Medienrezeptionsforschung. Helena Bilandzic

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Medienrezeptionsforschung - Helena Bilandzic


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Genre nicht erfüllt werden. Welche Konsequenzen hat das für die Verarbeitung und Aufnahme von Informationen während des Filmes?

      4 Studien zeigen, dass in der Regel nur ein geringer Anteil der Fernsehnachrichten von den Rezipienten erinnert wird. Welche Erklärungen gibt es hierfür? Denken Sie dabei an die alltägliche Rezeptionssituation, die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses sowie an Aufmerksamkeitsprozesse.

      Lang, A. (2000). The limited capacity model of mediated message processing. Journal of Communication, 50(1), 46–70.

      Diesen Aufsatz kann man als Grundlagentext zur kognitiven Verarbeitung von Medieninhalten begreifen. Die Erkenntnisse und Befunde aus der Kognitionspsychologie werden für die Verarbeitung von Medienreizen aufbereitet und ausführlich erklärt.

      Wirth, W. (2001). Aufmerksamkeit im Internet: Ein Konzept- und Theorieüberblick aus psychologischer Perspektive mit Implikationen für die Kommunikationswissenschaft. In K. Beck & W. Schweiger (Hrsg.), Attention Please! Online-Kommunikation und Aufmerksamkeit (S. 69–89). München: Reinhard Fischer Verlag.

      Dieser Aufsatz schlägt eine Brücke zwischen der Beschäftigung mit Aufmerksamkeit in der psychologischen Forschung und der Rolle von Aufmerksamkeit bei der Medienrezeption. Insbesondere die Implikationen der psychologischen Grundlagentheorie für die kommunikationswissenschaftliche Forschung sind sehr lesenswert.

      1 Das Kapitel beinhaltet Passagen des Kapitels »Kognition« von Jörg Matthes aus dem Buch »Handbuch Medienrezeption« (2014, hrsg. von Carsten Wünsch, Holger Schramm, Volker Gehrau und Helena Bilandzic), Nomos-Verlag. Wir danken Verlag und Autor für die Freigabe und die freundliche Kooperation.

      3 Selektivität und Gratifikationen

      Lernziele

      1 Sie erlernen die Ebenen der Selektion beim Prozess der Medienrezeption.

      2 Sie lernen die wichtigsten Motive kennen, warum Menschen sich Medien zuwenden.

      3 Sie machen sich mit den zwei zentralen Ansätzen der Medienselektionsforschung vertraut, dem Nutzen- und Belohnungsansatz sowie dem konsistenztheoretischen Ansatz.

      4 Sie erkennen die Unterschiede und Grenzen der beiden Ansätze.

      Die Erforschung der Selektion von Medienangeboten markiert einen wichtigen Teilbereich der Rezeptionsforschung. Aus Sicht einer rezeptionsorientierten Selektionsforschung steht die übergeordnete Frage im Vordergrund, was die Menschen von Medienangeboten erwarten und wie sich diese Erwartungen in Nutzungsmuster übersetzen lassen (vgl. Hasebrink, 1995). Selektion wird verstanden als ein »Prozess, in dem Individuen aus den ihnen in ihrer Umwelt potenziell zur Verfügung stehenden Signalen mit Bedeutungsgehalt aufgrund von deren physischen oder inhaltlichen Merkmalen bestimmte Signale bewusst oder unbewusst auswählen oder vermeiden« (Donsbach, 1991, S. 28). Diese Definition von Selektion verdeutlicht zwei wichtige Aspekte: Erstens umfasst Selektion nicht nur die Auswahl, sondern auch die Vermeidung von Informationen. Zweitens kann Selektion bewusst oder unbewusst und habitualisiert erfolgen.

      Definition: Selektion

      Selektion meint die unbewusste oder bewusste Auswahl bzw. das unbewusste oder bewusste Vermeiden von Informationen oder Medienangeboten.

      Grundsätzlich geht man in der Selektionsforschung von einem recht breiten Selektionsbegriff aus. Man unterscheidet eine prä-, peri- und postrezeptive Phase (vgl. Donsbach, 1991; Hartmann, 2006). In der prärezeptiven Phase interessiert die selektive Zuwendung bzw. die Auswahl von Medienangeboten vor dem Beginn der Rezeption. Die perirezeptive Phase beschreibt die selektive Wahrnehmung und Auswahl von Medieninhalten während der Rezeption und die postrezeptive Phase umfasst die selektive Erinnerung an Medieninhalte (vgl. Hartmann, 2006). In diesem Kapitel beschäftigen wir uns hauptsächlich mit der prärezeptiven Phase, die den Kern der Selektions-forschung ausmacht. Die perirezeptive (d. h. die Informationsverarbeitung während der Rezeption) und die postrezeptive Phase (d. h. den Abruf von Rezeptionserlebnissen) haben wir bereits in Kapitel 2 umfassend diskutiert. Die prärezeptive Phase beschäftigt sich zwar nicht mit dem Prozess der Rezeption, allerdings bildet sie die Voraussetzung für alle weiteren Selektionsprozesse.

