Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Tasse mit Milchkaffee und brockte Brot hinein. »Aber da steckt's eben. Es gibt nun einmal Dinge auf der Welt ... wenn man die einmal hinter sich hat, so begreift man die Menschen nicht mehr und will mit ihnen nichts mehr zu tun haben, nicht im Guten und nicht im Bösen ...«
Seine Ruhe verdroß sie ... »Und wenn nun jeder ein solcher Menschenfeind wäre«, fragte sie erregt ... »wie würde es dann wohl auf der Welt aussehen? Denken Sie einmal selbst nach, was ...«
Er schüttelte den Kopf und sah ihr ins Gesicht. »Glauben Sie mir«, sagte er langsam, »den Menschenfeinden tut man unrecht. Das sind zumeist Leute, die nicht zu schlecht, sondern zu gut von der Menschheit gedacht haben, die sie zu ernst und zu tief genommen haben. Das verdient sie nicht ... Die Menschenfeindschaft kommt aus der Menschenliebe! ... oder sogar ... sie ist ein und dasselbe ... es ist Liebe, die nichts findet, was ihrer wert wäre.«
Er sah gleichmütig zum Fenster hinaus in das Geriesel von Regen und Schnee und hüllte sein buschiges Haupt in eine Wolke von Zigarrenqualm. Elisabeth wußte nicht recht, was sie ihm erwidern sollte.
»Ein so einsamer Mensch muß doch sehr unglücklich sein«, sagte sie leise. »Man gewöhnt sich dran!« erwiderte er kurz, »und dann ist einem wohl dabei. Und außerdem ... kein Mensch ist unglücklich, der die Natur noch hat. Die Berge da ... die bleiben mir immer treu. Die lügen und trügen nicht. Die schmeicheln nicht. Die haben meine volle Hochachtung! ...«
»Das begreif' ich wohl« – sie stockte – »und daß ein Mann von den Frauen nichts mehr wissen will, das kommt ja auch vor. Aber dann hat er doch andre Männer ... ich meine, wenigstens einen guten Freund, der ...« Sie erschrak und brach ab. So unheimlich war das grimmige Leuchten, das blitzschnell über sein Gesicht fuhr und wie in wütendem Haß aus seinen Augen sprühte. Er sah furchtbar aus in diesem Moment. Aber schon nahmen seine Züge den gewohnten ruhigen Ausdruck wieder an.
»Freundschaft?« sagte er, »glaubt man bei Ihnen wirklich noch an das Fabeltier!? ... Das ist ja ein Kindermärchen! Aber freilich ... es gab 'ne Zeit ... da war ich auch nicht klüger. Da hatt' ich auch einen Freund ... einen Herzensfreund ... 's ist jetzt fünf Jahre her ... Und ... seitdem sag' ich mir: Verflucht, wer auf Menschen baut! ...«
Elisabeth senkte das Haupt. Jetzt konnte sie sich wohl denken, was dem Manne da vor ihr die Lebensfreude geraubt hatte.
Der war inzwischen aufgestanden und ans Fenster getreten. »So geht's«, meinte er nach einer Pause, halb lachend, halb ärgerlich, »wenn ein schweigsamer Mensch wie ich, der seit Wochen kaum ein Wort gesprochen, ins Schwatzen kommt. Da erzählt man Dinge, die Sie gar nicht interessieren können und die auch gar nicht für Ihre Schönheit und Jugend passen.«
»Ich hab' Ihnen gern zugehört«, sagte Elisabeth; »hier in den Bergen kommt ein Mensch dem andern nahe. Denken Sie nur, wenn wir uns unten im ›Bär‹ an der Table d'hote getroffen hätten! Was hätten wir da für unnützes Zeug über das Wetter und das Essen und Gott weiß was gesprochen ...«
»Es wäre doch besser gewesen!« Er trat auf sie zu und sah, ihre Hand fassend, aus seinen grauen Augen auf sie herab ... »Vergessen Sie das alles, was ich gesagt hab' ... 's ist Unsinn! Und Ihnen wünsch' ich eines von Herzen: einen rechten ordentlichen Mann, dem Sie kein Spielzeug, sondern ein treuer Freund sind ... Dann werden Sie eines Tages über mich armen Menschenfeind lachen und recht daran tun ...«
Sie zögerte einen Augenblick. Dann öffnete sie mit raschem Entschluß die Lippen, wie um ihm etwas zu gestehen. Da trat der alte Christen wieder ein.
»Besser wär's schon«, knurrte er, »wenn man ginge. Das Wetter würde doch nur noch schlechter. Und wenn's zum Schneesturm käme, könnte man mit ›ihr‹ überhaupt nicht mehr die Felsen entlang.«
Er schaute auf Elisabeth, und der andre nickte nachdenklich. »Wir müssen halt zusehen, wie wir sie bei dem Neuschnee über die Bänder bringen«, sagte er kurz.
