Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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lagen, in Tücher gehüllt, die Verstorbenen, die man, um Platz zu schaffen, herausgetragen, und an den Wänden hin kauerten und saßen die Gequetschten, wie sie der Kriegsgebrauch nannte, abwartend, bis die Reihe an sie käme.

      Mitten durch diesen Wirrwarr bahnte sich ein unverletzt Gebliebener den Weg, der Quartiermeister Paradeiser zu Villach, und hielt vor dem Hofe zur Traube an, wohin man den wunden Generalissimus gebracht.

      Er ging durch das Schenkzimmer hindurch, an Haufen verwundeter kaiserlicher Offiziere vorbei, die, mit Blut und Pulverschleim besudelt, in zerfetzten Kleidern und zumeist betrunken, durcheinander fluchten und stritten, über den Hof hin, wo reglos und unbeachtet ein toter Mensch in einer großen Blutlache lag, und die engen Stiegen hinauf bis zu den Gemächern Melanders.

      Im Vorzimmer standen Ruth und um sie herum in schweigenden Gruppen die Freunde und Diener des Hauses. Die Gräfin war drinnen bei ihrem Gemahl, um den sich eben die Aerzte mühten.

      »Guten Abend, Fräulein!« sprach Herr Paradeiser stockend. »Ja – das sieht bös aus – hier im Hofe und in der ganzen Stadt. Alle Häuser sind voll von Verwundeten, und die meisten vergehen den Chirurgis unter den Händen, und ist überall Geschrei und Wehklagen.«

      Ruth trat heran und schaute ihm bang ins Gesicht.

      Herr Paradeiser räusperte sich. Er sah sehr ernst aus. »Ich bin da, um für Euch Sorge zu tragen,« sprach er. »So hat es mir der Herr Obrist von Habstein anbefohlen, für den Fall, daß er es selbst nicht vermöchte.«

      Zwei Hände umspannten angstvoll seine Faust. »Wie ist's um ihn –?« hörte er ihre halberstickte Stimme. »Herr – ich bitt' Euch um Jesu willen!«

      Der alte Quartiermeister wiegte trübe das Haupt.. »Ich weiß es nicht, Fräulein,« murmelte er und sah zur Seite. »Er ist verschollen. Er liegt irgendwo auf dem Schlachtfeld, und wir können ihn nicht mehr suchen. Denn die ganze Armada geht eilends bei Morgengrauen über den Lech zurück.«

      Ruth antwortete nicht. Ihr Blick verlor sich träumend wie in weiter Ferne.

      Herr Paradeiser begriff das nicht.

      »Es scheint dem Fräulein nicht ans Herz zu gehen,« sagte er etwas ärgerlich, »um so besser! Und da ja das Fräulein hier gut aufgehoben ist, im Hause des verwundeten Herrn Generalissimus –«

      Er brach ab. Die Türe zum Nebenzimmer öffnete sich. Der Arzt erschien auf der Schwelle. Von innen klang es wie ersticktes Schluchzen. Die Gräfin und ihr Töchterchen knieten an dem Lager.

      »Die Chirurgi sind nun nicht mehr von nöten,« sprach der Arzt, zu den Umstehenden gewandt, »sorgt für die Holtzapfelsche Frau Wittib und das kleine Fräulein.«

      Und er wies rückwärts auf das Bett, auf dem die starre Leiche Melander Holtzapfels lag, und tiefes Schweigen trat ein.

      Der Quartiermeister fühlte sich am Arme berührt.

      »Herr, führt mich zu ihm!« sprach Ruth ruhig und langsam.

      »Gern!« Herr Paradeiser wollte sie in das Nebengemach geleiten, das sich mit dem verstörten Gefolge zu füllen begann.

      Sie sah ihn erstaunt an und schüttelte den Kopf. »Zu ihm!« wiederholte sie und wies in die Ferne.

      Herr Paradeiser riß die Augen auf.

      »Zum Herrn Obristen Habstein?«

      Sie nickte.

      »Der liegt ja draußen – irgendwo – in der Nacht – auf der Heide!«

      »So führt mich dahin, wo er liegt!«

      Der Quartiermeister sah sie mitleidig an. »Das Fräulein ist wohl närrisch geworden!« sprach er endlich kurz.

