Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


Скачать книгу
Bursche, mit beinahe tierischer Kraft begabt und nach Gletscherbegriffen etwas stutzerhaft, in ganz neuen schokoladefarbenen Loden, mit einer Spielhahnfeder am Hut, gekleidet – auch Kaspar Wägi machte ein finsteres Gesicht.

      Es lag ihm, dem Katholiken, schwer auf dem Herzen, daß er neulich drüben im Wallis den Dollarlockungen eines gottlosen Yankees gefolgt und am Sonntagmorgen, statt in die heilige Messe, auf den Monte Rosa gegangen war.

      Heute konnte er seine Sünden abbüßen.

      Inmitten dieses tückischen Nebels, der wider alles Erwarten eingefallen war, ein paar Stunden vor Sonnenuntergang mit einer ermüdeten unerfahrenen Dame am Seil, tausend Meter über der Schutzhütte, zu der nur ein gefährlicher Abstieg hinabführte ... Kaspar Wägi schwieg und spuckte gedankenvoll aus.

      Auch der Alte stand stumm da und bewegte im Nachdenken leise schmatzend den faltigen Mund hin und her.

      Zum Glück war die Dame guter Dinge.

      »Weiter!« rief sie mit heller Stimme und faßte den alten Zum Brunnen am Arm.

      Der greise Bergführer drehte sich mit einem seltsamen Greinen seiner verwitterten Züge zu ihr um und wies mit der Hand nach rückwärts.

      »Wir müssen wieder hinauf«, ergänzte Wägi ... »von wo wir gekommen sind ... hier geht's nicht weiter!«

      Und grimmig überdachte er dabei die Ereignisse dieses wunderlichen Tages.

      Sie hatten auf die »Jungfrau« gewollt, aber schon nach Überwindung des »Kalli«, dieser greulichen Knochenmühle, auf dem Fiescherfirn des schlechten Wetters wegen umkehren müssen. Unverrichteter Dinge aber nach Grindelwald zurückzukehren, das lehnte die Dame rundweg ab. Sie wollte wenigstens in einer Klubhütte übernachten! Nur war man auf dem Wege zu der entlegenen Gletscherhütte vom Nebel überrascht worden und stand da.

      »Wieder zurück?« Die Touristin setzte sich auf einen Stein und stützte das Kinn in die Hände. »Machen Sie, was Sie wollen, aber ich gehe keinen Schritt mehr aufwärts. Meine Beine zittern wie Espenlaub. Übrigens ist es hier herunter ja ganz hübsch!«

      »Aber gefährlich!« versetzte Kaspar Wägi eindringlich. »Wir müssen über den Eishang hin Stufen hauen, und unter dem können Steine von oben kommen!«

      Gefährlich! Sie sah rasch zu ihm auf und schüttelte das Blondhaar aus der Stirn. Ihr kühn geschnittenes, jetzt wieder vom Bergwind leicht gerötetes Gesicht nahm einen ungläubigen Ausdruck an.

      Gefährlich! Sie konnte sich das nicht recht vorstellen, wie das eigentlich möglich sei: sie, die elegante Weltdame, die man sorglich vor jedem Lufthauch, jedem Sonnenstrahl bewahrte und kaum ohne Schutz im Garten des Hotels promenieren ließ, sie in Lebensgefahr!

      Sie mußte beinahe lachen, so drollig erschien ihr das.

      Aber sie blieb ernst, während sie in die starre Wildnis hinaussah, die sie rings umgab.

      Das hatte sie ja gerade gewollt und im günstigen Augenblick ausgeführt!

      Heraus, nur einmal heraus aus allem, was sie ihr ganzes Leben hindurch eingezwängt hielt, heraus aus der lauen Salonluft, aus Korsett und Stöckelschuhen, aus der steten Aufsicht und Bevormundung und einmal selbständig handeln und ein freier Mensch sein.

      Und zur Freiheit gehörte auch die Gefahr! Wenn die Männer der Gefahr trotzten, ja sie aufsuchten, warum sollte sie es nicht auch?

      Eigentlich hatte sie gar keine so große Angst.

      Sie stand auf und sagte mit schwankender Stimme: »Es wird schon nicht jeder Stein treffen! Machen Sie nur vorwärts!«

      Die beiden Führer sahen sich an. Mit der ermüdeten Touristin den großen Umweg zur Vermeidung des Eishanges machen, war bei dem Wetter und der späten Stunde auch nicht ohne Bedenken. Und andrerseits war die gefährdete Stelle ja nur kurz. Der alte Zum Brunnen schielte von der Seite auf seine schöne Schutzbefohlene und entschloß sich, ein paar Worte zu sprechen: »Courage hat sie schon!« knurrte er, und der Wägi nickte und sagte nachdenklich: »Die Dame ist schon guet!«

      Eine kurze Pause, dann hob der Alte plötzlich seinen Pickel, warf einen mißgünstigen Blick nach oben und begann, wie rasend Stufen in den Eishang zu hauen.

