Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.Er wußte Bescheid. Er hatte selbst Hunde gehabt und war ein Fachmann auf dem Gebiet. Was für ein Narr war er doch! Diese Bastarde hatten den einfachsten und sichersten Weg gewählt, ihn zu fassen. Sie hetzten die Hündin hinter ihm her!
So hatte er es getan, wenn einmal Sklaven aus dem Lager am Cerro Rico von Potosi geflohen waren. Auch kurz vor seinem Aufbruch nach Arica, von wo aus seine Expedition in See gegangen war, hatte er einen dieser Indio-Affen, wie er sie nannte, „erlegt“. Der Kerl hatte sich eingebildet, ungesehen und ungehört aus dem Lager zu entwischen.
Aber er hatte einen Fehler begangen: Er hatte versucht, ihn, Carrero, umzubringen, und zwar mit einem Hartholzmesser. Carrero war dem Anschlag auf sein Leben dank seiner Geistesgegenwart entgangen – und dann hatte er seine Bluthunde auf den Mann gehetzt.
Ja, sie hatten ihn zerrissen. Carrero hatte sich das Werk selbst angesehen. Viel war von dem Kerl nicht übriggeblieben. Hatte er es anders verdient? Kein Indio durfte sich in den Kopf setzen, einen Luis Carrero überlisten zu können.
Außerdem waren sie allesamt dumm und dreist, diese Indio-Affen. Waren sie nicht von Gott bestimmt, als Sklaven für die Spanier zu arbeiten? Na also – es gab nichts Besseres und Richtigeres für sie. Statt sich zu beugen und dankbar zu sein, rebellierten sie jedoch. Dagegen gab es nur ein Mittel. Man mußte Exempel statuieren, um die anderen an der Kandare zu halten.
Carrero hatte immer nach dieser Devise gehandelt, unterstützt von Don Ramón de Cubillo, der alles guthieß, was sein Oberaufseher tat. Carreros Erfolge zählten: Er herrschte wie ein Despot, und auch die Aufseher kuschten vor ihm wie die Bluthunde.
Carrero war überall und hielt seine Augen und Ohren offen. Nichts konnte ihm entgehen. Und wenn neue Sklaven beschafft werden mußten, weil einige von den Indios die Frechheit hatten, einfach zu sterben, war Carrero immer sehr schnell mit „Nachschub“ bei der Hand.
Jawohl, er war ein angesehener Mann in Potosi. Und so würde es auch wieder sein, obwohl der Provinzgouverneur inzwischen allen Grund dazu hatte, sich zu sorgen. Keine Nachrichten von Carrero und dem Expeditionstrupp, obwohl diese schon längst hätten zurück sein müssen! Das gab selbst einem behäbigen Mann wie de Cubillo allmählich zu denken.
Warte auf mich, Don Ramón, dachte Carrero, ich komme!
Dann wandte er noch einmal den Kopf und stellte fest, daß der graue Schatten noch nähergerückt war. Das war die Realität – er konnte sich ihr nicht entziehen!
Es war genau die Situation, die er Hunderten von Sklaven mit seinen Bluthunden bereitet hatte. Jetzt war es umgekehrt – er war der Gejagte. Und er hatte Angst vor dieser wölfischen Bestie. Das Grauen, das ihn packte, konnte er nicht abschütteln.
„Nein!“ stieß er hervor.
Er glaubte, ein Hecheln und Knurren zu vernehmen. Der Abstand zwischen ihnen schrumpfte zusammen. Gleich war die Hündin heran. Carrero spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach. Sein Atem ging jagend, sein Herz schlug wie wahnsinnig. Die Seitenstiche nahmen wieder zu.
Aufhören! schrie es in ihm. Ich werde verrückt!
Schon einmal hatte ihn dieses Wolfsvieh umgerissen – entsetzlich! Das Hecheln war dicht hinter ihm. Das Knurren, das in unregelmäßigen Zeitabständen ertönte, holte ihn ein und versetzte ihn in Panik.
„Nein!“ schrie er. „Ich will nicht sterben!“
Carrero riß die eine der beiden erbeuteten Pistolen heraus – es war die von Luke Morgan. Er drehte sich halb um, spannte den Hahn, legte auf die Hündin an und drückte mit wutverzerrtem Gesicht ab.
Die Wölfin schien den Schuß geahnt zu haben. Sie schnellte zur Seite. Carrero feuerte auf den huschenden Schatten, der aber plötzlich hinter einem Uferfelsen verschwand.
Es schien sie nie gegeben zu haben, diese teuflische Wolfshündin. Es wirkte, als habe sie sich in Luft aufgelöst wie ein Spuk. Der Schuß donnerte in die Nacht – und ging fehl. Irgendwo prallte die Kugel von den Felsen ab und jaulte als Querschläger davon.
