Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic
Читать онлайн книгу.Wirth, 1997). Zudem ist dieser Ansatz erklärungskräftiger, wenn es um das Lernen von neuen Informationen geht.
2.3.4 Mentale Modelle
Einen weiteren prominenten Ansatz zur mentalen Repräsentation von Informationen bilden mentale Modelle. Mentale Modelle enthalten Vorstellungen über komplexere Teilbereiche der Realität, die sich aber nicht nur auf Strukturen beziehen können, sondern auch auf (komplexe) Prozesse (vgl. ausführlicher Wirth, 1997). Mentale Modelle beinhalten Realitätsbereiche, die aufgrund ihrer Komplexität relativ unanschaulich sind, beispielsweise Problemsituationen oder unsere Vorstellungen über die Funktionsweise von elektrischem Strom oder eines Autos. Im Vergleich zu den vorher erwähnten Repräsentationen können mentale Modelle vor allem Problemlöseverhalten erklären. Im Unterschied zu Schemata sind mentale Modelle zudem flexibel und leicht änderbar. Mit mentalen Modellen wird ein komplexer Prozess vor dem inneren Auge simuliert (z. B. die Vorstellung einer Wohnung). In der Rezeptionsforschung erklären mentale Modelle, wie Rezipienten Nachrichteninformationen oder beispielsweise auch zeitlich strukturierte Geschichten verstehen und repräsentieren. Sie können beispielsweise ein mentales Modell über diesen Text ausbilden – den Text mit seiner Vielzahl an Informationen speichern sie zusammenfassend als Textrepräsentation ab. Dies nennt man ein mentales Modell.
2.4 Erinnerung, Abruf und Vergessen
Das Erinnern beinhaltet den Abruf von gespeicherten Informationen aus dem Gedächtnis. Dabei wird das assoziative Netzwerk nach spezifischen Informationen abgesucht und diese werden reaktiviert. Mit Reaktivierung meinen wir die Übertragung ins Arbeitsgedächtnis. Wovon hängt die Erinnerung von Medienbotschaften nun ab? Hierfür gibt es eine Reihe von Befunden, aus denen wir im Folgenden die wichtigsten herausgreifen.
Grundsätzlich zeigt sich, dass die Inhalte besser erinnert werden können, die ausführlicher und tiefer verarbeitet wurden (Lang, 2000). Dazu gehören Prozesse wie Interpretieren von Informationen, Nachdenken bzw. Elaborieren über Informationen, das Wiederholen von Informationen, das eigene Generieren von Wissenseinheiten sowie das metakognitive Überwachen und Steuern des eigenen Wissenserwerbs (vgl. ausführlicher Renkl, 2009). Es spielt also eine entscheidende Rolle, wie gründlich und sorgfältig die Informationsaufnahme erfolgt ist. Bei der Medienrezeption ist es durchaus denkbar, dass Informationen weniger sorgfältig verarbeitet und aufgenommen werden (vgl. Lang, 2000). Beispielsweise widmen wir uns beim Medienkonsum den Inhalten nicht immer mit voller Aufmerksamkeit (z. B. Zeitunglesen beim Frühstück während das Radio läuft). Oder eine Botschaft benötigt mehr Ressourcen, als uns zur Verfügung stehen, z. B. bei einem Nachrichtenbeitrag über Steuerpolitik nach einem anstrengenden Arbeitstag.
Aus dem oben beschriebenen assoziativen Modell des menschlichen Gedächtnisses geht auch hervor, dass die Erinnerung an einen Gedächtnisinhalt stärker ist, je mehr assoziative Verbindungen zu diesem Inhalt bestehen, also je stärker der Inhalt mit anderen Inhalten vernetzt ist (vgl. Lang, 2000). Weiterhin hängt die Erinnerung von der Reihenfolge der Darbietung ab. Die Kognitionsforschung hat gezeigt, dass vor allem zuerst genannte und zuletzt genannte Informationen am besten erinnert werden. Dies nennt man auch Primacy- bzw. Recency-Effekt. Dies lässt sich vereinfacht dadurch erklären, dass zuletzt genannte Informationen noch im Arbeitsgedächtnis abrufbar sind und daher leicht erinnert werden können. Die zuerst genannten Informationen hatten dagegen die insgesamt längste Verarbeitungszeit und damit die besten Chancen, ins Langzeitgedächtnis zu gelangen (vgl. ausführlicher Pieters & Bijmolt, 1997). In der Werbeforschung wurde beispielsweise nachgewiesen, dass Werbespots am Anfang und am Ende eines Blocks tatsächlich bessere Erinnerungschancen haben als die Spots, die in der Mitte ausgestrahlt werden (vgl. Pieters & Bijmolt, 1997; Zhao, 1997).
Merksatz
Menschen erinnern sich besser an Medieninformationen, wenn die gezeigten Informationen bereits stark mit anderen Konzepten im Gedächtnis verknüpft sind, wenn die Informationen am Anfang oder am Ende einer Sequenz gezeigt wurden, wenn die Informationen mit Emotionen verknüpft sind und wenn die Informationsaufnahme gründlich und motiviert erfolgt ist.
