Seewölfe Paket 23. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 23 - Roy Palmer


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sie einen Schwarm hungriger Geier, die nach Raub ausspähten.

      Die Luft war glasig und dämpfte die Laute der Schritte oder das Trappeln der Hufe.

      Jetzt folgte dem breiteren Geröllweg ein schmaler Bergpfad. Links ragten gigantische Steilfelsen in den Himmel. Rechts ging es senkrecht steil ab in Tiefen, die kaum auszuloten waren. Man mußte schon gute Nerven haben, um an diesem zerklüfteten Abgrund über einen äußerst schmalen Pfad zu marschieren.

      Die Männer hatten diese Nerven, sonst hätten sie das Unternehmen Potosi gar nicht erst in Angriff genommen. Sie waren schwindelfrei, wie man das von einem Seemann erwarten durfte, der einen Teil seines Lebens in luftigen Höhen und auf schwankenden Rahen verbrachte.

      Dennoch war das hier ein gewaltiger Unterschied, denn ein einziger Fehltritt brachte den sicheren Tod. Wer einmal abrutschte, der konnte sich an den Felswänden nicht mehr halten, der sauste unweigerlich in die furchtbare Tiefe, wo er zerschmettert wurde.

      An diesem Tag bewies Diego, daß er auch noch ganz andere Qualitäten hatte, als dämlich in die Welt zu grinsen.

      Sie mußten einer hinter dem anderen auf dem schmalen Pfad gehen.

      Vor Edwin Carberry ging Pater David. Er schritt ruhig und gelassen aus und konzentrierte sich auf den schmalen Pfad. Dem Profos folgte Stenmark, die Spitze hielt Pater Aloysius. Der Profos ging rechts von seinem Maultier, was ihm schon einmal einen mißbilligenden Blick des Paters eingebracht hatte, als der sich einmal umdrehte.

      Diego benahm sich lammfromm, als wüßte er genau, daß dieser Pfad lebensgefährlich wäre. Er schnaubte nur hin und wieder leise oder schlenkerte seinen Kopf, wie er das oft tat.

      Carberry war fast andächtig in den Anblick der himmelstürmenden Bergwelt versunken und blickte auf einen weit voraus liegenden Berggrat, der wie pures Gold im Sonnenlicht funkelte.

      Als er den Blick abwandte und sich wieder auf den Pfad konzentrierte, verschwamm für einen Augenblick alles vor seinen Augen. Das gleißende Licht hatte ihn doch etwas geblendet.

      Dieser kurze Augenblick genügte, um ihn straucheln zu lassen. Sein Oberkörper drehte sich zur Seite, und dann kippte der Profos ab in die unermeßliche Tiefe. Er war so geschockt, daß er nicht einmal mehr einen Schrei ausstoßen konnte.

      In diesem Augenblick wurden aus einem Lidschlag Ewigkeiten. Die Zeit schien still zu stehen.

      Noch im Abkippen und im Sturz sah er das fassungslose Gesicht von Stenmark, vernahm einen leisen unterdrückten Schrei und sauste weiter in die Tiefe.

      Dem eisenharten Profos gefror das Blut in den Adern. Er sah sich fallen, fallen und immer tiefer fallen, und er glaubte auch schon den Einschlag seines schweren Körpers zu spüren.

      Für den Profos, aus dessen eigener Sicht es keine Rettung mehr gab, änderten sich alle Bezugs- und Zeitabläufe. In diesem Augenblick des unausbleiblichen Todes befand er sich in einer anderen Welt. Bilder aus ferner Vergangenheit stiegen vor seinen Augen auf. Sie rasten in einem unwahrscheinlichen Tempo vorbei.

      Er sah den alten Carberry in seiner Schmiede am Amboß stehen. Dann befand er sich übergangslos auf der „Golden Hind“ unter Francis Drake. Er sah sich als Profos, wie er Doughty durch das Schwert richten mußte, und er sah, wie dessen abgeschlagener Kopf auf die Kuhl rollte. Rasend schnell zogen die Eindrücke vorbei. England, Weltumsegelung, Karibik, Tortuga – alle Stationen seines Lebens schien er noch einmal zu durchlaufen.

      Sein letzter Eindruck war ein Tampen, der offenbar von einer Rah herabbaumelte und sich ganz dicht vor ihm befand.

      Wenn er diesen Tampen nicht ergriff, das wußte er mit absoluter Sicherheit, dann würde etwas Schreckliches passieren. Der Tampen war groß und gewaltig und schwang hin und her. Er streckte die Hände aus, aber der Tampen schwang wieder zurück. Es war wie ein fürchterlicher Alptraum. Unendlich langsam kehrte der Tampen wieder zurück, und er griff vorsichtig mit beiden Händen danach.