Carrero stöhnte auf. Das hatte ihm noch gefehlt.
Wieder hörte er das Knurren. Wie von Sinnen schleuderte er die leergeschossene Pistole aus dem Gurt. Sie gehörte Jack Finnegan, und es handelte sich um ein solides, nicht sonderlich aufwendig gearbeitetes, aber sehr präzises Radschloß-Modell.
Carreros Gesicht war eine Fratze der Angst und des Hasses. Er wollte den Hahn spannen, griff aber mit dem Daumen daneben. Er stolperte und drohte zu stürzen, fing sich wieder, fluchte und hantierte mit beiden Händen an der Waffe herum.
Endlich gelang es ihm, den Hahn zu spannen. Da sah er, wie der Schatten des Tieres wieder hinter dem Felsen hervorsprang.
„Nein!“ schrie er.
Plymmie raste auf ihn zu, ein zähnefletschendes Ungeheuer in der Nacht. Das Knurren nahm zu, das Hecheln wurde zu einem Dröhnen. Ihr Atem verwandelte sich in Dampf. In dieser Vision sah Carrero sie plötzlich, und er schrie noch einmal.
Er war halb irrsinnig vor Angst und Entsetzen, vor allem deshalb, weil er wußte, was solche Hunde mit Menschen anrichten konnten. Brüllend richtete er die Radschloßpistole auf Plymmie.
„Du Vieh! Ich bring’ dich um!“ schrie er.
Ihr Schatten flog an ihm vorbei. Er feuerte im Laufen, und ein Donnerhall rollte über den Strand. Der Mündungsblitz stach auf die Wolfshündin zu, doch wieder war sie schneller. Schon war sie vorbei, und die Kugel raste ins Leere.
Carrero brüllte auf und schleuderte die Pistole nach ihr. Er traf auch dieses Mal nicht. Die Pistole landete im Sand.
Plötzlich war Plymmie wieder verschwunden. Carrero taumelte. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. War dieses Vieh vielleicht wirklich verhext? Stand es mit dem Teufel im Bund? Er konnte es nicht fassen. Er war ein guter Schütze, und er hatte schließlich auch den Kerl nicht verfehlt, der ihn angerufen und bedroht hatte. Warum gelang es ihm nicht, dieses Höllenbiest zu töten?
Er hatte nur noch das Entermesser als Waffe. Er zog es aus dem Gurt, nahm es in beide Hände, blieb stehen, blickte gehetzt nach allen Seiten und sagte: „Komm her! Wo bist du?“
Seine Stimme klang schrill und verzerrt. Er erkannte sie selbst kaum wieder. Wütend hackte er mit dem Entermesser durch die Luft.
„Du dreckiges Biest!“ brüllte er. „Wo steckst du?“
Er sah das Tier nicht, so sehr er seine Augen auch anstrengte. Keuchend, mit pumpenden Lungen, stand er da. Er duckte sich und schaute sich wieder nach allen Seiten um.
Da! Da war etwas! Oder nicht? Carrero war sicher, eine Bewegung bemerkt zu haben. Er schleuderte das Entermesser. Es huschte durch die Luft. Und dieses Mal traf er. Es gab ein hartes Geräusch, und er vernahm auch einen Ton, den Laut eines Tiers im Sterben, wehklagend und hell. Dann riß es ab.
Carrero trat auf sein Opfer zu. Er bückte sich – und dann begriff er. Es war nicht die Hündin, die er mit dem Messer getroffen hatte. Es handelte sich um einen Strandhasen, der jählings aufgetaucht war. Er hatte ihn glatt geköpft.
Carrero begann, wie ein Irrer zu lachen. Er konnte sich nicht mehr beruhigen und ließ das Entermesser zu Boden fallen. Nutzte es ihm noch? Nein. Das Vieh war fort. Verschwunden! Er konnte wieder laufen – Arica entgegen.
Er lief und lief, lachte und lachte. Er vernahm kaum das leise Knurren, das plötzlich wieder hinter ihm war. Und welche Bedeutung hatte es jetzt noch? Er hatte den Köter abgehängt, in die Flucht geschlagen – jawohl!
Die Wölfin war heran, setzte Carrero in letzten, langen Sprüngen nach und hob vom Boden ab. Sie flog von hinten auf ihn zu, saß ihm im Nacken und riß ihn mit sich nieder.
„Nein!“ schrie Carrero.
Aber sein gellender Schrei verröchelte. Es nutzte ihm nichts mehr, daß er mit den Fäusten nach ihr schlug und wie verrückt mit den Beinen stieß. Die Wölfin war ihm überlegen. Ihre kräftigen Zähne schnappten nach seiner Kehle. Carrero sah sie