Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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sich am Himmel widerspiegelte, zog dumpfes Glockensummen wie eine verzweifelte Klage durch die Luft.

      Ruth sah das Meer von Feuer und Flammen, das überall aus dem Nachtdunkel sich emporhob. »Sind das Wachtfeuer?« fragte sie schaudernd.

      Herr Albin lachte grimmig. »Das sind die Reisefackeln, die Schwed' und Franzose dem greisen Kurfürsten zu seiner Flucht aus seinen Landen aufstecken, um seinen Abfall zu rächen. Sie verstehen ihr Handwerk. Was zwischen Lech und Donau noch steht, ist morgen Schutt und Rauch.«

      Schweigend sahen die beiden hinaus in die Ebene. Es brannten die Dörfer und flackerten die armseligen Hütten, es lohte auf den hochgelegenen Burgen und schlug in feurigen Garben aus den Marktflecken und Städtchen empor.

      »Da kommen heute nacht viel Menschen um,« flüsterte Ruth und sah mit großen verstörten Augen hinaus in die Büsche, in denen, unbesorgt um Menschenleid und Menschenhaß, die Nachtigallen mit ihrem Sang die Maiennacht erfüllten.

      »Hunderte und Tausende kommen um. Die Feinde haben die Oberhand und zahlen uns heim, was wir an ihnen getan haben!«

      Der von Habstein ballte die Hände. Er fühlte den Schmerz der Wunde und mehr noch den Grimm der Niederlage und am meisten das Grauen des Todes. Er, dem sonst der Tod Lagergenosse und Lebensgeselle gewesen, der Stund' um Stund' bereit gewesen, unversehens aus dem Kreis der Männer um ihn abzuscheiden wie sie von ihm – er, der sich sein Ende nie anders gedacht als auf grünem Feld vom Feind erschlagen, unter sich die Erde und über sich die stillen Sterne nach der Schlacht – er, der dann frohen Muts, ein Kriegsmann und doch sündenfrei da oben an Petri Tor pochte – er mochte jetzt das Leben nicht lassen, seit eine Frauenhand ihn pflegte, und je härter die Wunde ihm zusetzte, desto zäher spannte er seine Kräfte wider sie an und lag stundenlang wie im Ringkampf mit den Griffen eines Feindes und hielt die Augen auf. Aus der Ecke der Sakristei hörte er das tiefe Atmen Ruths, die ermattet in Schlaf gesunken war. Vor ihm, in dem grasübersproßten Kirchenschiff stand weidend der angepflöckte Hengst. Scharf hoben sich seine mächtigen Umrisse von dem hellen Mondschein ab, der über Strauchwerk und Gemäuer flutete.

      Und in dem Mondschein lag vor ihm sein Leben, und seine Gedanken gingen durch das Menschenalter des dreißigjährigen Kriegs in die Zeit zurück, da er ein Kind gewesen. Ein Bub in der Klosterschule. Damals, in junger Unvernunft, hatte er an Menschen gehangen und sich nach Menschen gesehnt und Menschen liebgehabt. Die Heiligen hatten auf ihn herniedergeschaut und ihm nicht das Getümmel lärmender Fähnlein und fliehendes Bauernvolk und den Vulcanum in brennenden Dörfern gewiesen, sondern ein fremdes, gelobtes Land weit überm Meer. Er hatte den Heiland am Berge stehen sehen und um ihn herum die schauernd lauschende Menge, die Aermsten der Armen, mit feuchtglänzenden Augen und verzücktem Gesicht. Und eine feierliche Stille webte ringsum in der seltsamen, farbenprächtigen Landschaft, leise wiegten sich die Palmen, es glitzerten die blauen Fluten, weiße Tauben spielten und kreisten über den Häuptern der zahllosen Menge, die über alle Hügel hin, alle Abhänge hinab schweigend auf den Knien lag. Und wie dies Bild im Schweigen der Frühlingsnacht dem Colonel von Habstein vor Augen stand, da war es ihm, als sei er selbst schon einmal in jenem Land gewesen und aus ihm herausgeschritten in den Kampf auf Erden.

      Ein Bild aus diesem Krieg war da auf einmal vor ihm. Eine Mondnacht wie heute, nach gewonnenem Treffen. Das Wirrwarr im Feindeslager, so wie es Schwed' und Sachse eilends geräumt. Durch Schanzkörbe und Palisaden und das Reichsstädtlein dahinter war er im Gefolge der großen Herren gestiegen und hatte dort müßig ein von einer Kugel durchlöchertes Büchlein vom Boden aufgelesen. Kein Latein, sondern in geringer deutscher Sprache. Und hatte selbiges Büchlein aufgeschlagen und, wo er es aufschlug, auf einer versengten Seite gelesen: »Liebet Eure Feinde! Segnet, die Euch fluchen! Tut wohl denen, die Euch beleidigen und verfolgen!« Da hatte er gemerkt, was er in Händen hielt, und es von sich getan, und, da der fürstliche Generalissimus sich umgewandt und ihm gefragt, was er habe, flugs erwidert: »Nichts, Ihro Gnaden!« Vor Jahrzehnten war es gewesen. Er hatte es längst vergessen. Er wußte nicht, warum es ihm nun wieder in den Sinn kam.

