Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.zu lässig war, der diese so vorteilhafte, ihm über dem Haupt ragende Höhe nicht eher bemerkte, als bis wir sie besetzt hatten, 6 der weder unserer kleinen Schar mit seinen vielen Tausenden das Aufsteigen wehrte, noch uns im Besitz des Platzes, soviel er auch vom Tag vor sich hatte, mit Werken umschloss. Konntet ihr ihn mit sehenden und wachenden Augen so zum Besten halten, so kann es nicht fehlen, dass ihr ihm im Schlaf nicht entkommen solltet. Und im Ernst, dies ist jetzt ein Nutzen für euch. 7 Denn unsere Sachen stehen so, dass ich euch jetzt, ich kann nicht sagen, einen Vorschlag machen, sondern euch anzeigen muss, wozu ihr gezwungen seid. 8 Es kann doch wohl nicht die Frage sein, ob ihr hier bleiben oder abziehen sollt, da euer Geschick euch nichts gelassen hat als Waffen und diesen der Waffen sich bewussten Mut, und ihr alle vor Hunger und Durst umkommen müsst, wenn ihr vor dem Schwert eine größere Furcht haben solltet, als Männer und Römer sie zu haben pflegen. 9 Also gibt es keine andere Rettung als Durchbrechen und Abziehen. Dies müssen wir entweder bei Tag oder bei Nacht tun. 10 Da seht ihr gleich ein zweites Muss, noch weniger zweifelhaft als das erste. Denn wenn wir den Tag abwarten wollten, was können wir denn anders uns versprechen, als dass uns der Feind mit einem geschlossenen Wall und Graben umzingeln werde, da er jetzt schon, wie ihr seht, mit seinen niedergestreckten Leibern den ganzen Hügel umgürtet? Eignet sich aber die Nacht zum Durchbrechen, wie sie das wirklich ist, so ist in der Tat diese Stunde der Nacht am allergünstigsten. 11 Auf das Zeichen der zweiten Nachtwache seid ihr jetzt zusammengekommen, gerade, wenn die Sterblichen vom tiefsten Schlaf gefesselt liegen. So schreitet denn zwischen den Leibern der Schlafenden hin, denen ihr entweder, ohne dass sie es ahnen, in der Stille entkommt, oder die ihr, falls sie etwas merkten, durch euer plötzliches Geschrei mit Schrecken erfüllt. 12 Folgt mir jetzt, wie ihr mir bisher gefolgt seid. Ich nehme dasselbe Glück zum Führer, das uns hierher geleitet hat. Nun wohlan, wer dies für unser Rettungsmittel hält, der trete auf meine rechte Seite hinüber!
(36) Dorthin traten sie alle und folgten dem Decius, der durch die von den (feindlichen) Wachen unbesetzt gebliebenen Stellen ging. 2 Schon waren sie über die Mitte des Lagers hinaus, als der angestoßene Schild eines über die eingeschlafenen Wachen hinwegschreitenden Soldaten ein Geräusch verursachte. Da die Wache, dadurch geweckt, ihren Nachbar weckte, und beide sich erhebend wieder andere weckten, ohne zu wissen, ob hier Freunde oder Feinde gekommen wären, ob das Heer vom Berg einen Ausfall mache oder der Konsul ihr Lager erobert habe, 3 jagte Decius durch das Geschrei, das er seine Soldaten erheben ließ, weil sie doch nun nicht unentdeckt blieben, den vom Schlaf betäubten Feinden eine solche Bestürzung ein, dass sie von Schrecken gelähmt weder schnell genug zu den Waffen greifen noch Widerstand leisten, noch verfolgen konnten. 4 Während dieser Verwirrung und bei dem Auflauf der Samniten gelangte das römische Heer, das die ihm aufstoßenden Posten niederhieb, in die Nähe des römischen Lagers. 5 Die Nacht war noch lange nicht vorbei, als sie sich schon in Sicherheit sahen; da sprach Decius: So brav zeigt euch immer, ihr Krieger Roms. Euren Zug und Rückzug werden alle Jahrhunderte preisen. 6 Allein um eine solche Tapferkeit zu sehen, dazu ist das Tageslicht nötig. Auch habt ihr es nicht verdient, bei eurer so ruhmvollen Wiederkehr ins Lager euch in Schweigen und Nacht einhüllen zu lassen. Hier wollen wir den Tag abwarten. 7 Sie folgten seinen Worten. Als er mit Tagesanbruch einen Boten an den Konsul vorausschickte, geriet das Lager durch die lauteste Freude in Bewegung; und da der Tagesbefehl ausgegeben wurde, dass diejenigen wohlbehalten wiederkämen, welche ihr Leben für die Rettung aller einer so augenscheinlichen Gefahr ausgesetzt hätten, da strömten ihnen alle entgegen, lobten sie, wünschten ihnen Glück und nannten sie einzeln und insgesamt ihre Retter, sagten den Göttern Lob und Dank und erhoben den Decius zum Himmel. 8 Dies war ein Triumph, den Decius im Lager hielt, durch dessen Mitte er mit seinem Heer unter den Waffen einherzog, wobei ihn aller Augen, die auf ihn gerichtet waren, als Tribunen jeder Art von Ehre ebenso würdig fanden wie den Konsul.
