Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.vom Kutscher. Wollen doch gleich mal sehen, ob das Zeug noch gut ist.“
„Jetzt einen – und einen, wenn es dunkel wird“, sagte Hasard. „Das wärmt dann noch einmal die Knochen auf.“
Sie tranken einen auf Will Thorne, die gute Seele der Mannschaft, der an alles gedacht hatte. Später wurden zwei Laternen entzündet, die mit ihrem Flackerschein das Plateau gespenstisch erhellten. Es war still und ruhig, bis auf das ständige Heulen des Windes, der unermüdlich um die Felsen strich.
Die Mulis waren dicht zusammengerückt und wärmten sich gegenseitig.
Der Wind wurde eisiger, beißender und noch kälter. Und er orgelte und pfiff jetzt um die Felsen herum.
Nach dem Abendessen gab es kein langes Palaver mehr. Jeder trank noch einen Schnaps und suchte dann eins der beiden Zelte auf.
Die Zeltplanen knatterten wie killende Segel, wenn der Wind böartig in sie hineinfuhr. Den Untergrund auf dem harten Gestein hatten sie mit Decken gepolstert, und mit den Felljacken deckten sie sich zu.
„Richtig gemütlich“, sagte Dan O’Flynn, „wenn es draußen lausig kalt ist und der Wind pfeift.“
Aber er erhielt keine Antwort mehr. Der Marsch hatte sie doch alle sehr mitgenommen. Sie waren solche Höhen nicht gewöhnt. Der einzige, der noch wach war und an dem alles anscheinend spurlos vorübergegangen war, war Pater Aloysius. Um Mitternacht stand er noch einmal auf und sah nach den Mulis.
Bis auf das Orgeln des Windes herrschte eine fast majestätische Stille hier oben. Pater Aloysius sah sich um. Über den fast schwarzen Linien der Berge leuchteten nur wenige Sterne. Die Nacht war kalt und klar.
Zwischen zwei Bergen, tiefer zum Horizont hin, stand als tröstliches Zeichen das helle Kreuz des Südens.
Da es auf eine Stunde mehr oder weniger nicht ankam, ließ Hasard die Männer ausschlafen, damit sie frisch und ausgeruht waren.
Aloysius und Pater David waren schon seit längerer Zeit wach und hatten ein Feuer entzündet.
Die Sonne war gerade aufgegangen, aber noch nicht zu sehen. Dafür leuchteten die Berge in unwahrscheinlichen Farben. Da gleißte es kupferfarben oder grellgelb, da blitzten kleine silbrige Kronen auf, deren strahlender Glanz fast unerträglich für die Augen wurde. Die Bergwelt hüllte sich in ein Kaleidoskop aus prächtigen Farben.
„Herrlich, so ein Sonnenaufgang“, sagte Pater David zu Hasard. „Unserem Freund geht es schon etwas besser. Er behauptet, seinetwegen könnten wir ruhig wieder weiterziehen. Aber Bruder Aloysius hat da noch Bedenken.“
„Dann bleiben wir noch einen weiteren Tag“, sagte Hasard. „Mir ist es lieber, wenn alle Männer frisch, ausgeruht und gesund sind.“
Aloysius hatte wieder dieses rätselhafte schnelle Lächeln drauf, das mitunter jedoch schlagartig aus seinem Gesicht verschwand.
„Darum geht es nicht allein. Wir könnten ernsthafte Schwierigkeiten kriegen, wenn wir den Weg fortsetzen. Kurz nach der Mittagszeit dürfte es in den Bergen ein Höllenspektakel geben.“
Hasard sah den Padre fragend an, denn er begriff nicht, was der mit dem Höllenspektakel meinte.
„Ein Gewitter“, erklärte Aloysius, „ein Berggewitter. Ich fühle das, ich kann es fast riechen. Die Luft ist heute anders.“
Hasard sah in den mattblauen Himmel, blickte auf die umliegenden Berge und sah nichts weiter als eine gigantische lautlose Explosion von Farben, die man nur sehr selten zu sehen bekam. Die Bergwelt schien zu brennen und in hellen Flammen zu stehen.
„Ein Gewitter?“ fragte er ungläubig.
Die ersten Männer waren erwacht und betraten das Plateau. Als sie die höhersteigende Sonne sahen, schwiegen sie beeindruckt. Das Farbenspiel war noch gewaltiger als auf dem Meer. Da glitzerten in weiter Ferne weiße Schneehänge wie Kristall in allen Farben. Wie der Schein funkelnder Diamanten gleißte es herüber.
