Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.herrlichen Befehlshaber ausgesucht, einen Feldherrn, einzig in seiner Art, der darauf warte, dass ihm während seines Nichtstuns der Sieg vom Himmel in den Schoß fallen werde. Bald aber ließen sie sich ebenso und noch trotziger an hellem Tag ganz öffentlich verlauten: Sie würden, ohne den Befehl des Feldherrn abzuwarten, entweder schlagen oder im Zug nach Rom gehen. 14 Nun traten auch Hauptleute den Soldaten bei; man hörte nicht bloß in kleinen Kreisen rufen, sondern schon strömte das Gerede in der Hauptstraße des Lagers und auf dem Feldherrnplatz zusammen; Der Haufe wuchs zu einer förmlichen Versammlung an, und allenthalben wurde geschrien, man solle sofort zum Diktator gehen; Wortführer des Heeres müsse, wie es seinem Verdienst gebühre, Sextus Tullius sein.
(13) Schon zum siebenten Mal führte Tullius als Hauptmann die erste Kompanie seiner Legion, und im ganzen Heer war unter allen zu Fuß Dienenden kein Mann durch Taten berühmter als er. 2 Er ging dem Zug der Soldaten voran zur Feldherrnbühne und redete den Sulpicius, der sich über den Schwarm, noch mehr über den Tullius, diesen sonst dem Oberbefehl pünktlichst folgsamen Krieger, als Führer des Schwarmes wunderte, so an:
3 Ich muss dir sagen, Diktator, dass das ganze Heer, in der Meinung, du habest es der Feigheit schuldig befunden und nicht anders als zur schimpflichen Strafe wehrlos hingestellt, mich gebeten hat, seine Sache vor dir zu führen. 4 Wenn wir den Vorwurf hören müssten, irgendwo von der Stelle gewichen zu sein, dem Feind den Rücken gekehrt, die Fahnen schimpflich verlassen zu haben, so dächte ich doch, wir dürften dich durch unsere Bitten dahin bringen, uns zu erlauben, unsere Schuld durch Tapferkeit wieder gutzumachen und das Andenken unserer Schande durch neuen Ruhm zu tilgen. 5 Auch die an der Allia geschlagenen Legionen haben dieselbe Vaterstadt, die sie durch ihre feige Flucht verloren hatten, als sie nachher von Veji hinzogen, durch ihre Tapferkeit wiedergewonnen. Wir aber haben, Dank sei der Gnade der Götter und deinem und des römischen Volkes Glück, im Feld und an Ehre noch nichts verloren. 6 Gleichwohl wage ich über unseren Ruhm kaum zu sprechen, solange teils die Feinde uns hinter dem Wall versteckte, als wären wir Frauen, unter allen möglichen Schmähungen höhnen dürfen, teils du selbst, unser Feldherr, und das ist uns noch kränkender, deinem Heer Mut und Waffen und Arme absprichst, und ohne uns geprüft zu haben, ein so völliges Misstrauen in uns setzest, dass du dich für einen Anführer von Krüppeln und Schwächlingen ansiehst. 7 Worin sollen wir sonst die Ursache suchen, warum du, als Feldherr ergraut, selbst der tapferste Krieger, mit den Händen im Schoß, wie man sagt, dasitzest? Denn auf jeden Fall ist es doch richtiger, dass du an unserer Tapferkeit gezweifelt zu haben scheinst, als wir an deiner. 8 Rührt aber diese Maßregel nicht von dir, sondern von mehreren her, und hält uns eine Verabredung der Väter, nicht der Gallische Krieg von Rom und unseren Hausgöttern fern, so bitte ich dich, siehe das, was ich nun noch zu sagen habe, nicht an, als sagten dies die Soldaten ihrem Feldherrn, sondern den Vätern der Bürgerstand, der etwa spräche, er dürfe, so wie ihr eure Maßregeln habt, auch die seinigen für sich haben. Darf denn jemand darüber empört sein, 9 dass wir Soldaten sind und nicht eure Sklaven, dass wir in den Krieg, nicht ins Elend geschickt sind? Dass wir, wenn uns jemand das Zeichen gibt, das uns in die Schlacht führt, kämpfen wollen, wie es Männern und Römern würdig ist, wenn aber keine Waffen nötig sind, unsere Ruhe lieber in Rom als im Lager verleben wollen? 10 Dies alles möge den Vätern gesagt sein. – Dich aber, Feldherr, bitten wir, deine Soldaten, gib uns Gelegenheit zum Kampf. Wir wünschen zu siegen, noch lieber unter dir zu siegen, dir den ehrenvollen Lorbeer zu überreichen, mit dir triumphierend in die Stadt zu ziehen, hinter deinem Wagen her glückwünschend und jubelnd zum Tempel des allmächtigen Jupiter zu gehen.
11 An die Rede des Tullius schlossen sich die Bitten der Menge; und von allen Seiten schrieen sie, er möge das Zeichen geben, möge sie zu den Waffen greifen heißen.