      Ruth blickte dem alten Kriegsmann fest ins Gesicht. »Und Ihr lasset den Obristen dort verkommen und verderben?«

      »Wir haben alles getan, um ihn zu finden,« erwiderte der Quartiermeister. »Mit Fackeln haben wir unsere ganze Stellung abgesucht, wiewohl die Schweden von drüben auf unsere Lichter feuerten. Es war umsonst. Es muß ihn eine Kugel am Ufer getroffen und das Wasser ihn fortgerissen haben.«

      »So suchet nochmals, wenn es Tag wird.«

      »Dann wäre der Herr Obrist, wenn er noch lebt, längst vom Feinde gefangen! Aber zudem darf ich meine Fahne nicht verlassen. Und nun gehabe sich das Fräulein bis morgen wohl. Ich muß zum Lager zurück.«

      Bald darauf sah einer der kaiserlichen Offiziere, der am Toreingang des Hofes zur Traube verdrießlich mit verbundenem Schädel lehnte, eine in einen Mantel gehüllte schlanke Gestalt auf sich zukommen.

      »Verzeihe der Herr!« klang eine helle Stimme, »geht es hier gen Westen?«

      »Ja.«

      »Sind da die Tore offen?«

      »Heut nacht in dem Getümmel mögen sie offen stehen. Wollt Ihr hinaus?«

      »Ja!«

      »Wohin?«

      »Aufs Schlachtfeld!«

      Der Offizier trat einen Schritt zurück. Er erkannte Ruth, die er am Nachmittag mit der Gräfin Holtzapfel gesehen.

      »Ist das Fräulein von Sinnen? Ihr lauft dem Feind in die Hände.«

      »Ich habe einen Dolch bei mir,« sagte Ruth ruhig, »und ich muß hin!«

      »Aufs Schlachtfeld – wo es von Gesindel wimmelt? Das tun Soldatenweiber, die ihren Liebsten suchen, aber nicht ein adeliges Frauenzimmer.«

      Ruth hörte ihn nicht mehr. Sie ließ den Verblüfften stehen und wanderte hinaus in die Nacht.

      8.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Hengst warf seinen Kopf, an dem zerrissen die Zügel in das Gestrüpp herabhingen, ungestüm in die Höhe und wieherte in das Dunkel. Nichts antwortete ihm als das unbestimmte Tönen und Summen des Schlachtfeldes, ein Wirrwarr gespenstischer Geräusche, dumpfes Klagen aus weiter Feme und geheimnisvolles Wispern hinter dem nächsten Busch, da wie ein geller Aufschrei, dort wie ein heiseres, leises Lachen, undeutliches Hundegekläff, das Schluchzen von Weiberstimmen, das alles bald in dumpfem Murmeln verklingend, bald in verdoppelter Stärke vom Nachtwind über das mondscheinüberflutete Blachfeld dahingetragen.

      Und wenn auch der Nachtwind verstummte, dann belebte das Rauschen des Schmutterbachs das schweigende Dunkel. An den rauchenden Mühlen vorbei, von dem Sumpfwald her, zwischen dessen nachtdunklem Geäst jetzt noch der Pulverdampf brütete, durch die zertrampelten, blutbespritzten Uferböschungen hindurch wälzten sich die silbern glitzernden Fluten, und in ihrem eilfertigen Geriesel spiegelte sich der Glanz der Sterne.

      »So rinnt das Menschenleben dahin!« dachte Herr Albin bei sich und versuchte die Hände zu falten, »flüchtig und vergänglich und trügerisch wie eine Welle. Man kann es nicht fassen und nicht aufhalten in seinem Lauf zu unbekanntem Land. Aber den Widerschein des Himmels sehen wir doch in ihm und können uns darob trösten in unserer Not –«

      Und die Not war groß.

      Um die steile Böschung, die er am Abend, von einer Kugel aus dem Sattel geschleudert, jählings herabgestürzt war, plätscherten und wogten die Wellen. Schon war sein Körper zum Teil vom Wasser bedeckt, und in den zwei Stunden, die er, wieder zum Bewußtsein gekommen, wachend verbrachte, hatte er es deutlich bemerkt, wie unter ihm mehr und mehr das lockere Erdreich schwand, wie das Wasser immer stärker über ihn hinrauschte. Entrinnen aber konnte er ihm nicht. Schon der Wunde wegen. Immer noch floß das Blut aus dem tiefen Loch, das ihm die schwere Musketenkugel zwischen den Fugen des Harnisches hindurch in die Brust geschlagen, und er fühlte sich zum Sterben matt.

      Aber wenn auch seine Kräfte noch ausreichten, den Uferrand zu erklimmen, wo oben, von den im Weidengestrüpp verstrickten Zügeln festgehalten, sein Roß stand – der schwere


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