Seewölfe Paket 23. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.bersten und splittern.
Selbst der Profos zuckte zusammen, als hätte ihn ein Hammer getroffen. Aber mit diesem einen gewaltigen Schlag war es noch längst nicht getan. Das Krachen verstärkte sich überlaut in den Bergen und kehrte als vielfältiges Echo von allen Seiten zurück. Es rollte und rumpelte, die Berge zitterten, und die Felsen schienen gefährlich zu wackeln.
Das wilde Rollen war noch nicht verklungen, da hatte der Profos das Gefühl, als fliege in seiner unmittelbaren Nähe ein Pulvermagazin in die Luft. Diesmal duckte er sich schluckend. Geräusche drangen an seine Ohren, als hocke er selbst mitten in dem hochgehenden Pulvermagazin.
Fred Finley und Stenmark flitzten ins Zelt, als ein paar dicke Regentropfen klatschend herabfielen.
Matt Davies deutete auf seinen Haken und brüllte, er müsse ebenfalls im Zelt verschwinden, sonst würde der Blitz in seine eiserne Hakenprothese fahren und ihn rösten.
Das war der Auftakt zu einem kleinen Inferno, das der Profos als Bagatelle abgetan hatte. Jetzt wurde er eines Besseren belehrt und zuckte immer wieder verstört zusammen.
Nur diesen Bruder Aloysius, dachte er, den kann nichts erschüttern. Der hockte seelenruhig an der Felswand und zählte die Blitze, die da pausenlos herniederfuhren. Das tosende Krachen schien ihn nicht im geringsten zu stören.
Die Männer erlebten ihr erstes ausgewachsenes Berggewitter, das sie kolossal beeindruckte.
Immer wieder schien sich die Welt in heller Glut zu verzehren. Ein wildes grelles Aufblitzen, dann ein ekelhaft anzuhörendes Zischen, ein Flammenschwert zerhieb die Wolken, und dann gab es ein Spektakel, als fliege alles auseinander.
Was war dagegen eine Breitseite oder ein explodierendes Pulverfaß?
Hier feuerte der Himmel seine Breitseiten ab, und die waren so gewaltig, daß sie alles sprengten, zerfetzten oder zersplitterten, auch wenn es aus gewachsenem Fels war.
Im wilden Aufleuchten eines langen gezackten Blitzes sahen sie, wie ein hoher Felsen gespalten wurde. Das glühende Schwert spaltete ihn in zwei Teile. Die eine Hälfte blieb unbeweglich stehen. Die andere kippte zur Seite, brach ab und polterte als eine pausenlos dröhnende Lawine über Hänge und Plateaus bis in die Schluchten hinunter.
Zu diesem Zeitpunkt waren sie alle im Zelt und sahen dem eindrucksvollen Schauspiel durch einen schmalen Spalt zu.
Hin und wieder klatschten ein paar große Tropfen herab, sonst blieb es trocken.
Der Profos setzte immer wieder zum Sprechen an, doch niemand verstand auch nur ein Wort. Die Umgebung war erfüllt von berstenden Geräuschen, von Explosionen, die immer lauter wurden, und in denen es keine Pause gab.
Das ging länger als eine Stunde so. Dann erst schwächte sich das wilde Tosen allmählich ab. Das Gewitter zog vorüber. Das Rollen in den Bergen blieb noch lange zu hören.
Aloysius sah der gewaltigen finsteren Wolke nach, aus der der Herr im Zorn gesprochen hatte, und lächelte, als der Profos sich ihm näherte.
Carberry wollte gerade sagen, wie sehr ihn das beeindruckt hätte, und daß es doch ein verdammter Unterschied zwischen einem Gewitter auf See oder einem in den Bergen wäre. Der Profos war sichtlich erschüttert und aufgewühlt.
„Zum Glück war es nur ein kleines Gewitterchen“, sagte Aloysius, „nicht einmal der Rede wert.“
„Ja, was ein Glück“, murmelte Ed erschüttert. „Wie steht es denn bei einem großen Gewitter, Bruder?“
„Oh, da muß man sich vorsehen, es kann tagelang dauern, und dann glaubst du, die Welt ginge unter. Ein Seegewitter ist da wohl wesentlich schlimmer, nicht wahr?“
„Jaja – äh – natürlich, wesentlich schlimmer“, stammelte Ed, der immer noch schlecht hören konnte. „Hier ist man ja in den Bergen geschützt“, setzte er schlitzohrig hinzu, „während man sich auf See – äh – sozusagen nicht verstecken kann und den Kräften sinnlos ausgesetzt ist.“
„Sinnlos?“
„Ich – ich meinte hilflos“, murmelte der Profos, der sich sehr anstrengen mußte, um Bruder Aloysius zu verstehen.
