Römische Geschichte. Livius Titus

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Römische Geschichte - Livius Titus


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Flucht. Eine Menge Menschen, die dem Feind entflohen war, fand ihren Tod im Fluss selbst, und ihre schwimmenden Waffen, die man bei Rom im Tiber bemerkte, brachten die Nachricht des Sieges beinahe eher dahin, als man ihn hatte melden können. 3 In dieser Schlacht legte vorzüglich die Reiterei Ehre ein. Auf beiden Flügeln aufgestellt, soll sie, als die zwischen ihnen aufgestellte Linie ihres Fußvolkes schon geworfen wurde, mit solchem Erfolg in die Seiten des sabinischen Fußvolkes eingebrochen sein, dass es nicht allein mitten in der mutigen Verfolgung der weichenden Römer halt machen musste, sondern auch gegen seine Erwartung in die Flucht geschlagen war. 4 In vollem Lauf eilten die Sabiner dem Gebirge zu, das aber nur wenige erreichten; der größte Teil wurde, wie schon gesagt, von der Reiterei in den Fluss gesprengt. 5 Tarquinius schickte, um ihnen keine Erholung vom ersten Schrecken zu gestatten, die Beute und die Gefangenen nach Rom, verbrannte die gesammelten Waffen der Feinde, wie er dem Vulkan gelobt hatte, in einem aufgetürmten Haufen, und rückte mit seinem Heer weiter in das Gebiet der Sabiner ein. 6 Die Sabiner, so unglücklich sie gewesen waren, so wenig sie hoffen konnten, jetzt glücklicher zu sein, rückten ihm gleichwohl, weil sie keine Zeit hatten, sich zu beraten, mit einem schnell zusammengerafften Heer entgegen, wurden hier zum zweiten Mal geschlagen und baten nun, fast ganz zugrunde gerichtet, um Frieden.

      (38) Collatia und das ganze Gebiet um Collatia mussten die Sabiner abtreten. Egerius (er war der Brudersohn des Königs) blieb hier mit einer Besatzung. Die Collatiner ergaben sich, wie ich [in den Quellen] finde, auf folgende Art, und so lautete auch die Formel einer Übergabe. 2 Der König fragte: Seid ihr als Gesandte und Sprecher vom collatinischen Volk abgeschickt, um euch und das collatinische Volk zu ergeben? – Ja. – Steht das collatinische Volk unter eigener Gewalt? – Ja. – Übergebt ihr euch und das collatinische Volk, die Stadt, das Gebiet, Gewässer, Grenzen, Tempel, Geräte, alles was Göttern und Menschen gehört, in meine und des römischen Volkes Gewalt? – Ja. – So nehme ich euch hiermit an.

      3 Nach Beendigung des Sabinischen Krieges kehrte Tarquinius triumphierend nach Rom zurück. 4 Darauf fing er mit den Altlatinern Krieg an. Da es nirgends zu einer Hauptschlacht kam, richtete er seine Waffen gegen die einzelnen Städte und bezwang das ganze latinische Volk. So eroberte er die Städte Corniculum, Alt-Ficulea, Cameria, Crustumerium, Ameriola, Medullia, Nomentum, die entweder den Altlatinern oder denen gehörten, welche zu ihnen übergetreten waren. 5 Und nun wurde Friede geschlossen.

      Hatte er zur Führung der Kriege seine ganze Kraft aufgeboten, so betrieb er nun die Anlage mehrerer Werke des Friedens mit noch größerem Eifer, so dass das Volk zu Hause eben so wenig Ruhe genoss wie im Feld. 6 Die steinerne Mauer, deren angefangener Bau durch den Sabinerkrieg unterbrochen war, musste an allen den Stellen, wo die Stadt noch keine Werke gehabt hatte, sich schließen. So wurden die tiefsten Gegenden der Stadt, am Forum und in den Zwischentälern der Hügel, weil man aus diesen Ebenen das Wasser nur mit Mühe abführen konnte, durch Kanäle ausgetrocknet, die von der Höhe bis an den Tiber gezogen werden mussten. 7 Ferner ließ er zu einem Tempel Jupiters, den er im Sabinischen Krieg gelobt hatte, den Platz auf dem Kapitol in einem so großen Umfang, als hätte er von der künftigen Majestät des Ortes ein Vorgefühl gehabt, mit Grundmauern einfassen.

      (39) Um diese Zeit hatte man in der Königsburg eine Erscheinung von gleich wundervollem Anblick und Ausgang. Der Erzählung nach brannte vor aller Augen einem schlafenden Knaben das Haupt. Er hieß Servius Tullius. 2 Das laute Geschrei, das bei dem so wunderbaren Vorfall sich erhob, zog auch das Königspaar herbei. Einer von den Dienern brachte Wasser zum Löschen; allein die Königin hielt ihn zurück, stillte das Geschrei und befahl, den Knaben nicht zu stören, bis er von selbst erwachen würde. Bald verlor sich auch mit dem Schlaf die Flamme. 3 Da sprach Tanaquil zu ihrem Gemahl, den sie beiseite geführt hatte: Was denkst du von dem Knaben, den wir in solcher Niedrigkeit erziehen? Ich muss dir sagen: Er wird uns einst ein Licht in dunkeln Tagen werden und dem königlichen Haus ein Retter in der Not. Demnach lass uns den Gegenstand so großen Glanzes für den Staat wie für Einzelne mit aller Zärtlichkeit pflegen. 4 Von nun an hielten sie den Knaben wie ihr eigenes Kind und ließen ihn in den Wissenschaften unterrichten, die den Geist zur Bildung für einen höheren Stand erheben. Für den Willen der Götter fand sich der Erfolg von selbst. Servius wurde ein junger Mann von echt königlichen Eigenschaften, und als sich Tarquinius nach einem Schwiegersohn umsah, fand sich unter allen jungen Römern keiner, der in irgendeiner Art des Verdienstes den Vergleich mit ihm hätte aushalten können. Der König gab ihm seine Tochter.

