Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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»Wohl. Und jetzt sind wir von der »Jungfrau« umgekehrt und gehen zu einer andern Hütte. Wenn heute von Rotthal her Partien über die »Jungfrau« kommen und erzählen in Grindelwald, sie hätten niemand in der Berglihütte getroffen, so könnt' man meinen, es wäre uns im Nebel übel ergangen.«

      Zum Brunnen nickte, und Wägi fuhr fort: »Sie kommen mit dem Christen allein gut über den Gletscher. Es ist besser, ich lauf' unterdes hinunter. Zu machen ist morgen doch nichts bei dem Wetter!«

      So geschah's. Er seilte sich los und verschwand in hurtigem Trab, um längs der Gletscherfelsen hin noch vor völliger Dunkelheit das vier Stunden entfernte Dorf zu erreichen, und mit dem Alten allein stieg Elisabeth die Moräne empor.

      Das schlüpfrige Geröll kollerte ihr unter den Füßen weg. Bei jedem Schritt aufwärts sank sie wieder eine Strecke zurück, bis endlich der Führer ihr beistand. Er reichte ihr den Handgriff seines Pickels. Den umfaßte sie mit beiden Händen, während er den Bergstock nahm, und ließ sich von ihm heraufziehen zum Rande des hier beinahe ebenen und schneefreien Gletschers.

      Stundenweit stieg der von da noch in die Bergeinsamkeit empor. Da, wo sein Abfall steiler wurde, erschien er wie zernagt und zu bizarren Gebilden zerfressen. Schwerfällig krochen die Nebelschwaden über die zerrissenen Schlünde und Zacken dahin, ein feuchtes graues Geriesel erfüllte die vom eisigen Dunst der Gletscherspalten erkältete Luft, ein zweckloses Durcheinanderfluten, ein Sich-Auflösen und Wiederfinden schleierhafter Gebilde, durch das unermüdlich in der feierlichen Stille das Rauschen der milchig trüben Gletscherwasser drang.

      »Wie ein Zauberland!« dachte Elisabeth, während sie hinter dem Alten her leichtfüßig über das Eis schritt.

      Der Führer blieb stehen und deutete mit der Hand vor sich hin.

      Dort lag, ein paar hundert Schritte entfernt, das Ziel ihrer Wanderung, die einsame Klubhütte.

      Wie eine Insel erhob sich der kleine Geröllhügel aus den Eismassen, deren starre Fluten ihn auf drei Seiten umbrandeten, während auf der vierten der Berg steil hinanstieg. Auf dem Hügel stand als ein schwärzliches Häufchen die Hütte, dürftig aus Steinen aufgemauert, verwettert und schutzsuchend an ein paar riesige Steinblöcke angeduckt.

      Vor der Hütte aber sah man einen dunklen Punkt, der sich langsam auf und nieder bewegte.

      »Schrecklich!« sagte Elisabeth. »Es sind schon Leute da! ... Mindestens ein Tourist mit zwei Führern! Wie sollen wir dann alle in dem winzigen Häuschen Platz finden!«

      Der alte Zum Brunnen hatte geschwiegen und nur zuweilen im Vorwärtsschreiten unter der vorgehaltenen Hand spähend ausgelugt.

      Jetzt schienen seine falkenscharfen Augen den Fremdling erkannt zu haben.

      »Der Herr ist allein!« murmelte er.

      Elisabeth blickte nach der dunklen Gestalt, die eben im Inneren der Hütte verschwand.

      »Kennen Sie ihn denn?«

      Darauf gab der Alte keine direkte Antwort. »Der Herr geht ohne Führer hinaus«, versetzte er und zog das wider alle Gletscherregeln am Boden schleifende Seil straff.

      »Aber ist denn das nicht gefährlich?«

      Der greise Bergführer drehte sich zu ihr um, und es war, als ob ein Lachen um die Runzeln und Falten seines zahnlosen Mundes spiele. »Das ist ein rechtschaffener Herr!« sprach er lauter als sonst und setzte beinahe feierlich hinzu: »Dem steht das Groß-Schreckhorn wohl an!« »Und fabelhaftes Glück hat er auch!« dachte Elisabeth und stieß in eiligem Vorwärtsschreiten energisch den Bergstock in das körnige Eis ... »daß ihm in dieser schauerlichen Einsamkeit wider alles Erwarten die Gesellschaft einer nicht gerade häßlichen und leidlich jungen Dame zu teil wird!«

      »Aber erst wollen wir sehen, ob er dies Glück überhaupt verdient!«

      II

       Inhaltsverzeichnis

      Es war schon beinahe dunkel, als sie die knarrende Tür der Klubhütte öffneten.