      Immer greller war der Brandschein am Himmel geworden. Mit dem bläulichen Mondlicht stritt die blutige Lohe, die ringsum den Horizont umsäumte. Halb unbewußt begann der Habsteiner die Flammenpunkte zu zählen, soweit sie sein Blick erreichen konnte. Es waren hundert und mehr. Hundert Weiler und Dörfer, Burgen und Marktflecken leuchteten da als glühende Fackeln durch die Nacht, entzündet von denen, die um den Gott der Liebe kämpften.

      Der sieche Feldobrist legte das Haupt zurück und seufzte schwer. In der Brust – da saß ihm die Kugel und nahm ihm langsam das Leben. Er fühlte es förmlich, wie der Tod näher und näher kam. Er glaubte ihn vor sich zu sehen, wie er leise durch die Finsternis heranschlich.

      Herr Albin fuhr sich über die Augen und sein Gesicht verzerrte sich. Wahrhaftig – da kam etwas heran – eine dunkle Männergestalt – langsam, wie zögernd schritt sie durch das Gras hindurch und in die Sakristei und stand vor dem Lager des Kranken.

      Sollte das der Tod sein? Der Habsteiner hatte sich ihn grimmig und furchtbar gedacht. Aber in diesem bleichen, bärtigen Gesicht, das sich über ihn beugte, war wohl Mitleid zu lesen, aber kein Zorn und kein Haß gegen die Menschen. »Ihr seid verwundet!« sprach der Fremde, »ich will Euch beistehen, soweit das bißchen Kunst noch reicht, das mir hier in der Einsamkeit geblieben ist –«

      Der Habsteiner richtete sich auf. »Wer seid Ihr?«

      »Kein Feind!« Der andere kniete nieder, um den Verband zu lösen. »Ich hause hier in den Trümmern. Als ich Euer Kommen hörte, verbarg ich mich im Dickicht.«

      »Wir tun Euch nichts zu leide!« murmelte Herr Albin bitter, »eine schwache Jungfer und ein todsiecher Reitersmann jagen zusammen noch keinen Hund vom Ofen!«

      »Ich sah die Jungfer,« erwiderte der Fremdling und beugte sich über die Brust des Obristen. »Liegt still, daß ich Eure Wunde prüfen kann!«

      Die freigelegte Wunde begann aufs neue zu bluten. Darüber wurde der Colonel abermals kraftlos. Vor seinen Blicken dunkelte es und er verlor das Bewußtsein. Erst nach geraumer Zeit schlug er die matten Augen wieder auf. Der fremde Helfer saß noch immer neben seinem Lager.

      »Der Kugel seid Ihr ledig!« sagte er und zeigte ihm den wunderlich zerdrückten Eisenklumpen, »und Eure Wunde ist verbunden, wie es Menschenkunst eben vermag. Was weiter kommt, steht nicht in unserer Hand.«

      Der von Habstein schob ihm mühsam die Hand hin. »Ich danke Euch, Herr! Laßt mich Euren Namen wissen.«

      Der andere schüttelte den Kopf und sah ihn wieder seltsam an. »Was soll der Name? Sorgt Euch nicht darum! Seht Ihr da draußen die verbrannten Hütten und eingeäscherten Höfe dieses Walddörfleins? Ich gedenke der Zeit, da die Häuser aufrecht standen und von Menschen bewohnt waren. Denn ich war Pfarrer hier in der Gemeinde.«

      »Und der Feind kam?«

      »Zehn Jahre sind's her! Es war an einem schönen Sommerabend, da lag das Dorf noch still und friedlich in dem grünen Wald! Vom Turm der Kirche läutete das Abendglöckchen, auf der Gasse lachten die spielenden Kinder, die Alten standen müßig vor den Häusern, Da hörten wir ein Klirren und Trappeln aus weiter Ferne, es kam näher und näher und brach in unser Dorf ein –«

      Herr Albin schaute in das Dickicht und die Trümmerreste im Walde: »Und Ihr konntet die Brandschatzung nicht zahlen?«

      »Am anderen Morgen,« sprach der Fremde, »war das Dorf so, wie es seitdem geblieben ist. Zuweilen scharren die Wölfe jetzt noch die Knochen aus der Erde. Ich habe ja freilich die Reste der Erschlagenen alle begraben. Ich, der einzige, den die Reiter im Irrtum für tot liegen ließen, als sie weitertrabten –«

      »Hatten die Reiter denn keinen Führer über sich?«

      »Wohl hatten sie das!«

      »An ihn hättet Ihr herantreten sollen und es ihm vorstellen, ehe es zu spät war.«

      Wieder blickte ihn der Fremde an: »Auf einem hohen Hengste hielt der Hauptmann hier an der Kirche und befahl, das Dorf in Asche zu setzen! Und als ich vor ihm stand und bat, da sprach er: ›Es jammert mich wohl um Euch; aber ich kann Euch nichts


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