Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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Wollbluse, dem kurzen Knierock und den darunter sich bauschenden Pantalons, den hirschledernen Gamaschen und niedrigen Schuhen war beim besten Willen nicht viel zu ändern und zu verschönern.

      Das Brenneisen, das sie schon an der Kerze warm gemacht hatte, ließ sie unschlüssig wieder sinken. Schließlich lohnte sich das kaum! Ein besonderer Verehrer des weiblichen Geschlechts schien ihr Hüttengenosse ja nicht zu sein. Wenigstens hatte sie alles andre als gerade Vergnügen über ihre Ankunft in seinen Zügen lesen können.

      Und dann wollte sie die draußen auch nicht zu lange warten lassen. Es war so still, so totenstill draußen. Wenn die beiden nun davongingen ... sie allein in dieser schrecklichen Einsamkeit zurückließen ... Eine unbestimmte Angst erfaßte sie. Sie rannte zur Tür und riß sie weit auf.

      »Sind Sie noch da?« rief sie mit schwankender Stimme in das Dunkel.

      Gleich darauf traten die Männer ein. Der alte Christen hockte am Boden nieder und begann, die mitgeführten Eßwaren und die Blechflaschen mit dem Wein auszupacken. Der Fremde aber setzte sich neben den Ofen, auf dem ein Topf mit Schneewasser summte, rauchte seine Zigarre, zu der er mit schweigender Frage ihre Genehmigung eingeholt, und sah gedankenvoll vor sich hin.

      Ihre herbe, blonde Schönheit schien für ihn nicht zu existieren. Kaum, daß zuweilen ein Blick flüchtig und gleichgültig über sie hinglitt.

      Nach einer Viertelstunde stand der Herr plötzlich auf, holte einen grauen länglichen Gegenstand aus der Tasche und zerbröckelte ihn in Krumen, die er in das brodelnde Wasser warf.

      Alsdann verbreitete sich der Geruch von Erbssuppe im Zimmer.

      Elisabeth sah sehnsüchtig auf. Sie hatte Hunger und erwog, ob sie nicht den finsteren Hochgebirgswanderer um ein bißchen von seiner Suppe bitten sollte, da trat dieser schon mit zwei gefüllten Tellern an den Tisch und schob ihr, sich setzend, den einen höflich zu.

      »Ist das für mich?« sagte sie kühl.

      Er nickte: »Das ist besser, als was Ihnen der alte Christen zusammenkocht. Und Hunger werden Sie schon haben!«

      Das war richtig. Sie nahm dankend von dem Brot, das er ihr reichte, und begann eifrig zu löffeln, ja, sie duldete es, daß er zum Ofen ging und ihren Teller zum zweitenmal füllte.

      Dann brachte der alte Christen das Poulet, das Hauptstück ihrer Marschprovision. Sie bot ihrem Tischgenossen davon an. Aber der dankte stumm und begnügte sich mit einem Stück Käse, das er aus dem Rucksack holte.

      Dabei warf er einen Blick auf das Glas, das sie sich eben aus der Blechkapsel mit Wein füllte. »Das taugt schon gar nichts!« sprach er, »Rotwein in den Bergen ... he ... Christen ... warum hat man euch denn im Hotel keinen ordentlichen Weißen mitgegeben ... ?«

      »Wir haben schon!« knurrte der Alte und zog eine zweite große Blechflasche hervor.

      Sie ließ sich eingießen und sah dabei ihr Gegenüber halb ärgerlich, halb belustigt an. »Sie scheinen recht an das Befehlen gewöhnt!« meinte sie spitz.

      Der zuckte die breiten Schultern. »... Wenn man so viel Unerfahrenheit sieht! ... aber auf meinen Gütern muckst mir keiner ... das ist schon richtig ... dafür bin ich der Herr ...«

      »Wo liegen denn Ihre Güter?«

      »Droben am Main«, sagte er kurz, und beide verstummten wieder. Während sie schweigend ihre Mahlzeit verzehrten, warf Elisabeth einen prüfenden Blick auf seine Hand. Da war kein Goldreif zu sehen. Er mußte also ledig sein.

      Er verstand ihren Blick falsch. »Von dem Käs bekommen Sie nichts!« sprach er und wickelte das übriggebliebene Stück in Papier, »das ist nichts für so 'nen zarten Magen. Und der Magen ist immer das erste, was im Hochgebirg rebelliert.« Der alte Christen hatte indessen abgeräumt und stand jetzt mißmutig neben seiner Herrin, um etwaige weitere Befehle in Empfang zu nehmen. Das war seine Führerpflicht. Aber sehr behaglich schien dem alten grämlichen Gesellen der Gedanke nicht zu sein, hier den Kammerdiener einer jungen Dame zu spielen.

      Sie sah ihn an und lachte. »Legen Sie sich nur schlafen. Ich brauche nichts mehr.«

      Das ließ sich Zum Brunnen nicht zweimal sagen, sondern kroch unverzüglich hinauf in das knisternde Stroh und rollte sich dort in der Ecke zu einem undefinierbaren Knäuel zusammen.

