Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic
Читать онлайн книгу.und damit schnell zu verstehen. Damit kann ein effektiver Umgang mit der Fülle von massenmedial vermittelten Informationen gewährleistet werden. Die Schema-Theorie kann darüber hinaus aufzeigen, wie ein Thema von den Rezipienten repräsentiert wird: als kognitives Schema. Ebenso kann beschrieben werden, welche Schemata die Rezipienten über Wahlkandidaten haben (vgl. Miller et al., 1986). Ähnlich argumentiert die Forschung zu Genres und Gattungen: Genre-, Sender- oder Sendungs-Schemata bestimmen, welche Merkmale ein Format aufweisen muss, um sinnvoll von den Rezipienten eingeordnet zu werden (vgl. Bilandzic, 1999; Fredin & Tabaczynski, 1993; Gehrau, 2003). So beschreibt Bilandzic (1999) die selektive Fernsehnutzung als schema-geleiteten Prozess: Jedes Umschalten wird als neuerlicher Beginn eines Entscheidungsprozesses betrachtet, bei dem ein Genre-, Gattungs-, Themen- oder Sender-Schema aktiviert wird, was dann wiederum zu einer Bewertung des Gezeigten führt. Ist ein Schema für einen Stimulus vorhanden, wird dieser schneller verarbeitet, als wenn kein Schema vorhanden wäre (Bilandzic, 1999, S. 97).
Beispiel
Stellen Sie sich vor, Sie sehen in einem Nachrichtenbeitrag zwei Politiker einen roten Teppich entlanggehen. Zudem sind viele Fotografen zugegen und es erklingt feierliche Musik. Sie erkennen sofort, dass es sich um einen Staatsbesuch handelt. Da Sie dies erkannt haben, und damit das Schema Staatsbesuch aktivieren, müssen Sie nicht mehr lange und ausführlich darüber nachdenken, warum ein roter Teppich ausgerollt ist, feierliche Musik erklingt und viele Fotografen anwesend sind. Das aktivierte Schema erleichtert Ihnen die Verarbeitung der gezeigten Information (Entlastungsfunktion).
Darüber hinaus bestimmen Schemata, welche Medieninformationen wahrgenommen und erinnert werden (vgl. Coleman, 2003; Garramone, Steele & Pinkleton, 1991). Hiermit kann man beispielsweise erklären, warum Personen bei der Rekonstruktion von Nachrichten systematische Lücken aufweisen. Es werden nur die Details wiedergegeben, die dem initiierten Schema entsprechen (vgl. Kasten mit Beispielstudie).
Schließlich erklären Schemata aktive Bedeutungskonstruktionsprozesse der Rezipienten. Fragt man Rezipienten nach dem Inhalt der Medienberichterstattung, dann nennen bzw. ergänzen sie zum Teil Inhalte, die gar nicht in den Medienbeiträgen vorhanden waren. Am deutlichsten wurde diese Funktion im dynamisch-transaktionalen Ansatz herausgearbeitet (vgl. Früh, 1996). Bei der schematischen Informationsverarbeitung werden Verbindungen zwischen dem medialen Stimulus und dem bereits vorhandenen Schemata hergestellt. Beispielsweise konnte Früh (1996) zeigen, dass die kognitive Verarbeitung medialer Information stärker durch subjektive Schemata beeinflusst wird als durch die Medienstimuli.
Beispielstudie
Graber (1988). Processing the news: How people tame the information tide (2. Aufl.). New York: Longman
Graber (1988) befragte in einer qualitativen Studie mehrfach 21 Personen zur politischen Medienberichterstattung und setzte die Aussagen der Personen mit den Medienberichten in Verbindung. Die Autorin konnte zeigen, dass die Panelteilnehmer nur einen geringen Teil der Medienberichterstattung behalten bzw. dass nur wenige Fakten wiedergegeben werden konnten. Graber führt dieses Ergebnis auf die schema-geleitete Informationsverarbeitung zurück: Es werden die Informationen aus der Medienberichterstattung in bereits bestehende Schemata integriert und damit kontextualisiert. Durch die schema-geleitete Informationsverarbeitung verlieren die Informationen ihre Detailhaftigkeit und werden vergleichsweise abstrakter repräsentiert. Zudem argumentiert Graber, dass Schemata es den Rezipienten erlauben, die Vielzahl von vermittelten Informationen sinnvoll zu verstehen und zu kontextualisieren, d. h., in bereits bestehende Schemata einzuordnen. Auch werden Informationen ergänzt, die nicht in den Nachrichten genannt werden, aber zu einem aktivierten Schema passen (z. B. die Motive von Politikern).