      Für die anderen sah das alles wieder ganz anders aus. Außerdem ging es so blitzschnell, daß keiner es genau sah.

      Carberry stürzte, und noch während sein Körper zur Seite fiel, packten seine mächtigen Hände zu. Sie verkrallten sich um die Leine, die dem Maultier Diego von einer Art Sattelhorn hing. Das eine Ende hing frei vom Sattel herunter, während das andere Ende mit dem Auge um das Sattelhorn lag wie um einen Poller.

      Die paar Yards Leine gaben nach und rauschten unter dem Gewicht des Profos in die Tiefe. Der Ruck war so hart, daß er das Maultier schlagartig von den Beinen und mit in die Tiefe gerissen hätte.

      Aber das schlaue Halbeselchen schien wieder mal etwas zu ahnen – oder es hatte den sechsten Sinn wie der alte O’Flynn. Es reagierte jedenfalls ebenso schnell wie der entsetzte Profos.

      Kaum verspürte Diego den Ruck am Seil, da neigte er sich etwas nach hinten und stemmte die Beine fest auf den Pfad. Er zitterte unter dem gewaltigen plötzlichen Ruck, stand aber wie eine Eins und unerschütterlich fest. Nur seine Augen quollen ihm vor Anstrengung etwas aus dem Schädel.

      Wie gesagt, das alles lief so rasend schnell ab, daß noch niemand reagierte und alle wie gelähmt in die Tiefe starrten.

      Diego schnaufte empört und nickte wieder. Dann glotzte er mit großen Augen in die Tiefe, als wollte er sagen: Paß doch besser auf, du Blödmann!

      Carberry riß dieser plötzliche harte Ruck fast die Arme aus den Gelenken. Aber ein Spruch des Profos’ lautete: Was man einmal in den Pranken hält, das läßt man nicht mehr los.

      An den Spruch brauchte er sich erst gar nicht zu erinnern. Die Angst, in diesen gähnenden Abgrund zu stürzen, verkrampfte ohnehin seinen Körper, und so hielt er das Seil eisern fest.

      Er blickte nach unten und schloß entsetzt die Augen. Jeder Blutstropfen war ihm aus dem Gesicht gewichen. Wenn er da hinuntersah, dann wurde ihm übel, denn er glaubte jeden Augenblick, das Seil würde nachgeben.

      Er schwang hin und her und hing wie ein riesiger Köder an der Angelleine.

      Der Profos hatte gute Nerven, und die brauchte er jetzt auch. Er öffnete die Augen wieder und starrte an die Felswand, an der er hin und herpendelte. Dann riskierte er einen weiteren schnellen Blick in die grauenhafte Tiefe. Seine Fäuste hatten sich so um das Seil verkrampft, daß sie schneeweiß waren.

      Er konnte im Augenblick einfach noch nicht klar denken. Ihn bewog nur eins: Hoffentlich läßt mich der lausige Furztrompeter nicht in die Tiefe sausen. Nein, korrigierte er sich, nicht der lausige Furztrompeter – mein liebes gutes Diegoleinchen.

      Hoch über ihm stand das liebe Diegoleinchen immer noch wie eine Eins. Aber es zitterte am ganzen Leib, und seine Flanken bedeckten sich mit Schweiß.

      Das war der Zeitpunkt, an dem die anderen reagierten. Sie hätten gar nicht früher reagieren können, denn im Grunde genommen, war so gut wie keine Zeit vergangen. Vielleicht hätten die Augenlider ein paarmal gezuckt, wenn die Augen nicht vor Entsetzen so weit aufgerissen gewesen wären.

      Stenmark, der sich dicht hinter Carberry und Diego befand, sprang hinzu, griff nach dem Seil und begann daran zu zerren, um den schweren Profos nach oben zu hieven.

      Pater David drehte sich um und packte ebenfalls mit an. Unter ihnen pendelte der Profos immer noch wild hin und her.

      Pater David hatte erstaunliche Kräfte, und was der Schwede Stenmark einmal packte, das hielt er ebenfalls fest.

      „Halt dich gut fest!“ brüllte Sten über den Abgrund.

      Klar, das war überflüssig, aber er mußte sich Luft verschaffen, und prompt erfolgte auch die Antwort des Profos’, der sich jetzt gefangen hatte und wieder Hoffnung schöpfte, als sie an dem Seil zerrten.

      „Wenn ihr unbedingt darauf besteht – aber gern!“

      Er war eben doch unverwüstlich, obgleich es ihn jetzt fast den Hals gekostet hätte.

      Sie hievten ihn nach oben. Als er über der Kante erschien, packte der Pater hart zu und rollte ihn auf den Pfad.

      Der


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