      Nun saßen sich die beiden allein am Tisch gegenüber. Zwischen ihnen flackerte die Kerze in dem Windhauch, der durch die Mauerritzen drang. Man hörte nichts als draußen das eintönige, jetzt nach dem Scheiden der Tageswärme mehr und mehr versiegende Plätschern der Wasser und aus der Ecke das Schnarchen des Alten.

      Elisabeth mußte lachen, als sie hinschaute. Er hatte sich ein feuerrotes Wolltuch um den Kopf gewickelt, das sich grell von dem Lederbraun des verschrumpften, bartlosen Gesichtes abhob. »Jetzt sieht er doch genau wie ein altes Weib aus!« sagte sie nachdenklich zu ihrem Gefährten.

      Der bejahte durch eine schweigende Kopfneigung die Tatsache, und wieder saßen sie stumm beisammen. Sie sah auf die Uhr. Es war erst halb acht. Das konnte ein schöner Abend werden ...

      Da plötzlich schaute der andre auf. »Jetzt sagen S' mir nur«, sprach er, »was haben Sie da oben zu suchen?«

      Sie warf mit rascher Bewegung den Kopf zurück. Es sprühte aus ihren großen blauen Augen.

      »Was ich hier suche?« rief sie, »die Freiheit suche ich! Ich will einmal ich selbst sein!«

      Er schüttelte den Kopf. »Das ist mir zu hoch!«

      »Also passen Sie auf!« sagte sie, sich über den Tisch vorbeugend und ihm ins Gesicht schauend, »ich will es Ihnen erklären: Diesen Winter hab' ich einmal ein Stück gesehen ... von Ibsen ... da breitet die Heldin plötzlich die Arme aus und schreit: ›Ich möchte nur einmal in meinem Leben Himmeldonnerwetter sagen dürfen!‹ Sehen Sie, das ist's! Ich will auch einmal Himmeldonnerwetter sagen ... Es gibt Stunden, wo einem das alles in den Tod zuwider wird ... dies ewige Maßhalten und alles nur halb tun und genießen, wozu wir armen wohlerzogenen Frauenzimmer verdammt sind ... Auf der Straße dürfen wir nur kleine, trippelnde Schritte machen, bei Tisch nur kleine Schlucke trinken, im Salon nur halblaut schwatzen und lachen ... alles Ganze und Große ist uns verboten. ›Das ist unweiblich‹ ... heißt es ... Herrgott ja ... und wir sind doch auch Menschen! ... ich wenigstens bin ein kerngesunder Mensch, so gut wie ein Mann! ... Warum soll ich mich denn nun so geben, als ob mir jedes rauhe Lüftchen und jedes rauhe Wort den Tod bringen würde! ... Ich will auch einmal etwas erleben! Und darum bin ich bei günstiger Gelegenheit entwischt und hier in die Berge gegangen ...«

      Sie hatte sich in Eifer gesprochen. Eine feine Röte bedeckte ihre Wangen, und ihre Augen glänzten.

      Ihr Gegenüber sah sie an, mit einem gutmütig spöttischen Lächeln.

      »Und was ist jetzt?« sagte er, »jetzt haben Sie doch nur den einen Wunsch: Ach, wäre die schreckliche Nacht schon vorbei und ich wieder unten in meinem Hotel!«

      Sie schüttelte ernst das Haupt. »Nein, wirklich nicht! ... Ich habe Großes erlebt an dem heutigen Tag. Er kommt mir wie eine Ewigkeit vor, und mir selbst ist, als wäre ich ein ganz andrer Mensch seit heute morgen. Ich habe dem Tod ins Gesicht gesehen. Ich habe aus eigener Kraft Dinge vollbracht, die ich für unmöglich gehalten hätte. Ich habe meine Angst und meine Schwachheit überwunden und dadurch ... sehen Sie ... so eine Art Selbstachtung bekommen ... gerade das Gefühl, nach dem ich suchte und das ich nie finden konnte ... das Gefühl, daß man eine Persönlichkeit ist und nicht immer von den andern bevormundet und gegängelt wird und sich zum Trost dann einmal vor den Spiegel stellen und sich sagen kann: ›Wenn ich auch sonst nichts bin – hübsch bin ich doch! ... ‹ Das mag ja den meisten genügen ... aber ich fühle so etwas Ödes in mir ... etwas Unbefriedigtes ... einen Drang, etwas Bedeutendes zu tun ... nun freilich ... groß sind ja meine alpinen Heldentaten nicht ...« Sie brach ab und starrte gedankenvoll in das Kerzenlicht.

      Ihr Gefährte rückte seinen Stuhl näher. »Jetzt schau mal an!« sagte er lächelnd, »das hätt' ich nicht geglaubt ... also Ihnen sagen die Berge was?«

      Sie machte


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