      Thematisiert wird die prärezeptive Phase in zwei verschiedenen Forschungsbereichen, die sich in Bezug auf ihre institutionelle Verortung und die angewandten Methoden stark unterscheiden. Auf der einen Seite beschäftigt sich die von Medienanbietern und der werbetreibenden Wirtschaft betriebene Publikums- und Mediaforschung mit der Beschreibung von Mediennutzung in Bezug auf Reichweite und Nutzungsdauer (vgl. dazu Kapitel 1). Ziel dieser Beschreibung ist es, auf Basis von Nutzungsdaten Werbeleistungen berechnen zu können und Zielgruppen optimal zu definieren und anzusprechen (vgl. Frey-Vor, Siegert & Stiehler, 2008). Auf der anderen Seite geht die akademische Nutzungsforschung nicht nur der Beschreibung von Mediennutzung nach, sondern sie versucht auch, die Zuwendung zu Medienangeboten theoretisch zu erklären und vorherzusagen. Im Vordergrund stehen dabei die Bedürfnisse und Informationsverarbeitungsprozesse, die mit der Auswahl von Medien verbunden sind. In diesem Kapitel widmen wir uns ausschließlich der akademischen Nutzungsforschung.

      In der akademischen Nutzungsforschung wird Medienselektion definiert als ein »Entscheidungsprozess, der eine zumindest heuristische Durchdringung mindestens einer Medienzuwendungsoption impliziert, die gegen ein alternatives Verhalten (z. B. die Option nicht aufzurufen oder sich einer anderen Option zuzuwenden) ›geprüft‹ wird« (Hartmann, 2006, S. 20). In der Regel werden mehrere Selektionsentscheidungen unterschieden (vgl. Donsbach, 1989; Hartmann, 2006; Levy & Windahl, 1985). Die erste Entscheidung betrifft die Frage, überhaupt am Kommunikationsprozess teilzunehmen oder nicht (z. B. möchte ich Nachrichten rezipieren oder nicht). Wird diese Entscheidung bejaht, so geht es im zweiten Schritt um die Auswahl eines Mediums aus einer Reihe von unterschiedlichen Medienangeboten (z. B. TV oder Zeitung). Die dritte Entscheidung betrifft die Auswahl von einzelnen Medienangeboten innerhalb eines Mediums, also beispielsweise die Auswahl einer Sendung oder eines Artikels. Schließlich umfasst die vierte Entscheidung die Auswahl und damit Verarbeitung einzelner Informationen innerhalb eines Medienangebotes.

      Vergegenwärtigt man sich diese vier Selektionsentscheidungen, so wird nachvollziehbar, warum zentrale Ansätze der Selektionsforschung von einer gewissen Zielgerichtetheit von Selektionsentscheidungen ausgehen. Die Zielgerichtetheit von Selektion bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die Selektionsentscheidungen den Rezipienten bewusst sind, das heißt, dass sie sich im Klaren darüber sind, warum sie was selektieren und rezipieren. Diese Frage wird uns bei den zwei folgenden theoretischen Erklärungsmodellen, dem Nutzen- und Belohnungsansatz sowie dem konsistenztheoretischen Ansatz, noch stärker beschäftigen.

      Merksatz

      Medienselektion umfasst vier Entscheidungen der Rezipienten: Teilnahme am Massenkommunikationsprozess, Auswahl eines Mediums, Auswahl von Medienangeboten innerhalb des Mediums und Auswahl von Informationseinheiten innerhalb eines Medienangebotes.

      Der Nutzen- und Belohnungsansatz (auch Uses-and-Gratifications-Ansatz, oder kurz UGA) geht vom Menschenbild eines aktiven Mediennutzers aus. Im Kern steht die Annahme, dass Menschen die Medienangebote auswählen, die ihre mit der Nutzung verbundenen Bedürfnisse am besten befriedigen können. Rezipienten werden nicht als reagierende, sondern als agierende bzw. zielgerichtet handelnde Nutzer verstanden, die sich selektiv den Medieninhalten zuwenden. Dabei werden fünf zentrale Annahmen getroffen (vgl. Katz, Blumler & Gurevitch, 1974; vgl. ausführlicher Schweiger, 2007; Vorderer, 1996):

       Erstens agieren Rezipienten bei der Auswahl von Medienangeboten zielgerichtet. Zielgerichtet bedeutet, dass die Mediennutzung funktional der Befriedigung von Bedürfnissen dient, wie beispielsweise dem Bedürfnis nach Information


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