Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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hab'! ... aber im Gebirg ist das das beste Mittel, wenn einer zaghaft wird.«

      Sie lachte hell auf, warf einen flüchtigen Blick nach hinten, ob Christens Seil lang genug sei, und sprang so rasch herunter, daß er gerade noch Zeit hatte, die Arme zu öffnen und sie aufzufangen.

      Eine Sekunde hing sie an seiner Brust, seine Hände hielten ihren schlanken Leib umfaßt, und ihre Augen trafen sich, dicht vor seinem Antlitz leuchtend, mit den seinen in einem jähen, erschrockenen Blick.

      Dann ließ er sie sanft auf den Boden gleiten. »So ... jetzt ist's überstanden ...« sagte er rauh und wandte den Blick von ihr hinweg, wie sie von ihm, »jetzt noch 'ne Stunde über den Gletscher! Dann kommen wir zum Chalet, und die arme Seele hat Ruh'.«

      Es war eine schweigsame Wanderung. Kaum ein Wort wurde zwischen den beiden gewechselt, während sie in Nebel und Regen über das Eis dahinschritten, und mehr als einmal mußte der alte Zum Brunnen von hinten einen warnenden Zuruf ertönen lassen. So sehr schienen die beiden in die Gedanken versunken, die seltsam und jählings ihre Seele erfüllten.

      Auf hohen Leitern stiegen sie vom Gletscher zu dem kleinen Bergwirtshaus empor.

      Eine Menge Alpenstöcke lehnte in der Veranda, Stimmengewirr und Gläserklirren tönte von innen, und in der Küche sah man vor dem flackernden Herdfeuer eine Anzahl Führer, meist ältere, zu großen Expeditionen nicht mehr brauchbare Männer, sitzen. Der Lichtschein spielte über den verwetterten Gesichtern und den braun gekleideten Gestalten.

      Das Chalet war überfüllt. Gletscherbummler aller Nationen, bergstockbewehrte Touristen, Damen und Kinder, allerhand Leute, die hier einmal der Eisregion einen ungefährlichen Besuch hatten abstatten wollen, drängten sich durcheinander und klagten über das schlechte Wetter.

      Der Rückzug nach Grindelwald war abgeschnitten!

      Es stürzten Wassergüsse auf den Saumpfad, berichtete die Wirtin, während sie den Hochgebirgswanderern Wein und Brot vorsetzte – man könne nicht durch, bis der Regen ein paar Stunden aufgehört habe.

      Das waren schöne Aussichten. Mißmutig sahen die beiden in das Getümmel dieser mit Rundreisebillett und Bädeker behafteten, alpensimpelnden Menschheit um sie her. An einem Tisch ein Schwarm bebrillter, magerer Studenten, andächtig um einen jungen Engländer geschart, der, die Stummelpfeife im Mund, die Hände in den Hosentaschen, ihnen Aufschlüsse über die Besteigung der »Jungfrau« vom Trümmletental aus gibt und sich für die in gebrochenem Deutsch hingeworfenen Weisheitsbrocken durch atemlose Aufmerksamkeit belohnt sieht.

      Daneben eine pikante Brünette. Eine Italienerin mit ihrem Mann. Sie hat sich als »Socia d. club Alpino Italiano« im Fremdenbuch eingeschrieben und blickt verwegen drein. Aber unten in der Küche erzählen sich lachend die Führer, daß die zierliche Dame schon auf dem Saumpfad über Grindelwald schwindlig wurde.

      Ein paar Genfer sitzen neben der Socia und machen ihr in elegantem Französisch den Hof. Um den Mann, einen finstern, bräunlichen Herrn mit pechschwarz flackernden Augen, kümmern sie sich nicht besonders.

      Wird an diesem Tisch geflüstert, so brüllt und wettert es an dem nächsten. Vollbärtige, dickbäuchige Männer aus Süddeutschland sind es, in Jägerschen Normalhemden und mit grasgrünen Rucksäcken bewehrt. Ihr Orakel ist der in ihrer Mitte thronende dicke alte Herr, der vor zwanzig Jahren einmal auf dem Ortler war! Ihm kann das schon nicht imponieren, dies Getue mit den Berner Alpen, auf die schließlich jeder Schneidergeselle heutzutage steigt ... und überhaupt ... die Schweiz ... diese Hotels ... diese Engländer ... diese Preise ...

      Der magere Tourist aus Frankfurt sekundiert ihm. Diese zerfallenen Strohställe, die man in der Schweiz Klubhütten zu nennen beliebt! Er möchte die verehrlichen Obmänner der Sektionen nur mal an der Nase nehmen und nach Tirol führen ... Payerhütte etwa ... oder meinetwegen in das bayrische Knorrhaus. Dort könnten sie ihr blaues Wunder sehen ... an reinlichen Betten und gutem Konservengulasch und Pschorrbräu vom Faß ...