9 Als er in die Nähe des Feldherrnzeltes kam, ließ der Konsul durch die Trompete zur Versammlung rufen, und schon begann er das verdiente Lob des Decius, als er, von Decius selbst unterbrochen, die Versammlung aufhob. 10 Durch seine Vorstellungen, jetzt alles der sich darbietenden Gelegenheit unterzuordnen, beredete er den Konsul, auf die durch den nächtlichen Schrecken erschütterten Feinde, die auf einzelne Posten verteilt sich um den Hügel zerstreut hätten, einen Angriff zu machen; er glaube auch, dass mehrere zu seiner Verfolgung Ausgeschickte im Walde umherschwärmten. 11 Die Legionen erhielten Befehl, sich zu waffnen; sie rückten aus und zogen, da man jetzt durch Kundschafter schon mit dem Wald bekannter war, auf einem offeneren Weg dem Feind entgegen. 12 Nach einem plötzlichen Angriff, den er so wenig vermutete, dass die samnitischen Soldaten, allenthalben zerstreut, größtenteils unbewaffnet, sich weder auf einem Punkt vereinigen noch zu den Waffen greifen, noch sich in ihre Verschanzungen werfen konnten, trieben ihn die Römer zuerst in voller Bestürzung in sein Lager, dann eroberten sie bei der Verwirrung seiner Vorposten das Lager selbst. 13 Das sich fortpflanzende Geschrei umzog den Hügel und scheuchte auch hier jeden von seinem Posten, so dass ein großer Teil vor dem abwesenden Feind wich. Diejenigen, welche der Schrecken ins Lager getrieben hatte (und ihrer waren an die 30 000), wurden sämtlich niedergehauen und das Lager geplündert.
(37) Nach diesen Taten vollendete der Konsul vor einer berufenen Versammlung nicht nur das vorhin angefangene, sondern auch das durch sein neues Verdienst noch vermehrte Lob des Publius Decius; und außer anderen Kriegsgeschenken beschenkte er ihn mit einem goldenen Kranz und hundert Rindern nebst einem auserlesenen, weißen, fetten Stier mit vergoldeten Hörnern. 2 Die Soldaten, die unter ihm jenen Posten ausgemacht hatten, erhielten für immer das doppelte Maß an Getreide und für jetzt jeder einen Stier und zwei Leibröcke. Nach den Schenkungen des Konsuls setzten die Legionen dem Decius einen Graskranz auf, den Ehrendank für ihre Rettung aus der Einschließung, den sie jauchzend ihm zuerkannten. Der zweite Kranz, gleichfalls ein Sinnbild dieser Ehre, wurde ihm von seinen eigenen Leuten aufgesetzt. 3 Mit diesen Ehrenzeichen geschmückt opferte er den auserlesenen Stier dem Mars; die hundert gab er den Soldaten zum Geschenk, die jenen Zug mit ihm gemacht hatten. Für jeden von diesen brachten aber auch die Legionen ein Pfund Getreide und einen Schoppen Wein zusammen; und alles dies wurde mit der größten Freude betrieben, welche das Geschrei der Soldaten als Beweis des allgemeinen Beifalls begleitete.
4 Die dritte Schlacht wurde bei Suessula geliefert, welche jenes erste von Marcus Valerius geschlagene Heer der Samniten, nachdem es den ganzen Kern der heimischen Jugend an sich gezogen, als den Kampf der Entscheidung zu wagen beschlossen hatte. 5 Von Suessula waren Eilboten nach Capua und von hier Schnellreiter zum Konsul Valerius gekommen, ihn um Hilfe zu bitten. 6 Sogleich erfolgte der Aufbruch; das Gepäck blieb unter einer starken Bedeckung im Lager zurück; das Heer zog in Eilmärschen und nahm nicht weit vom Feind auf einem sehr engen Raum – denn es hatte bloß seine Reitpferde bei sich, ohne allen Tross von Packpferden und Knechten – sein Lager. 7 Das Heer der Samniten stellte sich in Linie, als ob die Schlacht sogleich beginnen würde; da ihnen aber niemand entgegenzog, rückten sie als die Angreifenden gegen das feindliche Lager an. 8 Als sie hier die Soldaten hinter dem Wall sahen und ihre nach allen Zeiten ausgeschickten Kundschafter meldeten, auf welchen engen Raum das Lager eingeschränkt sei, und wie schwach also der Feind sein müsse, 9 da rief die ganze Linie laut, man müsse die Gräben füllen, das Pfahlwerk einreißen und in das Lager eindringen, und durch diese Verwegenheit hätte der Krieg sein Ende erreicht, wenn nicht die Anführer den Ungestüm ihrer Soldaten zurückgehalten hätten. 10 Weil aber ihr zahlreiches Heer große Vorräte verbrauchte und teils durch sein früheres Stillliegen bei Suessula, teils jetzt durch die Verzögerung der Schlacht einem gänzlichen Mangel sehr nahe war, hielten sie es für das Beste, während der zaghafte Feind sich einschlösse, die Truppen auf Getreideholungen in die Felder ziehen zu lassen; 11 unterdessen werde sich auch bei dem römischen Heer, welches ohne Gepäck nur so viel Getreide mitgebracht habe, als sich neben den Waffen auf den Schultern tragen ließ, ein völliger Mangel einstellen. 12 Kaum erfuhr der Konsul, dass der Feind auf den Feldern umherschwärme und nur schwache Posten zurückgelassen habe, da führte er seine Soldaten nach einer kurzen Anrede zum Sturm gegen das Lager. 13 Als er es im ersten Geschrei und Sturm genommen und mehr Feinde in ihren Zelten als an den Toren und auf dem Wall niedergehauen hatte, ließ er die erbeuteten Fahnen an einer Stelle zusammenbringen, ließ zur Wache und Bedeckung zwei Legionen zurück, denen er bei schwerer Strafe alles Plündern bis zu seiner Rückkehr verbot; und da er sich bei seinem weiteren Vorrücken zum Angriff bereit hielt, so richtete er unter