„Na, dann geh mal wieder ins Zelt, Bruder Edwin. Das Gewitter kehrt nämlich gleich wieder zurück.“
Völlig perplex starrte Ed den Padre an. Dann sah er der finsteren Wolke nach, aber die zog nicht mehr weiter. Sie war „stehengeblieben“, wie der Profos erstaunt feststellte. Tatsächlich kehrte sie gleich darauf zurück und verteilte sich wieder.
Sehr seltsame Winde scheinen da im Spiel zu sein, überlegte Carberry.
Nach ein paar Minuten ging das Getöse erneut und mit infernalischer Wucht los. Es krachte und donnerte, und die Blitze zuckten jetzt so oft über den Himmel, daß alles taghell erleuchtet wurde.
Ganz in der Nähe schlug es zweimal hintereinander unter ohrenbetäubendem Krachen ein. Die Hammerschläge, die den Blitzen folgten, erschütterten wieder die Felsen.
In den Felsen rollte und tobte es. In pausenloser Reihenfolge schienen Pulverfässer in die Luft zu fliegen.
Erst nach zwei weiteren Stunden verabschiedete sich das Gewitter mit einem Rollen und Donnern das an entfernten Kanonendonner auf See erinnerte.
Als es endlich vorbei war, ging es Jean Ribault erstaunlicherweise viel besser. Seine Kopfschmerzen wären verschwunden, er litt nicht mehr unter Schwindelanfällen und konnte wieder frei atmen.
„Es hat jetzt keinen Zweck mehr, noch aufzubrechen“, sagte Aloysius, „in ein paar Stunden wird es dunkel und kalt. Ich schlage deshalb vor, daß wir heute nacht auf dem Plateau bleiben. Morgen steht uns ohnehin ein beschwerlicher Marsch bevor, denn es geht immer höher hinauf.“
„Ja, wir bleiben hier“, stimmte Hasard zu. „Unnötige Risiken sollten wir nicht eingehen.“
Kurze Zeit darauf erfolgte wieder der überraschende und unangenehme Wechsel von heiß auf kalt. Kaum war die Sonne verschwunden, zog eisige Kälte über das Plateau.
Die Männer beeilten sich, ihre pelzgefütterten Jacken wieder anzuziehen und lobten im stillen ihren Will Thorne. Am Abend tranken sie nochmals ein Schnäpschen auf ihn.
Wenn der alte Segelmacher gewußt hätte, wie oft auf ihn schon getrunken worden war, dann würde er jetzt drei Tage lang total abgefüllt unter der nächsten Bank liegen. So jedenfalls behauptete das der Profos, und der mußte es ja wissen.
Am anderen Morgen – es war der dritte Dezember – setzte sich der Trupp wieder in Marsch. Die Maultiere waren bepackt. Über die Grate und Schroffen der Bergwelt tastete sich das mörderische Sonnenlicht, das ihnen kurz darauf brennend heiß in die Gesichter schien. Trotz der Salbe spannte sich bereits die Haut.
Ohne die fettige Salbe hätten sie jetzt schon die Gesichter von Mumien gehabt, sagte der Pater.
Der Tag verlief ereignislos. Sie kletterten, marschierten, hielten Rast und bewegten sich unermüdlich weiter auf den Tacora-Paß zu, vor dem sie am fünften Dezember standen.
Die Bergwelt hatte sich verändert. In der Ferne waren schneebedeckte Gipfel zu sehen. Die Luft war noch dünner geworden, aber mittlerweile hatten sich die meisten daran gewöhnt. Hin und wieder litt einer unter Kopfschmerzen – normale Anzeichen in den ungewohnten Höhen.
Über viertausend Yards waren sie jetzt hoch, winzige Punkte in einer unwirtlichen Bergwelt, die sich langsam bewegten.
Eine gewaltige Landschaft türmte sich vor ihnen auf. Im dunkelblauen Himmel glühten ostwärts Schneefelder und bläuliche Eiskämme in der grellen Sonne. Die Einsamkeit ringsum war total.
Matt Davies behauptete, man könne die ganze Welt atmen hören. Hier wuchsen noch niedere Sträucher, harte Grasbüschel und hin und wieder ein völlig verkrüppelter und verwitterter Baum. Sehr tief unter ihnen gab es hin und wieder ein Rinnsal oder ein Bächlein, deren Ufer geschützter und nicht den eisigen Winden ausgesetzt waren. Dort wuchs dann etwas spärliches Grün.