Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.so hört! Ohne mein Wissen zogen sich die Albaner auf das Gebirge. Nie hatte ich so etwas befohlen; Klugheit war es, dass ich mich stellte, es befohlen zu haben. Euch musste ich es unbekannt bleiben lassen, dass man euch verließ, wenn ich euch nicht mutlos machen wollte; die Feinde musste die Furcht, umgangen zu werden, mit Schrecken und Flucht erfüllen. 6 Doch diese meine Rüge trifft nicht alle Albaner. Sie folgten ihrem Führer, so wie ihr getan hättet, wenn ich euch auf einen Seitenweg hätte ablenken wollen. Mettius dort ist der Führer dieses Zuges, Mettius ebenso der Anstifter dieses Krieges, Mettius der Störer des Bundes zwischen Rom und Alba. Stelle ich nicht an ihm ein ausgezeichnetes Beispiel den Sterblichen zur Warnung auf, so müsse künftig jeder andere sich dergleichen Taten erlauben. 7 Jetzt umstellten bewaffnete Hauptleute den Mettius. Der König fuhr in seiner Ansprache fort: Glück, Heil und Segen erwachse für das römische Volk, für mich und euch, ihr Albaner, aus meinem Entschluss, das ganze albanische Volk nach Rom überzusiedeln, ihren Bürgern unser Bürgerrecht zu erteilen, ihre Häupter unserm Adel einzuverleiben und eine gemeinschaftliche Stadt, einen gemeinschaftlichen Staat zu bilden. So wie ehemals der Staat von Alba aus einem Volk in zwei sich teilte, so mag er sich nun wieder auf eins zurückführen lassen. 8 Die albanische Mannschaft, ohne Waffen, von Bewaffneten umgeben, beobachtete, während er sprach, bei so verschiedener Stimmung, gleichwohl von allgemeiner Furcht gehalten, eine tiefe Stille. Darauf fuhr Tullus fort: 9 Mettius Fufetius, wenn du noch lernen könntest, wie man Treue und Bündnisse hält, so hätte ich dir mit Schonung deines Lebens diesen Unterricht angedeihen lassen. Weil aber deine Sinnesart unheilbar ist, so lehre du nun das Menschengeschlecht durch deine Todesstrafe das heilig halten, was du entweiht hast. So wie jüngst dein Herz, geteilt zwischen Fidenae und Rom, hier und dort war, so sollst du jetzt deinen Leib zur Zerteilung nach allen Seiten hergeben. 10 Er ließ zwei vierspännige Wagen heranfahren und den Mettius quer ausgespannt zwischen die Gestelle binden. Die Pferde jagten dann nach entgegengesetzter Richtung auseinander und schleppten den Zerrissenen, so wie die Körperstücke in den Banden hängen blieben, an jedem Wagen fort. 11 Alle wandten von einem so grässlichen Schauspiel die Augen ab. Dies ist das erste und letzte Mal, dass die Römer eine Todesstrafe auf eine Art vollzogen, wobei die Gesetze der Menschlichkeit wenig beachtet wurden. Sonst dürfen wir uns rühmen, dass kein Volk mildere Strafarten verfügt hat.
(29) Nach Alba war mittlerweile schon Reiterei vorausgeschickt, um das Volk nach Rom überzusiedeln. Jetzt wurden auch die Legionen hingeführt, die Stadt zu schleifen. 2 Als diese in die Tore rückten, entstand freilich kein solcher Aufruhr und Schrecken wie bei der Eroberung einer Stadt, wenn der Feind die Tore gesprengt, die Werke durch den Mauerbrecher niedergeworfen oder die Burg mit stürmender Hand erstiegen hat, und Feindesgeschrei und Waffengetümmel in allen Gassen, die ganze Stadt mit Mord und Brand erfüllt. 3 In trauriges Schweigen und stummen Gram waren alle dermaßen versunken, dass sie – vor Angst unfähig, daran zu denken, was sie da lassen, was sie mitnehmen sollten – in ihrer Ratlosigkeit unter gegenseitig wiederholten Fragen, bald in ihren Türen stehen blieben, bald in den Häusern, um zum letzten Mal dies alles zu sehen, auf und ab liefen. 4 Als aber jetzt die Reiterei den Befehl zur Räumung ihnen schon dringender zurief, schon aus entlegenen Teilen der Stadt das Krachen der einstürzenden Gebäude herüberscholl und ein aus mehreren Gegenden aufgestiegener Staub alles wie mit einer Wolke bedeckte, da nahmen sie in der Eile, soviel nur jeder konnte, mit sich, traten mit Hinterlassung ihrer Haus- und Schutzgötter und des Daches, unter dem sie geboren und erzogen waren, auf die Straßen, fanden sie schon mit einem ununterbrochenen Zug von Wandernden bedeckt, 5 und der Anblick ihrer Mitbürger erneuerte unter wechselseitigem Mitleid ihre Tränen. Die Stimme der Klage wurde laut, besonders von den Frauen, wenn sie vor ihren ehrwürdigen, nun von Bewaffneten besetzten Tempeln vorübergingen und ihre Götter gleichsam in der Gefangenschaft zurückließen.
6 Nach dem Abzug der Albaner aus der Stadt machten die Römer allenthalben die öffentlichen und Privatgebäude dem Erdboden gleich, und die Stunde des Schicksals übergab ein Werk von vierhundert Jahren ‒ so lange hatte Alba gestanden ‒ der Zerstörung und den Trümmern. Doch blieben die Tempel der Götter auf ausdrücklichen Befehl des Königs verschont.