Veränderung von Schemata
Da Schemata relativ stabil sind, stellt sich die Frage, wie sie entstehen und wie sie sich verändern können. Rumelhart (1980) und Rumelhart & Norman (1978) schlagen hierfür drei Prozesse vor: Anlagerung (accretion), Anpassung (tuning) und Neustrukturierung (restructuring). Accretion bezeichnet das sukzessive Ansammeln von Faktenwissen, z. B. beim Lernen von Telefonnummern oder Namen. Neue Informationen werden zu einem bereits bestehenden Schema hinzugefügt, ohne dass es zu strukturellen Veränderungen in der Wissensorganisation kommt. Wenn allerdings kein Schema für die neue Information herangezogen werden kann, dann ist Lernen durch Accretion nicht mehr effektiv. In diesem Fall muss entweder ein bereits bestehendes Schema modifiziert werden (tuning) oder es wird ein neues Schema gebildet (restructuring). Tuning kann auf drei verschiedene Arten erfolgen: Zum Ersten kann durch die mehrfache erfolgreiche Anwendung eines Schemas auf eine Situation das Schema stärker an die Gesamtpopulation der betroffenen Situationen angepasst werden. Zum Zweiten kann ein Schema auf neue Situationen oder Stimuli generalisiert werden, indem ein neuer Aspekt zu dem Schema hinzugefügt wird. Im Gegensatz zu dieser Art des Tunings kann zum Dritten auch die Anwendung eines Schemas wiederum nur auf ganz bestimmte Situationen beschränkt werden. Die letzte Form der Schema-Veränderung, das Restructuring, bezieht sich auf die Entstehung von neuen Schemata. Hierfür schlagen die Autoren wiederum zwei Prozesse vor: Patterned Recognition und Schema Induction. Zunächst kann durch Analogie-Lernen ein neues Schema aus einem bereits bestehenden entstehen (patterned recognition). Beim Prozess der Schema Induction wird hingegen ein neues Schema gebildet, wenn wiederholt eine vorher unbekannte Stimuluskonfiguration auftritt.
Trotz der wichtigen Impulse der Schema-Theorie für die Rezeptionsforschung blieb Kritik nicht aus (vgl. Matthes, 2004). Kritisiert wird u. a., dass der Schema-Begriff zu schwammig ist, und für jegliche empirische Befunde herangezogen werden kann. Auch die Annahme, dass die Rezipienten für viele Nachrichten, Sendeformen, Personen, Genres, Werbegattungen etc. in ihrem mentalen Schubladensystem vorgefertigte, abrufbare Schemata bereithalten, zeichnet ein etwas zu einfaches Bild von Informationsverarbeitungsprozessen. Es gibt kein Element eines kognitiven Netzwerkes, das nur einem einzigen Schema angehören kann. Das kognitive Netzwerk ist plastischer und dynamischer aufzufassen, es ist ständig in Veränderung.
2.3.3 Konnektionistische Modelle
Bei der Schema-Theorie geht es in erster Linie um die Aktivierung bzw. den Abruf eines vorher abgespeicherten Schemas: Ein Schema wird entweder aktiviert oder nicht aktiviert. Wird ein Schema gefunden, wird es in derselben Form abgerufen, in der es vorher abgespeichert wurde – ähnlich einer Datei in einem Computer. Für viele Kognitionsforscher ist die Auffassung zu statisch, um menschliche Informationsverarbeitung adäquat zu beschreiben (vgl. Anderson, 1977; Smith, 1996; Wirth, 1997). Es ist unwahrscheinlich, dass ein Element eines kognitiven Netzwerkes nur einem einzigen Schema angehört. Das kognitive Netzwerk ist gemäß dieser Auffassung plastischer und dynamischer. Ausgangspunkt dieser sogenannten konnektionistischen Sichtweise ist der Versuch, auf der Grundlage von Computersimulationen Erkenntnisse über kognitive Prozesse zu erhalten. Kognitive Prozesse werden so modelliert, dass sie dem zugrunde liegenden biologischen Vorbild weitestgehend ähnlich sind. Es geht um eine neuronal inspirierte Modellbildung kognitiver Prozesse (vgl. Pospeschill, 2004, S. 17). Konnektionistische Modelle gehen von adaptiven informationsverarbeitenden Systemen aus, die sich aus einer Vielzahl von Verarbeitungseinheiten (units) zusammensetzen und Signale in Form von Aktivierungsmustern über gerichtete Verbindungen übertragen. Dies ist als eine grobe Analogie zum biologischen Nervensystem aufzufassen, bei dem Informationsverarbeitung durch einen Verbund von Nervenzellen realisiert wird. Vereinfacht ausgedrückt, werden Informationen als Aktivierungsmuster einzelner Einheiten repräsentiert. Diese Units sind in einem Netzwerk von Verbindungen miteinander verknüpft. Damit wird vom strukturellen Aspekt der Informationsverarbeitung Abstand genommen. Wissen wird nach dieser Auffassung nicht in Form von lokalen Symbolträgern wie Schemata gespeichert, sondern es entsteht gewissermaßen als Aktivierungsmuster einzelner neuronaler Elemente. Die Repräsentation von Wissen ist dabei distributiv, aktiv und sie kann sich über Aktivierungsmuster weiter verändern. Ein entscheidender Unterschied zur Schema-Theorie ist die massiv parallele, d. h. gleichzeitige, Aktivität vieler Units. Ferner verläuft die Informationsverarbeitung nicht nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip: Das Informationsverarbeitungssystem muss nicht entscheiden, ob dieses oder jenes Schema herangezogen wird.
In einem konnektionistischen Netzwerk könnte man zwar so etwas wie ein Schema modellieren, wenn ein bestimmtes neuronales Muster mehrmals aktiviert und daher stabilisiert wird. Aus konnektionistischer Sicht wird ein Schema nicht mehr gespeichert,