Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


Скачать книгу
fern hielten. Was das bedeutete, wo sie sich befanden, das wußte Ruth nicht. Nur das eine empfanden beide aufatmend, daß sich ihnen hier ein vor Mensch und Tier geschützter Zufluchtswinkel bot.

      Auch eine Türe mußte sich an dem Eingang befinden, durch den sie offenbar gekommen. Das Knarren verrosteter Angeln wies Ruth die Richtung. Sie tappte im Dunkeln danach, sie fuhr mit der Hand über eine modernde, dicke Holzfläche dahin und erfaßte den Riegel.

      Das tat sie bang und hastig und schob mit zitternden Fingern das schwere Eisen vor. Denn aus der regendünstenden Nacht draußen klang immer näher das heisere Belfern der Wölfe, das sie schon auf dem Wege mit Schrecken gehört, und ihr war es, als ob grünlich glitzernde Augenpaare sie gierig aus der Dunkelheit anstarrten.

      Nun waren sie geborgen. Herr Albin sank schwer aus dem Sattel. Er antwortete auf ihre Fragen nicht mehr. Und während sie sich bang und stumm um ihn mühte, stieg fern über den Waldwipfeln in fahlem Dämmerschein der neue Tag empor.

      9.

       Inhaltsverzeichnis

      Durch die geborstenen Kirchenfenster kroch das Schlinggewächs des Waldes herein, es rankte sich am Boden hin über die grasumsproßten Quadern und hing in grünen Ranken von den Mauern herab, über denen statt des geschwundenen Holzwerks der blaue Himmel als Dach sich spannte.

      Die Kanzel, die noch unversehrt, dem Wind und Wetter preisgegeben dastand, verschwand fast unter der Fülle des Buschwerks, das rings um sie grünte. Die Sommervögel nisteten darin. Sie schwirrten ab und zu, und wo sie eiligen Fluges an die noch regenfeuchten Zweige stießen, da sprühte es wie ein Perlenregen im Sonnenschein durch die Luft.

      Tiefe Stille ringsum. Leise kam zuweilen der Wind aus dem Walde in das zerstörte Kirchlein herein, daß das Gras sich bebend neigte und die jungen Bäume zu flüstern begannen. Dann schwand er wieder, und nur das mutwillige Trillern der Finken und Grasmücken klang aus den Laubverstecken hervor. Dort bauten sie ihr Nest. Von der Sakristei aus, dem einzig wohnlich erhaltenen Raume, in dem er lag, beobachtete der Obrist von Habstein träumend ihr wunderliches Tun – wie sie Halm um Halm herantrugen, in unermüdlichem Eifer, sich ein Heim zu schaffen, wie die Pärchen zwitschernd umeinander kreisten und sich gegenseitig in ihrem fröhlichen Eifer zu ermuntern schienen.

      »Wie geht es Euch?« fragte neben ihm Ruths Stimme.

      Mühsam wandte Herr Albin den Kopf. »Mit mir steht's übel!« sprach er und sah ihr lange ins Auge.

      Sie schaute besorgt auf ihn nieder. »Ich habe Speise und Trank gefunden,« flüsterte sie und deutete auf einen Krug mit Milch, der neben ihm am Boden stand, »auch die Decken hier, um Euch ein Lager zu bereiten, und was uns sonst not tut,«

      Das erstaunte den Obristen. »Wo fandet Ihr das?«

      »Nebenbei liegt ein steinernes Haus,« berichtete Ruth, »dort mag der Pfarrherr gewohnt haben. Auch viele Holzhütten ringsum, aber alles verwüstet und verlassen.«

      »Und doch gab es im Pfarrhause noch Milch und Brot?«

      »Das und vieles andere! Selbst Bücher sind da! Es ist, als ob jemand dort gehaust und diese Nacht, wie er das Pferd trampeln und wiehern hörte, sich aus Angst geflüchtet habe –«

      »Das ist seltsam!« sprach Herr Albinus.

      Ruth kniete neben ihm am Boden.

      »Nun, Herr, da uns die Gnade Gottes das alles in unserer Not beschert hat, müßt Ihr genesen! Versucht, ob Ihr aufstehen könnt. So führe ich Euch hinüber.«

      Der Feldobrist schüttelte das Haupt. »Ich kann nicht aufstehen, Ruth – und werde es nicht mehr können. Hier liege ich und werde sterben und doch in meiner letzten Stunde noch fröhlich sein –«

      »Worüber, Herr?«

      »Daß Ihr um mich seid, Ruth. Nun weiß ich's ja, daß Ihr mit dem Teufel nichts gemein habt!«