      Erst schlug er mit der Stahlspitze von der Seite her eine Kerbe in den Firn, dann drehte er die Axt um und ließ sie oben auf die eingeschlagene Stelle niedersausen, bis ein breiter bequemer Tritt für den genagelten Bergschuh entstand.Zwischen ihm und seiner Begleiterin schaukelte das rot durchwirkte Hanfseil und spannte sich, wie er fortschritt, mehr und mehr an, bis es endlich ganz straff war und sie, sich nur mit einer Hand am Tau haltend, mit der andern den Bergstock auf die schräge Eisfläche aufstützend, vorsichtig von einer Stufe zur andern stieg.

      Im selben Tempo hinter ihr Kaspar Wägi. Er zog das Seil so elastisch an, daß es in seiner Linken zitterte, um ihr beim Ausgleiten sofort Widerhalt zu gewähren. Nur ab und zu schaute er, sich mit der Eisaxt längs des Hanges hinschiebend, rasch nach oben. Sonst verwandte er kein Auge von der schlanken biegsamen Gestalt vor ihm, die in der Erregung des Augenblicks sich nervös fröstelnd zusammenduckte und mit katzengleichen Schritten in den ungefügen Fußstapfen des alten Zum Brunnen schlich. Jetzt stand sie wieder dicht hinter dem Alten, der in so wütender Hast das Eis bearbeitete, daß selbst seine ausgemergelte und ausgedörrte Haut von Schweiß zu glänzen anfing. Wo seine Axt sich niedersenkte, sprühten kristallgleich kleine flimmernde Eisstücke umher und umschwirrten wie ein Hagelwetter ihren vorgeneigten Kopf, daß sie Augen und Mund schließen mußte.

      Eine seltsame Lage! Das Klirren der Axt, das Surren der Eissplitter, das leise Fächeln des Windes um ihre Wangen, der Tabakduft, der beißend aus dem Lodenrock des Alten aufstieg, das schwere Atmen der beiden Männer ... ihr Herz pochte wohl etwas ... aber eigentlich Angst ... nein ... Angst war das nicht!

      »Achtung!« schrie es da plötzlich hinter ihr mit greller Stimme, und sie fühlte, wie eine eiserne Knochenhand ihren Arm umspannte.

      Sie schaute auf.

      Über ihnen am oberen Rand des Eishanges hatte sich ein Felsblock gelöst. Erst langsam, dann mit rasend zunehmender Geschwindigkeit schoß er herab, in dumpfem Brummen dahingleitend, wie eine gereizte Bestie sich auf den Feind stürzt.

      Die Führer standen unbeweglich, bereit, im letzten Augenblick durch einen Seitensprung sich und ihre Schutzbefohlene dem Unheil zu entziehen und im Niedergleiten auf dem Hange mit dem eingeschlagenen Eispickel wieder zu verankern.

      Ein Sausen und Krachen. Zehn Schritt vor ihnen fuhr blitzschnell ein donnernder Schatten über das Eis und verschwand, ehe sie ihm nachgeblickt, über dem Abhang. Eine Pause. Dann klatschte es unten dröhnend in einem Schneeloch, und alles war still.

      Also das war der Tod! Das unbekannte Ding, das da als Felsblock dräuend an ihr vorbeistrich ...

      Ein heftiges Zittern überlief ihren Körper, und sie fühlte, daß kalte Perlen auf ihre Stirn traten.

      Und doch konnte sie frei gehen, sich sicher bewegen, ja es schien ihr, als wüchsen ihre Kräfte und schwände jede Ermüdung aus den Gliedern.

      Das war keine Angst! Etwas Befreiendes, etwas Erlösendes brachte die Nähe des unsichtbaren Gespenstes mit sich. Alle Fibern und Fasern sträubten sich gegen diese drohende Vernichtung und gaben dem Leib ein Gefühl ungewohnter Spannkraft und seltsamer, sie selbst fast erschreckender Ruhe.

      Dabei dachte sie freilich unter ihrem stoßweisen Atmen doch ununterbrochen: »Oh ... wär' es doch schon vorbei!«

      Der Alte arbeitete, ohne aufzusehen, in fliegender Hast. Man begriff oft kaum, worauf sein Fuß, der mit dem glitschrigen Eis wie verwachsen schien, noch stehen konnte, während die magern Arme den Pickel schwangen.

      Aber langsam, endlos langsam ging es dahin! Wie Fliegen, die über einen steil geneigten Spiegel kriechen, erschienen die dunklen vermummten Gestalten im Nebeltreiben des Augustabends.

      Langsam ... von Stufe zu Stufe ... jetzt noch sechs Stufen ... jetzt noch vier ... noch zwei ... und da winkt die schützende Felswand auf der andern Seite.


Скачать книгу