      Er bricht erbost ab, und niemand begreift, warum der magere Tourist aus Frankfurt nicht in der Payerhütte oder dem Knorrhaus bleibt, statt alljährlich in die Schweiz zu reisen.

      Ein Spaßmacher ist auch da ... ein junger, gelenkiger Mensch, in weißem Flanell und himmelblauer Leibbinde. Er reißt Witze über das Wetter, er rennt hinter der Saaltochter her, und neben seinem Stuhl lehnt eine lange, nägelbeschlagene Holzlatte, die er scherzeshalber als Bergstock benutzt.

      Einige sich ziellos im Zimmer herumlümmelnde junge Yankees zwischen zwölf und fünfzehn, eine bildhübsche und zwei gespenstig häßliche Engländerinnen in grünem Schleier und Wettermantel, ein deutsches Ehepaar auf der Hochzeitsreise, das, Hand in Hand dasitzend, gleichmäßig in sanftmütigem Takte gähnt, ein schnarchender robuster Urschweizer, auf seinem Stuhle hin und her schwankend wie ein Schiff im Sturm ... und dazu draußen das Rieseln des Regens, der Dunst der nassen Kleider, der Fettqualm aus der Küche ...

      »Lange halt ich's hier nicht aus!« sagte Elisabeth und schloß die Augen. Undeutlich klang der Wirrwarr der Gespräche an ihr Ohr.

      »Good weather ... good guides ...« Der junge Gentleman am Fenster blies ein Rauchring aus seiner Stummelpfeife ... »and the Gross-Schreckhorn is not eagerly difficult!«

      »Sie waren wohl schon häufig oben?« erkundigt sich schüchtern ein Student.

      »Den direkten Aufstieg zur Großglocknerscharte?« – im Kreis der dicken Männer entsteht ein wütender Wortstreit – »ja ... lesen S' denn die ›Mitteilungen‹ überhaupt nicht? ... Wenn ich's Ihnen doch sag' ... der Pallavicini hat's gemacht ... schon lang vor seinem Unglück!«

      »Quelle odeur!« seufzt die schöne Socia und weht mit der flachen Hand die vom Nebentisch herüberflutenden Tabakwolken auseinander.

      »Was ist ihm denn passiert ... diesem Herrn Pallavicini?« Der hagere Oberlehrer rückt sich die Brille zurecht.

      »Abgestürzt ist er ... der Markgraf!« belehrt ihn finster der Mann vom Ortler, »schon lange ...« Und aus seinem Tone klingt es heraus: »Unbegreiflich, wie jemand das nicht wissen kann!«

      Der Jüngling mit der Holzlatte räuspert sich: »Diese Art von Bergkraxelei ist doch einfach jemeinjefährlich ... hat jar keinen sittlichen Wert ... Überhaupt ... Wirtshäuser von innen, Berge von unten ... Kirchen ...«

      »Ich uollte morgen weitergehen«, sagt die hübsche Engländerin und mustert wohlgefällig ihren schlanken schnurrbärtigen Führer, den sie aus der Küche hat rufen lassen, »aber das Weg ist so schmal ... und ich bin so ... so schlecht im Kopfe!« Der Führer lacht.

      »Ihr Kopf schaut ganz gut aus!« meint er. Sie trennen sich mit derbem Handschlag und werden morgenen, wenn das Wetter es erlaubt, weiter zur Strahlegg pilgern.

      Der alte Christen schob sich ins Zimmer, suchte seine Dame und blieb dann schweigend vor ihr stehen.

      Das hieß: sollen wir uns hier häuslich einrichten, oder versuchen wir, trotz alledem nach Grindelwald zu kommen?

      Sie stand auf und langte nach dem triefend feuchten Wetterhütchen und den durchweichten Handschuhen. »Hier ist's greulich«, sagte sie entschlossen, »ich gehe!«

      Der Bergführer warf einen zweifelnden Blick auf den Herrn. Der erhob sich schwerfällig. »Patschnaß werden Sie!« sprach er schmunzelnd, »wie eine gebadete Katz' kommen S' nach Grindelwald und müssen ...«

      Sie unterbrach ihn empört. »Fangen Sie auch schon an? ... Als ob ich von Zucker wäre! ... Lächerlich!«

      Dabei hatte sie schon die Türklinke in der Hand und erst sein Zuruf: »Sie wollen wohl mit der Zeche durchgehen!« veranlaßte sie, wenigstens so lange zu warten, bis die Rechnung berichtigt war. »Da ist mein Anteil!« sagte sie und drückte ihm das Geld in die Hand, das er zu ihrer Beruhigung, ohne ein Wort zu verlieren, einsteckte. Die Tür fiel hinter den dreien ins Schloß und trennte sie von den Philistern.

      »Gott sei Dank, daß wir da heraus sind!« rief sie und schaute, die Arme ausbreitend, in das stürmische Regen- und Schneetreiben, das sie umgab, »hier ist's viel schöner!«


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