      Drinnen brannte Licht. Eine im Luftzug flackernde Kerze warf ihren Zitterschein über die ärmliche Umgebung. Das mächtige Strohlager, das, unten durch eine Holzdiele abgeschlossen und oben mit einem halben Dutzend zusammengerollter Pferdedecken geschmückt, wohl drei Viertel des Raumes einnahm, den grob gezimmerten Tisch und die Holzstühle, den kleinen behaglich glühenden Kanonenofen und den Schrank, in dem sich das Reserveseil, eine Laterne, der Medizinkasten und allerhand Küchengerät befand.

      »Schönen guten Abend!« sagte Elisabeth mit heller Stimme im Eintreten, »da kommen späte Gäste!«

      Eine breitschultrige, kraftvolle Gestalt erhob sich von dem Tische.

      »Guten Abend, mein gnädiges Fräulein ...« erwiderte der Fremde rauh, in leicht süddeutsch gefärbtem Dialekt, aber mit der Verbeugung eines Weltmannes. Dann reichte er dem alten Zum Brunnen die Hand und fuhr ihn barsch an: »Jetzt ... was is denn das wieder für ein Unsinn?«

      Der Alte sah ihn fragend an.

      »Mit der ungeübten Dame da die Krähenwand hinunterzuklettern! ... Meint Ihr, ich hab' kein Perspektiv bei mir?«

      Ein ganz gutes Gewissen schien der alte Christen nicht zu haben. Er nestelte an seinem Sack und brummte vor sich hin: »Die Dame geht schon guet über die Berge!«

      »Das hab' ich gesehen ... !« erwiderte der finstere Herr, »deswegen ist's und bleibt's doch ein Unsinn ...«

      Elisabeth sah ihn neugierig an. Ein Mann zwischen fünfunddreißig und vierzig, trug er das englische Montanistenkostüm, wollenen Gürtelrock, wollene Kniehosen und hohe Gletscherstrümpfe, in denen das Spiel der strotzenden Muskeln sich deutlich abzeichnete. Er mußte eine ungeheure Körperstärke besitzen.

      Aber schön war er wirklich nicht zu nennen. Ein energisches rauhbärtiges Gesicht, in dem etwas von finsterem Trotze lag, eine mächtige gefurchte Stirne und darunter ein Paar großer grauer Augen, die jetzt durch den goldgefaßten Zwicker durchdringend blitzten und dann wieder, als er das Glas abnahm, einen seltsam müden Ausdruck gewannen.

      Der alte Christen stieß sie an und reichte ihr aus dem Tornister das buntseidene Reservehemd und ein Paar Wollstrümpfe nebst dünnen Hausschuhen.

      Natürlich genierte sie sich, derlei in Gegenwart des fremden Herrn in Empfang zu nehmen. Aber der war schon an der Tür.

      »Lassen Sie sich Zeit zur Toilette, meine Gnädigste«, sagte er, »dem Christen und mir schadet die Abendluft nichts ... Nur ... um der Form zu genügen« – er machte nochmals eine kurze, unwirsche Verbeugung – »mein Name ist Doktor Freiherr von Gündlingen ...« Damit ging er mit dem Führer hinaus.

      Vor der Hütte lehnten sie sich im Dämmerlicht an einen Felsen, zündeten sich, der eine eine Zigarre, der andre seine Pfeife an und schauten tiefsinnig hinab in das Nebelbrauen des Gletschers.

      Lange sprach keiner ein Wort.

      Endlich sagte der Herr mißmutig mit einem Blick nach rückwärts: »Wer ist's denn?«

      Der alte Christen schwieg darauf längere Zeit und sog eifrig an der Stummelpfeife, die er zwischen den eingefallenen Kiefern hin und her drehte. Und als er sich endlich zu reden entschloß, sagte er nur stumpfsinnig: »Ja ... die is schon guet!« Denn mehr wußte er auch von seiner Dame nicht. Die zog sich inzwischen um. Ihr Herz klopfte, wenn sie durch den rohen, spärlich beleuchteten Raum sah.

      War das alles denn wirklich kein Traum? Befand sie sich wirklich zur Nachtzeit in einer Schnee- und Eiswüste des Hochgebirges, stundenweit von jeder menschlichen Wohnung entfernt?

      Es war kein Zweifel. Draußen auf den Schneefeldern hoch oben hörte sie das Stöhnen des Windes und vor der Tür die schweren Tritte der beiden Männer, die, um sich vor der Kälte zu schützen, langsam auf und ab gingen. Sie beeilte sich, fertig zu werden. Viel war ja auch nicht zu machen. Sie mußte lachen, wenn


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