Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.hinein ... und kümmerten sich recht wenig um das, was ...«
»So leben wir ja auch!« unterbrach sie ihn, und ein herber Zug spielte um ihre Lippen; »ich glaube, wir sind recht unnütze Menschen ... Ich hab's schon immer dunkel gefühlt, und hier in der Einsamkeit erkenne ich es klar, wie wenig wir was Rechtes aus uns machen ...«
Er war aufgestanden und ging mit schweren Schritten durch die Hütte.
»In der Einsamkeit ...« sagte er langsam, vor ihr stehenbleibend und sah auf sie nieder, »jawohl, mein Fräulein ... die Einsamkeit ist eine gewaltige Macht. Glauben Sie das einem einsamen, ganz einsamen Menschen wie mir: die Wüste hier ... die ist wie ein Spiegel. Darin schauen wir uns selbst, und es ist, als ob Staub und Stein uns zurufen: sieh, das bist du ... Wohl dem, der sein Spiegelbild ruhig betrachten kann!«
Sein Gesicht hatte sich verändert. Düsterkeit und Grimm spielten darüber hin, und ein Ausdruck mächtiger Empfindung lag in seinen großen, starr ins Weite gerichteten Augen. Sie schlug die Wimpern zu ihm auf. »Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe!« sprach sie scheu.
»Sie stören nicht!« Er ließ seine muskulöse Gestalt auf den Stuhl neben sie gleiten und wurde wieder ganz ruhig. »Aber all die dalketen Gletscherbummler ... das müßige Pack, das sich im Gebirge umhertreibt wie die Affen auf'm Jahrmarkt ... die können einem die Berge verleiden ... da werd' ich grob wie Bohnenstroh!«
»Das hab' ich gemerkt!« sagte sie hell auflachend.
»Die empfinden ja nichts dabei!« fuhr er grimmig fort ... »hingegen ... wer mit offenem Aug' da hineinschaut ... Sie haben ja ganz recht mit Ihrem dunklen Drang, etwas zu sehen und zu erleben. Unsre Schuld ist's ja, daß aus den Frauenzimmern nichts Gescheites wird. Wir räumen ihnen alle Größe und alle Schrecken des Lebens aus dem Weg, wir halten sie zeitlebens wie die Kinder, wie die Puppen, statt sie emporzuziehen und ihnen eine wahre Menschenseele zu geben ... und dann wundern wir uns womöglich noch« – er zog eine Zigarre heraus und schnitt nachdenklich die Spitze ab – »daß sie sind, wie sie eben sind!« ergänzte er ruhig und warf die Spitze in die Ecke.
»Aber so sind sie nicht alle!« sagte Elisabeth herbe.
Er zuckte die mächtigen Schultern. »Die paar, die anders sein möchten, können's doch nicht! ... und außerdem ... wer weiß, ob's irgendeiner damit wirklich ernst ist ... ich glaub's nicht!«
Er schwieg, große Rauchwolken in die Dämmerluft blasend. Und Elisabeth hatte die deutliche Empfindung, daß in dem Leben dieses finsteren Gletscherwanderers die Frauen schon eine große und keine glückliche Rolle gespielt hatten. Nach einer Weile stand er plötzlich auf, öffnete die Tür der Hütte, warf einen Blick ins Freie und winkte ihr dann leise, fast geheimnisvoll, mit hinauszukommen. Sie tat es und blieb wie geblendet stehen ...
In Vollmondschein gebadet lag die Gletscherlandschaft vor ihr.
Ein helles, bläulich flutendes Licht spielte über dem glitzernden Eis, dem warmen Weiß der Schneedecken. In schwarzen ungefügen Rissen zeichneten sich kreuz und quer laufend die Gletscherspalten davon ab. Ein feiner weißer Rauch schwebte darüber, und in dieser eisigen Ausdünstung des Gletschers gewannen die halb verschleierten, seltsam ragenden Zacken, die Säulen und Türme dieser Eiswelt den Anschein märchenhafter Fabelgestalten.
Über der spiegelnden Fläche erhoben sich im Hintergrund die Berge. Wie große weiße Flecken schwammen die Schneefelder an dem tiefblauen Nachthimmel, und erst bei näherem Hinsehen erkannte man die sie umschließenden schwarzen Umrisse der Felswände und Geröllhalden. Bis in den Himmel hinein schienen die mattleuchtenden Gipfel zu ragen. Dicht neben und über den unregelmäßigen Schneeflocken funkelten in winterlicher Klarheit die Sterne, und stand der Vollmond am Himmel, der Beherrscher dieser reglos schweigenden, wie aus blauem Dämmerlicht gewebten Traumwelt.
