freundlicherweise meine Gattin wieder ab ... nein ... nein, liebes Kind ... ich denke ... du wirst mir zugeben, daß ich ein guter und rücksichtsvoller Ehemann bin ... aber mißbrauchen darfst du das auch nicht ... sonst ... sonst zwingst du mich eben auch, andre Saiten aufzuziehen.« Er wandte ihr den Rücken und sah zornig durch die regenblinden Scheiben hinaus in den grauen Nachmittag.
Vom Bette aus, in dem sie lag und ihren Tee schlürfte, sah ihn Elisabeth mit einer Art finsterer Neugierde an.
Er kam ihr so fremd vor, dieser elegante Aristokrat, der, immer mit gedämpfter Stimme und dem Bemühen, ihr nichts eigentlich Verletzendes zu sagen, sie nun schon seit zwei Stunden wie ein kleines Kind ausschalt.
Und doch war das ihr Mann. Und – darin hatte er ganz recht – ein guter und rücksichtsvoller Ehemann, um den schon viele ihrer Freundinnen sie beneidet hatten.
Sie lebten ja auch ganz glücklich miteinander – nicht gerade in verzehrender Zärtlichkeit, sondern als zwei gute lustige Kameraden. Ihr Schloß im Thüringischen war selten leer von Gästen, der heitere hochragende Herrensitz, um den im Winter das Knallen der Büchsen durch die kahlen Zweige scholl und im Herbst das fröhliche Kläffen und Rosseschnauben der Hasenhetze tönte. Wo sie sich im Lärm der Lawn-Tennis-Partien,