»Die hat schon Courage«, erwiderte der Alte und fing an, die Blechteller zu reinigen, den Boden zu fegen und die Hütte wieder in Ordnung zu bringen. Endlich war das alles geschehen, die Asche ausgeleert, das Feuer bis auf den letzten Funken sorgsam verlöscht, das Stroh aufgeschüttelt und die Namen in das Fremdenbuch eingetragen.
»Haben Sie sich's Gesicht tüchtig mit Vaseline eingerieben?« fragte der Gletschermann. »Ja ... alsdann ... los!«
Sie stiegen den Schutthang hinab bis zum Gletscher. Dort wurde das Seil hervorgeholt.
»Kommen wir denn an gefährliche Stellen?« fragte Elisabeth, während sie die Arme hoch hob, um sich das Seil umlegen zu lassen. Aber ihr Begleiter sagte nur: »In vier Stunden sind S' unten!« und verknüpfte sorgsam den Knoten.
Über den Gletscher, den sie schon von gestern kannte, ging es mühelos dahin. Dann nach rechts in ein Gewirr von Steinblöcken und Felstrümmern, die sich zwischen dem Eisstrom und der Bergwand hinzogen. Enger und enger wurde dieser Geröllstrich. Endlich hörte er ganz auf. Vor ihnen senkte sich der Bergsturz direkt zum Gletscher herab. Nur eine schmale, mit blendendem Neuschnee bekleidete Kante zog sich als ein kaum fußbreiter Sims längs des verwitterten Gesteins dahin, ab und zu in dessen senkrechten Rissen verschwindend und auf der andern Seite der Kaminwand wieder auftauchend.
»Da sollen wir herüber?« fragte sie kühl. Aber ihr Herz pochte doch ein wenig.
Er drehte sich zu ihr um. »Sie sind gestern über ganz andre Stellen gegangen! Wenn nicht Neuschnee wär, dann hätten wir hier die reine Chaussee. Die Felsbänder kommen bloß den Anfängern so grauslich vor ... das ist eine alte Geschichte.«
Vorsichtig tappten und schoben sie sich dahin, bei jedem Schritt mit dem Fuß in dem glitschrigen, tückischen Neuschnee den festen Steinboden suchend und mit den Händen an den Griffen der überhängenden Felswand entlang tastend. Anfangs hatte sie starr vor sich auf die Fußstapfen gesehen. Jetzt wurde sie kühner und wagte einen Blick nach rechts in den Abgrund hinab.
Aber sie mußte sofort stehenbleiben und den Kopf nach dem Gestein wenden, um das ihre Finger sich krampfhaft krallten. Nicht, daß sie schwindlig geworden wäre! Aber diese scheußlichen Gletscherspalten da unten in der Tiefe, die wie hungrige Bestien mit aufgerissenem Rachen auf sie warteten ...
Er drehte sich um. »Wollen S' wohl gradaus schauen!« schrie er zornig, »das fehlte noch, mit dem Gletscher da unten kokettieren! ... Ich hab' keine Lust, mir wegen Ihnen 's Genick zu brechen! Und der Christen auch nicht!«
Seine Grobheit gab ihr neuen Mut. Sie stand jetzt an einer Stelle, wo das Band in spitzem Winkel in einen Felskamin einsprang und auf der andern Seite wieder herausführte. Hier mußte man einen Schritt über den Abgrund tun, der fünfhundert Fuß tief unter ihr gähnte.
Er war schon drüben. »Vorwärts!« schrie er, »ein ordentlicher Sprung! ...« Sie holte tief Atem und sprang hinüber. Fast ehe sie dort mit den Füßen den Boden berührte, hatte er sie schon mit einem gewaltigen Ruck nach sich gezogen, daß sie, hart an ihn gepreßt, fest dastand.
Der alte Christen stieg, zerstreut um sich blickend, mit einem langen schlenkernden Storchschritt über die Kluft, wie man eine Straßenrinne überschreitet, und weiter ging's, die steilen Hänge entlang bis zu der letzten Wand.
An dieser waren Eisenstifte zum Herunterklettern angebracht. Aber die glasharte, spiegelglatte Eisschicht, die heute das Metall überzog, machte die Sache mühsam.
»Nur fest zugepackt!« hörte sie unter sich seine Stimme, während sie, an den Felsplatten hängend und rutschend, mit Händen und Füßen tastend und mühsam unter dem straff gespannten einschnürenden Seile Atem holend, die Höhe hinabstrebte, »in das Eisen greifen, als ob man's zerquetschen wollt' ... so ist's recht ...«
Sie kam ein wenig ins Rutschen und stieß mit der Stiefelspitze in seinen Nacken. »Verzeihen Sie!« rief sie lachend. Er antwortete nicht, sondern schwang sich über einen Felsrand, der etwa zehn Fuß glatt abfiel, auf das Geröll des Gletschers.
»So!« sagte er von unten und wischte sich den Schweiß von der Stirn, »das war die letzte Station. Von der kommen Sie nicht herunter, ehe Sie mir nicht Pardon gewährt haben!«
»Wofür