      Ruth bekreuzigte sich. »Hat das der Herr je geglaubt?«

      »Und ob ich's geglaubt habe,« erwiderte Herr Albin ernst und gewichtig. »Steckt doch in jedem Weibe ein Teil vom Bösen. Aber in Euch nicht! Unbußfertiger und sündenfälliger als gestern abend hätte mich der Teufel nie haben können. Das war ein fetter Bissen für ihn, und er streckte schon die Krallen aus – da kamt Ihr –«

      »Gott sei Dank, Herr, daß ich Euch fand.«

      »Und habt mich ihm entrissen, so daß ich noch Buße tun kann, ehe ich sterbe. Also seid Ihr des Teufels Widerpart und mir vom Himmel geschickt. Und dafür dank' ich ihm und dank' ich Euch –«

      In solcher Rede verwirrten sich Herrn Albins Gedanken. Seine Augen schlossen sich, und aus der Kraftlosigkeit sank er wieder in Ohnmacht hinüber. Stumm und still saß Ruth an seinem Lager. Die Stunden rannen dahin. Längst hatte die Sonne den Zenit überschritten, schon blinkten ihre schrägen Abendstrahlen durch das Blättergewirr, und eine herbe, würzige Kühle drang aus dem Walde.

      Herr Albin bewegte sich nicht mehr. Seine Wangen brannten in Fieberglut, seine Lippen murmelten zuweilen unverständliche Worte, und er atmete schwer, die Hand auf die Wunde gepreßt.

      Es dämmerte schon stark, als er plötzlich ihre Rechte erfaßte und zu reden begann. »Ruth,« sprach er, »es geht zu Ende. Ich fühle es. Solch ein Loch in der Brust ist tödlich, wenn kein Chirurgus sich des Blessierten annimmt und ihm das Blei aus dem Leibe zieht. Den haben wir nicht – so muß ich vergehen. Wachet bei mir, Ruth, und betet mit mir!«

      »Was soll ich beten, Herr?« fragte Ruth.

      »Eure Jungferngebete taugen nichts, wenn ein Kriegsmann mit dem Tode abgeht,« erwiderte der Obrist unwillig, »ich selbst aber kann vor großer Schwäche nicht mehr sprechen. Ihr sagt, im Pfarrhaus drüben liegen Bücher Da mögt Ihr einen Psalter oder derlei finden und mir daraus vorlesen.«

      Er hörte das Rauschen ihres Kleides, wie sie leichtfüßig davonschlüpfte. Dunkler und dunkler wurde es um ihn her. Er wußte nicht, ob schon seine Augen erloschen oder die Nacht einbrach. Aber nein, es war die Nacht. Denn deutlich sah er jetzt von dem hochgelegenen Waldhügel aus die roten Dunstkreise am Horizont, den Flammenschein der Dörfer, der jetzt bei niedersinkender Finsternis grell hervortrat. »Die Schweden hausen nicht schlecht!« dachte er bei sich, »wenn sie das Land derart weiter devastieren, so werden sie sich zwischen Lech und Donau nicht lange halten können. Denn in Augsburg selbst ist auch nichts mehr zu holen –«

      »Was mußte auch der Melander die Bayern dorthin zurückschicken? Hätten wir sie zur Hand gehabt – gestern – der Tag hätte anders ausgeschaut. Wir hätten ihre Reiter aus dem Feld geschlagen, und ich mit meinen Kerlen wäre ihnen in Geschützwerk und Fußvolk gefahren, wie der Wolf in die Schafhürde –«

      Seine Gedanken waren bei der Schlacht des gestrigen Tages. Er malte es sich aus, wie man den Feind hätte schlagen und verfolgen können bis zur Vernichtung, daß selbst die Troßbuben im Blute wateten und die Pferde von einem Leichnam über den anderen schritten. Früher hatte es solche Schlachten gegeben – am Weißen Berge, bei Lutter, bei Nördlingen und bei vielen anderen Okkasionen, aber jetzt – es war doch eine erbärmliche, kleine Zeit. Von den Unseren mögen dreitausend geblieben sein, dachte Herr Albin, von den Schweden kaum tausend! Was will das heißen – vernichten hätte man die Feinde sollen bis auf den letzten Mann –

      Ruth kam zurück, scheu und blaß. Mit leeren Händen.

      »Wart Ihr nicht drüben, Ruth?«

      Sie zögerte. »Ich fürchte mich, Herr,« gestand sie endlich. »Als ich vorhin ins Haus lief, da war mir's, als ob dort etwas lebte. Ich sah eine Gestalt im Dämmerlicht, die mir leise winkte, und entsetzte mich –«

      »So laßt es!« erwiderte Herr Albin und sah in tiefen Gedanken hinaus in das Abenddämmern. Ueberall glühte es jetzt am Horizont auf. Die feurige Lohe floß da und dort ineinander, daß es in großen, blutigen Dunstschleiern den Himmel umsäumte.


Скачать книгу