„Ja, ein Gewitter. Es ist besser, wir bleiben auf dem Plateau, zumindest solange, bis es vorüber ist. Wenn es uns auf den schmalen Wegen bei den Abgründen erwischt, kann es sehr gefährlich werden. Die Mulis keilen dann aus und spielen verrückt. Sie könnten in ihrer Angst Männer vom Pfad reißen.“
Hasard konnte sich bei diesem Sonnenaufgang zwar immer noch kein Gewitter vorstellen, aber Aloysius schien ein Gespür dafür zu haben. Wenn sie auf See waren, konnten sie auch meist vorhersagen, ob der Wind drehen würde, oder ob es Sturm gab. So ähnlich mußte es auch der Padre in den Bergen spüren.
Als die Sonne noch höher stieg und die ersten Strahlen auf das Plateau fielen, wurde es unvermittelt warm. Eine halbe Stunde später war es schon heiß und kaum noch zum Aushalten.
„Das schafft den letzten Ochsen“, sagte Carberry. „Tagsüber diese Bullenhitze wie in der Karibik, und nachts friert einem glatt das Gehirn ein, wenn man nicht aufpaßt.“
„Du mußt eben mehr denken“, sagte Dan, „dann bleibt da drin alles beweglich.“
„Wie soll ich denn denken, wenn ich schlafe, was, wie?“
„Indem du jede halbe Stunde aufstehst und scharf nachdenkst.“
„So ’n Stuß! Das ist genau wie mit dem Gewitter. Wenn es heute mittag ein Gewitter gibt, dann rupfe ich die Berge mitsamt den Wurzeln aus dem Boden.“
„Die haben aber verdammt lange Wurzeln“, meinte Stenmark. „Da wirst du ganz schön rupfen müssen.“
Gegen Mittag wurden die Mulis unruhig. Carberry ging zu seinem Diego hinüber und sah ihn an. Das Tier scharrte unruhig mit den Hufen.
„Na? Heute ist dir wohl dein dämliches Grinsen vergangen?“ fragte der Profos grinsend. Er streckte die Hand aus und kraulte Diego beruhigend den Hals.
Das war auch so eine Sache, über die der Profos und die anderen sich jedes Mal köstlich amüsierten. Wenn der seltsame Zossen am Hals gekrault wurde, dann stieß er laute Schnarchtöne aus, die ganz offensichtlich sein Wohlbehagen ausdrückten. Zog der Profos die Hand weg, dann hörte Diego mit dem Schnarchen auf und stieß Carberry auffordernd mit dem Maul an.
Nochmals eine Stunde später hatte sich das Bild der Bergwelt gewandelt, und zwar erstaunlich schnell. Die Männer sahen sich an und grinsten versteckt, denn es sah ganz so aus, als würde sich Pater Aloysius’ Voraussage bewahrheiten.
Wie aus dem Nichts erschienen dicke, finstere Wolken, die rasch heranzogen und sich zusammenballten. Die Sonne schien noch, jedoch von heller eigenartiger Farbe. Es begann schwül zu werden.
„Dann kannst du ja gleich anfangen und die Berge mitsamt den Wurzeln ausrupfen“, lästerte Matt Davies. „Es sieht tatsächlich nach einem Gewitter aus.“
„Pah, was ist schon ein kleines Gewitter! Wenn es noch ein richtiges Seegewitter wäre, aber hier …“
Der Profos winkte verächtlich ab, als sei das eine Bagatelle.
„Dann kann dein Diego ja mit dem Gewitter um die Wette ballern“, meinte Fred Finley.
Aloysius sagte gar nichts. Er hörte nur zu. Die meisten schienen das auf die leichte Schulter zu nehmen. Nun – sie würden sich sicher noch wundern, wenn es erst einmal krachte.
Die immer dunkler werdenden Wolken zogen so dicht über sie hin, daß man sie fast mit den Händen greifen konnte. Dabei wurde es zusehends dunkler und finsterer.
Die Mulis drängten sich wieder zwischen den Felsnasen zusammen. Alle hatten die Köpfe gesenkt und warteten ergeben.
Dann erfolgte unvermittelt der erste Schlag. Heiß und grell stach es aus den finsteren Wolken. Ein wildzuckender gleißender Blitz, der in den Augen weh tat, verschwand hinter einem Berg. Wie ein glühendes Schwert zuckte er aus dem Himmel. Drei, vier Lidschläge lang blieb es geisterhaft still.
„Sag bloß nicht, mein Vater hockt jetzt wieder auf der Schlangen-Insel und hext“, murmelte Dan, „der