Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.feuchte Luft, knisterndes Stroh, eine grobe Pferdedecke ... und über dem Haupte – es mußte auf dem niedern Dache der Klubhütte sein – ein betäubendes Trommeln und Prasseln, in das sich das Knirschen der festgeschlossenen Holzläden und draußen das Stöhnen des Sturmes mengte.
»Was gibt's denn?« rief sie angstvoll vor sich hin.
Da merkte sie, daß auch ihr Hüttengenosse nicht schlief.
»Unwetter gibt's«, antwortete seine tiefe Stimme herüber, »Hagelschlag und Wind und Regen. Das Hochgebirge ist nun einmal ungalant. Das nimmt auf die schönsten Damen keine Rücksicht!«
Sie wickelte sich fester in ihren Woilach. »Eigentlich hab' ich ein bißchen Angst!« sagte sie zweifelnd.
Im Dunkel neben ihr lachte es dröhnend auf. »Angst? ... Sie? ... Ja ... wovor denn?« »Das weiß ich nicht!«
»Sie haben keine Angst!« entschied die Baßstimme jenseits der trennenden Decke. »Sie bilden sich das bloß ein. Und wenn Sie wieder eine Anwandlung bekommen, so denken Sie daran, daß ich bei Ihnen bin und Ihnen also gar nichts passieren kann!«
Sie atmete erleichtert auf. Ja, das war richtig. Sie befand sich hier in guter Hut. Der starke, unverzagte Mann da drüben würde sie schon schützen gegen die Berge, denen er selbst so seltsam glich in seiner Ruhe und Kraft und Einsamkeit.
Rasch, wie er gekommen, zog der Hagelstrich weiter. Das Erbsenschütteln auf den Dachschindeln verstummte, und statt seiner begann draußen einlullend das eintönige Rauschen des Regens ... Sie seufzte noch einmal tief auf. Dann schlief sie wieder ein.
Es ist, als ob solch eine Regennacht in der Alpenwelt kein Ende nehmen will. Stunde auf Stunde verrinnt. Die Uhr zeigt auf sieben, sie zeigt auf acht, und immer noch dringt kaum ein fahler Tagesschein durch die vom Holzladen befreiten Scheiben in das dämmernde Gemach. Und zuweilen ist es, als ob auch das bißchen Schimmer wieder verlöschen und gleich der nächsten Nacht Platz machen würde.
Er war längst aufgestanden, hatte seinen Anzug in Ordnung gebracht und sich eine Zigarre angezündet. Nun saß er am Tische und sah aufmerksam und unbeweglich auf eine Stelle, wo der im Laufe der Nacht etwas vom Seile herabgeglittene Woilach eine Lücke freiließ.
Und hinter dieser Lücke lag ein blasser, schöner, von losem Goldhaar umrahmter Kopf. Mit geschlossenen Augen in das Stroh gebettet, hätte er einer Toten gehören können. Aber ab und zu zuckte es im Traume um ihre roten halb geöffneten Lippen, und er hörte ihre leisen ruhigen Atemzüge.
Seit einer Stunde hielt er den Blick mit tiefem Interesse auf dies merkwürdige Schauspiel gerichtet.
Der alte Christen in seiner Ecke war auch schon munter. Mit gekreuzten Beinen saß er, an seiner Stummelpfeife saugend, im Stroh, blinzelte ab und zu nach dem Herrn herüber und greinte dann rätselhaft vor sich hin. Da machte sie eine Bewegung und streckte den Arm aus, wie um zu erwachen. Ihr Gegenüber sprang auf, winkte dem alten Zum Brunnen, und beide verließen die Hütte.
Als Elisabeth aufstand, sich die Schuhe zuschnürte und das Stroh aus den Kleidern klopfte, empfand sie ein seltsames Mißbehagen, eine Art »Katerstimmung«.
Diese schmutzige, eiskalte Hütte, das zerwühlte, auch nicht ganz einwandfreie Strohlager, der beißende Tabaksqualm, der sich in Wolken an der Decke hinzog, die schmutzigen Teller und Schüsseln mit ihren Käserinden und Wurstschalen, die, mit Asche überstaubt, neben dem Ofen aufgeschichtet standen, die Stricke, die Pickel und all das sonstige Gerät in den Ecken, und nun gar da oben der Verbandkasten – ihr wurde ganz flau zumute, während sie sich vor dem erblindeten Spiegelchen notdürftig die Haare zurechtmachte.
Dann öffnete sie die Tür und trat hinaus.
Eine Winterlandschaft umfing sie! Alles ringsum weiß, so weit der Blick durch den dick flutenden Nebel drang. Bis zu den Hüttenwänden hin lagen die Schneereste und dazwischen in kleinen Mulden und Furchen des Gerölls die vom Wind zusammengefegten Graupenkörner des nächtlichen Hagelschlages.