Auch können durch Medienbeiträge induzierte Emotionen die Erinnerungsleistung fördern. Studien zeigen, dass Emotionen die Verarbeitung und Abspeicherung einer Botschaft intensivieren können (vgl. Bradley, Angelini & Lee, 2007). Dies spielt vor allem im Kontext emotionalisierter Nachrichten, Werbungen oder Kampagnen eine Rolle.
Schließlich stellt sich die Frage, warum Menschen Informationen aus den Medien wieder vergessen und sie nicht mehr abrufen können. Obwohl es vorkommen kann, dass Informationen gewissermaßen gelöscht werden oder verfallen, ist es wahrscheinlicher, dass wir beim Vergessen nicht mehr auf eine gespeicherte Information zugreifen können, obwohl sie prinzipiell noch vorhanden ist. Vereinfacht kann man zwei Gründe ausmachen, warum Informationen aus den Medien vergessen werden. Erstens werden Informationen schwerer zugänglich, wenn sie über eine längere Zeit nicht mehr aufgerufen werden. Im assoziativen Netzwerk des Gedächtnisses wird die Suche nach diesen Informationen mit der Zeit schwieriger und daher ihre Aktivierung unwahrscheinlicher. Zweitens können zusätzlich aufgenommene Informationen den Zugriff auf die bereits gelernten Informationen behindern. Das kann passieren, wenn neue Informationen sehr ähnlich zu den bereits gespeicherten Informationen sind.
2.5 Zusammenfassung
In diesem Kapitel haben wir die wichtigsten Grundkonzepte der menschlichen Informationsverarbeitung von der Informationsaufnahme über die Speicherung bis hin zum Abruf kennengelernt. Wir haben gesehen, dass die Wahrnehmung von Medieninformation zwar schnell und automatisch abläuft, die Aufmerksamkeit für Medienreize jedoch willkürlich und bewusst gesteuert oder unwillkürlich und den Medienreizen folgend ablaufen kann. Die Ressourcen, die wir für die Informationsaufnahme, die Speicherung und den Abruf von Medieninformationen aufbringen können, sind aber nicht unendlich, sondern begrenzt. Je mehr kognitive Ressourcen auf einer Stufe verwendet werden, desto weniger ist für die anderen Stufen verfügbar. Zudem kann es auch sein, dass die vom Rezipienten zur Verfügung gestellten Ressourcen nicht ausreichen, um den Medieninhalt zu verstehen (beispielsweise wenn man wenig Ressourcen für die Radionachrichten verwendet, diese dann aber auch nicht mehr richtig versteht). Gespeichert werden Medieninformationen im Langzeitgedächtnis, dass wir uns als assoziatives Netzwerk von Gedächtnisinhalten vorstellen können. Die Gedächtnisinhalte sind untereinander durch Assoziationen verknüpft. Bestehende Gedächtnisinhalte, die als Schema vorliegen können, steuern die Aufnahme, die Interpretation und Speicherung von neuen Informationen. Was den späteren Abruf der Informationen betrifft, so werden die Informationen leichter erinnert, die stark mit anderen Konzepten im Gedächtnis verknüpft sind, die in der Rezeptionssituation am Anfang oder am Ende gezeigt wurden, die mit Emotionen verknüpft sind, und diejenigen, bei denen die Informationsaufnahme gründlich und motiviert erfolgt ist.
In der Medienrezeptionsforschung werden die hier vermittelten Kenntnisse aber nicht losgelöst von anderen Prozessen betrachtet. Vielmehr benötigen wir zum Verständnis der Medienrezeption einen umfassenden Blick auf das Zusammenspiel verschiedener Phänomene. Beispielsweise müssen neben den kognitiven Prozessen auch emotionale Vorgänge betrachtet werden, die keineswegs losgelöst von kognitiven Prozessen ablaufen. Dies ist beispielsweise in der Unterhaltungsforschung zentral. Auch sind die hier eingeführten Grundlagen ein wichtiges Fundament für zentrale Fragestellungen der Medienrezeptionsforschung wie die unterschiedliche Verarbeitung auditiver, visueller, textueller, audiovisueller oder interaktiver Stimuli. Ebenso bauen Forschungsarbeiten zu Einstellungen, Urteilen und Heuristiken sowie zu parasozialen Interaktionen auf den hier vermittelten Kenntnissen auf. Kognitive Prozesse wie Wissenserwerb sind oftmals die Grundlage für die Ausbildung oder Änderung von Einstellungen, wie sie beispielsweise in der Werbeforschung oder politischen Kommunikationsforschung untersucht werden.
Übungsaufgaben
1 Erklären Sie den Unterschied zwischen willkürlicher und unwillkürlicher Aufmerksamkeit. Wählen Sie ein Beispiel aus Ihrer täglichen Medienrezeption.
2 Stellen Sie sich vor, die Rezipienten werden stark mit Berichterstattung über das Thema Einwanderung konfrontiert. Erklären Sie an diesem Beispiel den Prozess des Primings. Was könnte Priming in diesem Kontext vorhersagen?
3 Erklären Sie mit Hilfe der Schema-Theorie,