Die Luft war seltsam lau und weich. Sie umspielte schmeichelnd die Stirne. Und beinahe unheimlich wirkte dieser warme brünstige Hauch inmitten der starren Öde.
Von oben, vom ewigen Schnee herab, klangen zuweilen seltsame Töne. Ein langgezogenes Seufzen, wenn der Wind in Felsenklüften spielte, ein jauchzendes Pfeifen, wenn er frei über das Feld dahinfuhr ... verhallende Rufe wie von Menschenstimmen ... wie das Grollen böser Tiere ... dann wurde wieder alles still ...
Elisabeths Augen wurden feucht, und schwere Atemzüge hoben ihre Brust. »Ist's schön?« hörte sie neben sich die Stimme ihres Begleiters. Sie schüttelte den Kopf.
»Mehr wie schön! Das ist groß! Das nimmt uns alles Kleinliche und Klägliche aus dem Herzen!«
Er wandte den Kopf zu ihr. »Gerade das, was Sie da sagen, hab' ich eben gedacht!« sagte er kurz.
Sie schauten sich an und wußten, daß sie sich in diesem Augenblick verstanden. Oben im Gletscher stöhnte es auf. Ein Föhnstoß kam von da herab und umfing sie, heiß und schauernd wie der Atem eines Riesen.
Sie sprachen kein Wort mehr, bis sie wieder in die Hütte traten, in der der alte Christen ruhig weiter schnarchte.
Während Elisabeth sich niedersetzte, zog ihr Begleiter ein Fläschchen heraus und wog es in der Hand. »Ich wollt's morgen auf dem Gipfel trinken!« sagte er, »aber ich seh' schon: das Wetter wird ganz schlecht! ... also ... damit nichts verlorengeht.« Er goß zwei Becher voll Champagner und reichte ihr einen herüber. »Trinken Sie nur! Sie verdienen's!«
»Wahrhaftig?« – sie leerte fügsam den Becher – »das hätte ich nun wirklich nie geglaubt, daß Sie mich Störenfried noch mit Champagner bewirten würden ...«
Er schaute ihr lächelnd zu. Lassen Sie sich's schmecken!« sagte er und schenkte ihr wieder ein, »und vergessen Sie Ihr erstes Abenteuer in den Bergen nicht.«
»Und meinen Beschützer auch nicht!« Sie hob ihren Becher und trank ihm ernsthaft zu.
Er nickte. »Sie können meinen Schutz schon annehmen. Ich bin ein alter Mann gegen Sie! Wie alt sind Sie? ... vierundzwanzig ... fünfundzwanzig ... so was ... sehen Sie ... da bin ich reichlich zehn, zwölf Jahre älter wie Sie, mein Fräulein ...«
»Aber Junggeselle!« Sie wies auf seine Hand und schaute ihm lustig fragend ins Gesicht.
Er hielt ihren Blick aus, mit ernsten trüben Augen, und schüttelte leicht den Kopf. »Ich war schon verheiratet«, sprach er.
Ihr Gesicht wurde ernst.
»Und sie ist gestorben? ... ach ... Sie Armer!«
Er hatte sich erhoben und ging mit seinen schweren, kraftvollen Schritten quer durch das Zimmer, um das Gletscherseil zu holen. »Gestorben nicht!« sagte er gleichgültig und nestelte an dem Strickwerk; »es geht ihr soweit ganz gut auf der Welt!«
Also geschieden! Jetzt begriff sie manches und schaute still zu, während er ein Ende des Gletscherseils an Balken und Wandhaken derart befestigte, daß es quer über das Strohlager hinwegging. Über das Seil hängte er dann eine der Wolldecken, so daß ein eigener kleiner, durch die beiden Hüttenwände und den Woilach gebildeter, nach vorn offener Verschlag entstand, in dem er noch ein ledernes Kopfkissen und eine Decke auf das Stroh niederlegte.
»So ... da ist Ihr Kämmerchen!« sagte er gleichmütig ... »nun kriechen Sie hinein und legen Sie sich aufs Ohr. Morgen ist auch noch ein Tag. Ich lösche das Licht aus. Dann können Sie es sich ganz ruhig bequem machen.«
Die Hütte ward dunkel. Eine Weile knisterte es noch im Stroh. Dann hörte man nichts mehr als das Schnarchen des Alten. »Gute Nacht!« rief eine helle Stimme aus dem Verschlage hervor.
»Gute Nacht!« erwiderte er, und sie schlossen die Augen.
Aber noch lange lagen die beiden schlaflos da.
III
Mitten in der Nacht wachte sie plötzlich auf. Ein unbestimmtes Geräusch hatte sie geweckt.
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