      5 Gerade diese ihm erwiesene hohe Ehre, was sie auch für einen Grund gehabt haben mag, lässt mich nicht glauben, dass er der Sohn einer Sklavin gewesen sei und selbst als kleiner Knabe Sklavendienste getan habe. Ich bin vielmehr mit anderen der Meinung, dass die schwangere Gemahlin des Servius Tullius, der in Corniculum regierte und im Kampf fiel, als sie nach der Eroberung dieser Stadt unter den übrigen gefangenen Frauen erkannt wurde, ihres hohen Ranges wegen von der römischen Königin mit der Sklaverei verschont und zu Rom im Palast des Tarquinius Priscus niedergekommen sei, 6 dass dann dieser so hohe Liebesdienst die Freundschaft zwischen den beiden Frauen immer enger geknüpft, und der Knabe, als von klein auf im Hause erzogen, Liebe und Achtung genossen habe, dass man aber durch das Unglück seiner Mutter, insofern sie nach Eroberung ihrer Vaterstadt eine Gefangene geworden war, veranlasst sei, ihn für den Sohn einer Sklavin zu halten.

      (40) Es waren etwa 38 Jahre verflossen, seitdem Tarquinius den Thron bestiegen hatte, und Servius Tullius stand nicht allein beim König, sondern auch bei den Vätern und beim Volk in größter Achtung. 2 Hatten die beiden Söhne des Ancus schon vorher es immer für höchst empörend gehalten, dass die List ihres Vormundes sie um den väterlichen Thron gebracht hatte, dass zu Rom ein Fremdling regieren musste, der nicht nur nicht von römischer, der nicht einmal italischer Abkunft war, so stieg ihr Unmut jetzt noch höher, wenn die Regierung auch von Tarquinius nicht an sie zurückfallen, sondern immer tiefer bis zu Sklaven herabsinken sollte, 3 so dass kaum hundert Jahre15 nach Romulus, der als Gottessohn und selbst ein Gott, Zeit seines irdischen Daseins den Thron besessen habe, in demselben Staat diesen Thron ein von einer Sklavin geborener Sklave besitzen müsse. Es werde für den römischen Namen überhaupt und insbesondere ihres Hauses Schande sein, wenn der Weg zum Thron Roms, da doch vom Könige Ancus noch männliche Erben am Leben wären, nicht bloß Ankömmlingen, sondern Sklaven sogar offen stände. 4 Diese Schmach zu rächen, beschlossen sie eine Gewalttat. Indessen spornte sie teils der Schmerz ihres erlittenen Unrechtes mehr gegen Tarquinius selbst als gegen Servius an; teils konnte der König, wenn sie ihn am Leben ließen, den Mord weit nachdrücklicher rächen als der Privatmann, teils auch, wenn sie den Servius ermordeten, jeden anderen, den er zum Schwiegersohne wählte, ebenso zum Thronerben ernennen. 5 Sie legten es also auf das Leben des Königs selbst an. Zwei von ihren verwegensten Hirten, zur Tat von ihnen ausersehen, ihr gewöhnliches Eisengerät vom Ackerbau in den Händen, mussten im Vorhof der königlichen Burg so lärmend wie möglich unter dem Schein einer Schlägerei die Königlichen auf sich aufmerksam machen. Beide beriefen sich auf den König mit einem Geschrei, das in die innere Burg drang. Der König ließ sie rufen. Sie kamen. 6 Zuerst waren beide gleich laut, und wetteifernd überschrie einer den andern. Der Liktor brachte sie zur Ordnung, hieß einen nach dem andern reden, und endlich legte sich ihr Wortwechsel. Einer trug nach Verabredung die Sache vor, 7 und als der König aufmerksam sich ganz gegen diesen wandte, schlug ihm der andere mit ausholendem Hieb die Axt in den Kopf, ließ die Mordwaffe in der Wunde stecken, und beide stürzten zur Tür hinaus.

      (41) Den sterbenden Tarquinius hoben die in der Nähe Stehenden von der Erde, und jene wurden auf ihrer Flucht von den Liktoren ergriffen. Das Klagegeschrei erhob sich, und das herbeieilende Volk fragte voll Schrecken nach der Ursache. Während des Auflaufes ließ Tanaquil die Burgtore schließen und entfernte alle Zeugen; und bei dem Eifer, mit dem sie alles Nötige zur Heilung der Wunde herbeischaffte, als wäre noch Hoffnung vorhanden, dachte sie, falls die Hoffnung fehlschlüge, auf Entwürfe, sich von einer andern Seite zu decken. 2 Eiligst ließ sie den Servius kommen, zeigte ihm ihren Gemahl in der Verblutung, und seine Rechte festhaltend bat sie ihn, den Tod seines Schwiegervaters nicht ungerächt, seine Schwiegermutter ihren Feinden nicht zum Spott werden zu lassen. 3 Der Thron, sagte sie, Servius, wenn du ein Mann bist, ist dein, nicht derer, welche die schändlichste Tat durch fremde Hand verübten. Ermanne dich! Folge den Göttern, die deine Führer wurden und einst dieses Haupt zur Vorbedeutung des künftigen Glanzes mit heiligem Feuer umströmten.


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