Seewölfe Paket 23. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 23 - Roy Palmer


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bis sich seine gewaltigen Fäuste entkrampften. Gerade als er die Leine losließ, reagierte auch wieder das Maultier.

      Die Anstrengung preßte dem Halbesel die Luft aus dem Körper, aber die ging bei Diego offenbar nach achtern raus. Es donnerte laut, als wollte Diego dem geretteten Profos in seiner Rührung einen deftigen Salut schießen.

      Diego war erleichtert – in des Wortes doppelter Bedeutung –, und die Männer waren es auch, als Carberry wieder auf den Beinen stand. Diego trompetete wieder und grinste dann. Aber diesmal war das kein „dämliches Grinsen“ wie der Profos ausdrücklich betonte, sondern ein liebevolles.

      „Das Kreuz hat also doch geholfen“, sagte Aloysius trocken. „Vor dem Fluß hat es dich nicht bewahrt, aber vor dem Abgrund. Davor hat dein Trompeter dich bewahrt.“

      Carberry war tief gerührt, aber er konnte doch hier dem Eselchen nicht vor allen Kerlen um den Hals fallen. Die hätten sonst vielleicht „dämlich gegrinst“.

      „Diego liebt mich eben“, verkündete er strahlend. „Ich wußte ja am Fluß schon, daß er Kräfte wie drei Ochsen hat. Da wollte er mir bloß beweisen, wie stark er ist. Ich konnte also ruhig in den Abgrund fallen, solange er da ist.“

      „Na, wenn das nicht unbedingt logisch klingt“, meinte Dan O’Flynn, „dann ist nichts mehr logisch.“

      Sie alle lobten das Eselchen und klopften ihrem Profos auf das breite Kreuz. Himmel, das war noch einmal gutgegangen. Keiner vermochte sich vorzustellen, was gewesen wäre, wenn … Aber darüber mochten sie nicht einmal sprechen.

      Carberry streckte die noch etwas zitternde Hand aus und kraulte Diego wieder die Stelle unter dem Hals, die den „Schnarch-Effekt“ auslöste. Diego begann auch prompt zu grunzen oder zu schnarchen, oder wie immer man das nennen wollte. Jedenfalls hörte es sich sehr merkwürdig an.

      „Er schnarcht so ähnlich wie Matt“, erläuterte der Profos, „wenn der in der Koje liegt und einen gezwitschert hat.“ Dann setzte er treuherzig hinzu: „Wenn ich jetzt abgestürzt wäre, hätte Bruder Aloysius des heiligen Vaters Öl wieder zurückschleppen müssen.“

      Der so indirekt animierte Pater seufzte ergeben und kramte nach der Kruke mit dem scharfen Kräuterschnaps.

      „Du bist wie eine biblische Plage, Bruder“, sagte er, „immer wieder auftretend und durch nichts auszurotten. Hier nimm, und bedanke dich wenigstens für die wundersame Rettung bei deinem Herrn.“

      „Glaube mir, Bruder, das habe ich bereits getan, als ich wieder auf dem Pfad lag. Mir fehlten da zwar noch die Worte, aber die Gedanken waren da.“

      „Der Herr hört auch die stummen Gebete, Bruder. Hier, nimm noch einen, du weißt ja, daß einer allein nicht hilft.“

      „Und versprich uns, nicht wieder in den Abgrund zu fallen“, sagte Pater David, „sonst reicht der Schnaps nicht mal bis Potosi.“

      „Ich werde mich bemühen – ich meine, nicht wieder in den Abgrund zu stürzen. Zwei Schnäpse ist das sowieso nicht wert.“

      „Auf dem linken Ohr höre ich überhaupt nichts“, sagte Aloysius.

      Sie alle aber beglückwünschten ihren Profos noch, bevor sie den Weg fortsetzten, auch wenn es bei den zwei Schnäpsen blieb.

      „Der findet doch immer einen Weg, um dem Pater einen Schnaps aus dem Kreuz zu leiern“, sagte Matt zu Stenmark, „oder ist ein kleines Witzchen darüber nicht angebracht?“

      „Ed hat schwarzen Humor, das kannst du ruhig laut sagen.“

      Der Profos hatte das gehört und drehte sich um. Sie sahen ihn grinsen, aber so strahlend, als fühle er sich wie neugeboren. Und genau so ging es ihm auch. Er war so erleichtert wie schon lange nicht mehr in seinem Leben.

      Es ging immer höher hinauf. Vor ihnen der ansteigende schmale Pfad, links die himmelhochragenden Felsen, rechts der gähnende Abgrund.