(14) Obwohl der Diktator sah, dass dies an sich nicht böse Benehmen des Beispiels wegen nicht zu loben sei, machte er sich doch anheischig, den Wunsch der Soldaten zu erfüllen, fragte aber den Tullius, 2 den er allein nahm, was das wäre und wie das zugegangen sei. Tullius bat ihn flehentlich, er möge ja nicht glauben, dass er der Kriegszucht, seiner selbst oder des feldherrlichen Oberbefehls uneingedenk gewesen sei; er habe aber der aufgebrachten Menge, die sich gewöhnlich nach ihren Aufwieglern richte, seine Leitung nicht entziehen wollen, damit nicht ein anderer, und ein solcher, wie es sich von der Wahl eines gärenden Haufens erwarten lasse, die Stelle einnähme. Er für seine Person werde sich durchaus seinem Oberbefehlshaber fügen, 3 aber auch dieser müsse ernstlich darauf bedacht sein, dass ihm das Heer gehorsam bleibe. So aufgebrachte Gemüter hinzuhalten, sei nicht möglich; sie selbst würden sich den Platz und die Zeit zur Schlacht wählen, wenn sie ihnen der Feldherr nicht gebe. 4 Während dieser Gespräche wurden einige Pferde, die gerade vor dem Lagerwall weideten, einem Gallier, der sie wegtreiben wollte, von zwei römischen Soldaten genommen. Auf diese warfen die Gallier mit Steinen. Nun erhob sich vom römischen Vorposten ein Geschrei; von beiden Seiten stürzte man hervor, 5 und alles stand zu einer ordentlichen Schlacht, als die Hauptleute eiligst dem Gefecht Einhalt taten. Wenigstens bestätigte dieser Vorfall dem Diktator die Versicherung des Tullius; und da die Sache schon keinen Aufschub mehr duldete, ließ er bekannt machen, sie sollten sich am folgenden Tag schlagen. 6 Weil ihn aber mehr die Hitze seiner Truppen als das Vertrauen auf ihre Stärke zum Treffen vermocht hatte, sah er sich nach allen Seiten um und dachte daran, den Feind durch eine List zu schrecken. Seine Erfindungskraft gab ihm ein neues Mittel, dessen sich nachher viele Feldherren, unsere und fremde, ja einige noch in unseren Zeiten bedient haben. 7 Den Maultieren, denen er die Packsättel abnehmen ließ, mussten nur zwei Satteldecken gelassen werden, und die Pferdeknechte aufsitzen, die er mit erbeuteten Waffen oder denen der Kranken versah. 8 Unter diesen fast auf tausend gebrachten Haufen steckte er hundert Reiter, mit dem Befehl, sich in der Nacht über das Lager auf die Gebirge zu ziehen, sich im Wald zu verbergen und von dort sich nicht eher in Bewegung zu setzen, bis sie von ihm ein Zeichen bekämen. 9 Als es Tag wurde, breitete er seine Linie absichtlich am Fuß der Berge aus, 10 um dem Feind die Stellung den Bergen gegenüber zu geben. Die Zurüstungen zu jenem blinden Lärm, der aber beinahe wirksamer wurde als der Gebrauch der wahren Kräfte, waren getroffen, und noch glaubten die gallischen Anführer, die Römer würden nicht in die Ebene herabkommen; als sie aber unerwartet den Herabzug schon bewerkstelligt sahen, rannten auch sie kampfbegierig ins Treffen, und ehe noch die Feldherren das Zeichen gaben, begann die Schlacht.
(15) Auf den rechten Flügel warfen sich die Gallier am heftigsten, und man hätte ihnen nicht standhalten können, wäre nicht gerade hier der Diktator zur Stelle gewesen, der den Sextus Tullius laut bei Namen rief und die Fragen an ihn richtete, ob er ihm angelobt habe, dass die Soldaten auf die Art kämpfen würden? 2 Wo jene Schreier wären, welche die Waffen verlangt hätten? Wo die Drohungen, ohne des Feldherrn Willen in die Schlacht gehen zu wollen? Hier rufe sie der Feldherr selbst mit lauter Stimme ins Treffen und schreite, die Waffen in der Hand, vor die ersten Glieder. Ob ihm wohl einer von denen folge, die eben noch hätten anführen wollen, im Lager so keck, in der Schlacht so zaghaft?
3 Sie hörten nichts als Wahrheit und fühlten sich durch die Beschämung so mächtig gespornt, dass sie sich in die feindlichen Waffen stürzten, mit einem von jedem Gedanken an Gefahr entfremdeten Mut. Dieser beinahe wütende Angriff bewirkte zuerst bei den Feinden eine Unordnung, und in dieser Unordnung trieb die auf sie gelassene Reiterei sie in die Flucht. 4 Als der Diktator ihre Linie auf einer Seite wanken sah, wandte er sich mit seinem Angriff auf ihren linken Flügel, auf welchem, wie er bemerkte, der Feind sich in einen Knäuel zusammendrängte, und gab denen auf den Bergen das verabredete Zeichen. 5 Als nun auch diese unerwartet ihr Geschrei erhoben und schräg am Berg herab ihre Richtung, wie es schien, auf das gallische Lager nahmen, da gaben die Gallier, um nicht abgeschnitten zu werden, das Gefecht auf und eilten in vollem Lauf ihrem Lager zu. 6 Da ihnen hier der Magister Equitum Marcus Valerius entgegenkam, der nach Vertreibung des feindlichen rechten Flügels vor ihren Verschanzungen herumschwärmte, 7 flohen sie gegen die Gebirge und Wälder, wo die meisten von den vermeinten Reitern und den Pferdeknechten in Empfang genommen wurden; auch diejenigen, welchen die Angst den Wald erreichen half, traf nach schon beendeter Schlacht ein schreckliches Gemetzel. 8 Und in der Tat triumphierte über die Gallier nächst Marcus Furius niemand mit größerem Recht als Caius Sulpicius. Er legte auch von der gallischen Beute auf dem Kapitol im Gewölbe eine nicht unbedeutende Masse Gold als heiligen Schatz nieder. 9 In diesem Jahr führten auch die Konsuln ihre Kriege, doch