Auch jetzt hörte man das Pfeifen des Sturmes im Nebelgetriebe. Vereinzelte weiße Flocken senkten sich ununterbrochen, mit seinem Sprühregen untermischt, hernieder. Es war bitter kalt.
Die beiden Männer, die vor der Hütte standen und über die Wetteraussichten verhandelten, hatten sich fest in ihren Mantel gewickelt. Als sie herankam, reichte ihr der greise Bergführer schweigend die Hand; ein hornartig braunes Riesengebilde, in dem ihre zarten weißen Finger rettungslos verschwanden. Sein Gefährte aber lachte laut auf. »Guten Morgen!« rief er, »heute scheint es mit der Abenteuerlust nicht mehr so weit her zu sein!«
»O doch!« Sie stockte. »Nur vorher ... sagen Sie mal ... ist denn gar kein Waschwasser aufzutreiben?«
»Nein!« sagte er streng, »wer sich vor einer Gletschertour wäscht, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn er aufgesprungene Lippen und Risse in der Haut bekommt. Und wollen Sie für den Rest Ihrer Tage mit einer roten Nasenspitze umherlaufen?« ...
»Lieber tot!« sagte sie schaudernd.
»Also gehen S' wieder in die Hütten!« entschied er. »Haben Sie Eau de Cologne bei sich? ... schön ... damit kann man sich vortrefflich waschen.«
Das tat sie also. Dann klopften die Männer an die Scheibe und erhielten die Erlaubnis, einzutreten.
Sie hatte sich, des Frostes wegen, in eine Decke gewickelt und sah, auf einem Schemel kauernd, gähnend und verschlafen zu, wie der Morgenkaffee bereitet wurde.
Eigentlich war es doch ganz spaßhaft. Und der Gedanke, bald etwas Warmes in den Leib zu bekommen, erfüllte sie mit neuem Wagemut.
Vor den Fenstern huschte etwas geschäftig hin und her. Ein kleines rostbraunes Wiesel, das in zierlichen Sprüngen über Gestein und Schnee flog und sich an den weggeworfenen Pouletknochen gütlich tat.
»Das Viehchen haust schon zwei Jahre hier!« sagte vom Ofen her ihr finsterer Freund, »ich seh's jedesmal, wenn ich in die Hütte komm. Aber wovon's außerhalb der Saison lebt, das mag der Himmel wissen.«
Der alte Christen hatte seinen Kaffee geschlürft und sah aufmerksam in das Hundewetter draußen hinaus, das nur ab und zu ein Windstoß von oben erhellte. Dann krochen wie eine Herde gescheuchter Gespenster die Nebelschwaden über den Gletscher zurück, ein, zwei eilig im Sturm treibende graue Fetzen als Nachzügler hinterher, und man konnte einen Augenblick die Berge auf der andern Seite erkennen.
Endlich ging Zum Brunnen hinaus, um sich durch ein wunderliches Schnuppern in der Luft über die Chancen der Witterung zu unterrichten.
Inzwischen hatte der andre einen primitiven Frühstückstisch bestellt.
Sehr behaglich fühlte sie sich nicht, als sie in dem grämlichen Morgenlicht ihm gegenüber Platz nahm. Mit blassem, übernächtigem Gesicht und Strohfetzchen im Haar, mangelhaft gewaschen und zur Not frisiert, mußte sie recht wie eine Zigeunerin aussehen.
Und überhaupt war es doch eine eigentümliche und beklemmende Situation, besonders nachdem sie gestern so schnell miteinander vertraut geworden waren.
Auch er schien etwas mißmutig. Er schwieg und rauchte.
»Sind Sie denn den ganzen Sommer so in den Bergen«, fragte sie ihn endlich, um irgendwie das Gespräch zu beginnen. Er nickte. »Sowie die Ernte herein ist; bis tief in den Herbst bin ich ein Stammgast aller Schweizer Klubhütten. In die Tiroler gehe ich nicht mehr. Das werden bald Hotels mit Kellnern, Lift und elektrischer Beleuchtung. Und ich will allein sein ...«
»Und wenn Sie nicht mehr auf die Berge können ... was machen Sie die übrige Zeit im Jahr ... ?«
»Oh«, sprach er und paffte die Zigarrenwolken vor sich hin, »im Winter hab' ich die Jagd ... schöne Jagd auf Hochwild und Sauen ... Und im Frühjahr und Frühsommer ... da hab' ich als Landwirt genug auf dem Felde draußen zu tun. Da wird mir die Zeit nicht lang!«
Sie blickte ihn fest an. »Mir würde die Zeit doch lang werden«, sagte sie mit klarer Stimme, »wenn ich mich gar nicht um meine Mitmenschen kümmerte. Ich finde, das muß man! Nicht des Amüsements wegen