      Schon bald stellten sich erneut bei einigen Kopfschmerzen ein. Jean Ribault litt wieder darunter, aber auch Fred Finley und Dan O’Flynn.

      Pater Aloysius behielt sie alle scharf im Auge. Solange es bei den Kopfschmerzen blieb, ging es ja noch, wenn sich aber wieder Schwindelgefühle einstellten, konnte es gefährlich werden. Verlor einer das Gleichgewicht, dann stürzte er unweigerlich ab – wie der Profos. Es war nur fraglich, ob er dann auch das Glück hatte, nach einem Tampen greifen zu können.

      Aloysius teilte dem Seewolf seine Bedenken mit.

      „Ganz wohl fühle ich mich auch nicht“, gab Hasard zu. „Ich verspüre ständig einen leichten Druck im Schädel. Man kann sich wohl doch nur langsam an den Höhenunterschied gewöhnen. Was schlägst du also vor, Padre?“

      „Ein erneutes Biwak. Wir erreichen bald wieder ein kleines Plateau, das noch geschützter liegt als das vorherige. Dort werden wir rasten und das Biwak errichten.“

      Hasard nickte zustimmend. „Spürst du keine Veränderungen, Padre?“

      „Nein, nicht die geringsten. Ich bin es gewohnt, in die Berge zu steigen. Schließlich stamme ich ja aus den Bergen und konnte früh genug damit beginnen.“

      Ein wahrhaft erstaunlicher Mann, dachte Hasard. Der war hart wie englische Eiche und schien über unerschöpfliche Kraftreserven zu verfügen. Für ihn war das anscheinend nicht mehr als ein ausgedehnter Spaziergang, während die anderen vor Anstrengung keuchten. Selbst der eisenharte Profos tat sich schwer in diesen Höhen.

      Zwei Stunden vergingen, dann erreichten sie das Plateau, luden den Maultieren die Lasten ab und schlugen die beiden Zelte auf.

      Greifbar nahe vor ihnen lag der Tacora-Paß, und doch war er noch weit entfernt, denn in der dünnen glasigen Luft ließen sich die Entfernungen nur schwer abschätzen. Auch daran mußte man sich erst gewöhnen. Aber sie sahen ihn vor sich und waren ihrem Ziel wieder ein Stück nähergerückt.

      „Wenn wir am achten Dezember morgens aufbrechen, können wir einen Tag später den Paß überschreiten“, sagte der Pater. „Das Bergmassiv, das ihr da drüben liegen seht, ist übrigens der Pico Tacora, der über sechstausend Yards hoch ist.“

      Sie blickten in die angegebene nördliche Richtung, wo sich der schneebedeckte riesige Berg einsam und majestätisch erhob.

      Pater Aloysius’ Hand wanderte weiter und zeigte auf eine noch höhere Spitze, die alles überragte.

      „Das ist der Sajama, ein schneebedeckter Vulkan.“

      „Müssen wir etwa dort hinauf?“ fragte Matt Davies entsetzt. „Da friert mir glatt die Hakenprothese ab.“

      „Nein, zum Glück nicht. Wir steigen zwar sehr hoch, gehen aber auch wieder ein Stück hinunter, zum Beispiel, wenn wir die Puna erreichen. Unser Weg führt uns zwischen dem Vulkanberg und dem Lago de Chungara hindurch in Richtung auf den Altiplano.“

      Immer erdrückender, immer stiller und immer beeindruckender wurde diese Welt der Berge. Es gab nichts als Berge, Pässe, dazwischen Täler, steile Abgründe oder riesige schneebedeckte Flächen.

      Dazu pfiff der Wind ein monotones eisiges Lied, eine Melodie der Einsamkeit und des Todes.

      Aus Krüppelholz und Llareta-Büscheln wurde an einer geschützten Felsnische ein Feuer entzündet, über das Fred Finley etwas Holzkohle häufte.

      Gegen Abend blies der eisige Wind immer heftiger. Er orgelte und toste um die Felsen herum, fuhr über die Zelte und heulte den Männern um die Ohren.

      Nachts, als alle schliefen, ging Pater Aloysius noch einmal hinaus und sah in den Himmel. Es riecht nach Schnee, dachte er, aber er konnte sich auch täuschen. Es roch hier oben oft nach Schnee.

      Am achten Dezember brachen sie wieder auf und überquerten am nächsten Morgen den Paß. Seit ihrem Aufbruch aus dem lieblichen Tacna-Tal waren bereits zwölf Tage vergangen. Eine lange Zeit in der einsamen Bergwelt.

      


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