(30) Durch Albas Zerstörung wuchs inzwischen Rom. Die Bürgerzahl verdoppelte sich. Der Berg Caelius wurde zur Stadt gezogen, und damit sich hier mehrere anbauen möchten, wählte ihn Tullus zum Herrschersitz und wohnte daselbst. 2 Unter die Patrizier nahm er, um auch diesen Teil des Staates zu verstärken, die vornehmsten albanischen Familien auf, die Tullier, Servilier, Quinctier, Geganier, Curiatier, Cloelier, und gab dem dadurch zahlreicher gewordenen Stand ein geweihtes Gebäude als Rathaus, das bis auf unserer Väter Zeiten9 den Namen das Hostilische behalten hat; 3 und um die Stärke jedes Ranges aus dem neuen Volk zu vermehren, hob er unter den Albanern zehn Turmen10 Ritter aus. Von ebendiesem Zuwachs machte er die alten Legionen vollzählig und errichtete neue.
4 Im Vertrauen auf diese seine Kräfte erklärte Tullus den Sabinern, welche damals an Volkszahl und Kriegskunde nur den Etruskern nachstanden, den Krieg; von beiden Seiten hatte man sich Beleidigungen zugefügt und Genugtuung vergebens gefordert. 5 Tullus beschwerte sich darüber, dass sie auf dem stark besuchten Jahrmarkt bei dem Tempel der Göttin Feronia römische Kaufleute verhaftet hätten; die Sabiner hingegen, dass schon früher zu Rom einige ihrer Landsleute in dem Hain Zuflucht gefunden hätten und ihnen nicht ausgeliefert worden seien. 6 Dies waren die angeblichen Ursachen zum Krieg.
Die Sabiner, wohl eingedenk, dass schon Tatius einen Teil ihrer eigenen Macht nach Rom verpflanzt hatte, und auch, dass Rom kürzlich durch Einverleibung des ganzen albanischen Volkes noch mächtiger geworden war, sahen sich ebenfalls nach auswärtiger Hilfe um. 7 Etrurien lag ihnen nahe; die nächsten unter den Etruskern waren die Vejenter. Als sie hier die Einwohner zum Friedensbruch aufforderten, schaffte ihnen hauptsächlich die Erbitterung gegen Rom von den vorigen Kriegen her viele Freiwillige, und manche Unansässige vom dürftigen Volk reizte auch der Sold; allein von allen Seiten des Staates leistete man ihnen keinen Beistand, und diesmal blieb bei den Vejentern – denn bei den Übrigen wundert es mich weniger11 – der mit Romulus geschlossene Waffenstillstand in seiner Kraft. 8 Als man nun auf beiden Seiten sich mit dem größten Ernst zum Krieg rüstete und es nur noch darauf anzukommen schien, wer zuerst den Krieg beginne, rückte Tullus als der Angreifende ins Sabinerland.
9 Bei dem Wald Malitiosa kam es zu einer blutigen Schlacht, in welcher das römische Heer freilich auch durch sein treffliches Fußvolk, 10 am meisten aber durch die jüngste Vermehrung der Reiterei die Oberhand behielt. Sie bewirkte durch ihr schleuniges Eindringen in den Gliedern der Sabiner eine solche Verwirrung, dass sie nicht wieder zum Standgefecht kommen und sich auch nicht ohne großen Verlust zur Flucht auflösen konnten.
(31) Als nach Besiegung der Sabiner Tullus als König und der ganze römische Staat im Besitze eines großen Ruhmes und einer wirklich großen Macht waren, wurde dem König und den Vätern gemeldet, auf dem albanischen Berg sei ein Steinregen gefallen. 2 Weil man das kaum glauben konnte, wurden zur Untersuchung des Wunders Leute hingeschickt; und vor ihren Augen fiel eine Menge Steine, nicht anders als wenn der Sturm einen dichten Hagel auf die Erde niederstürzt, vom Himmel herab. 3 Auch kam es ihnen vor, als hörten sie aus dem Hain des höchsten Gipfels eine gewaltige Stimme rufen: Die Albaner sollten ihren Gottesdienst nach vaterländischer Weise verrichten. Sie hatten diesen eingehen lassen, als hätten sie zugleich mit ihrer Vaterstadt auch die Götter hinter sich gelassen und entweder den römischen Gottesdienst angenommen oder auf ihr Schicksal zürnend, wie es der Mensch macht, alle Verehrung der Götter aufgegeben. 4 Auch die Römer ordneten wegen dieses Schreckenszeichens ein öffentliches neuntägiges Opferfest an, entweder auf Geheiß einer himmlischen Stimme, die sich vom albanischen Berg hören ließ – denn auch dies melden einige –, oder auf Anraten der Opferschauer.12 Wenigstens blieb es Sitte, so oft die Erscheinung dieses Wunderzeichens gemeldet wurde, ein neuntägiges Opferfest anzuordnen. 5 Bald darauf herrschte eine ansteckende Krankheit und machte die Bürger zu Kriegsdiensten zu schwach. Dennoch gestattete der kriegerische König keine Waffenruhe; ja er glaubte sogar, die jungen Leute würden im Krieg gesünder als zu Hause sein, bis ihn endlich selbst die Krankheit auf ein langwieriges Lager warf. 6 Dies lähmte ihm zugleich mit dem Körper jenen mutigen Feuergeist so sehr, dass er jetzt, sowenig er es früher für königlich gehalten hatte, seine Gedanken mit dem Gottesdienst zu beschäftigen, auf einmal mit Befolgung jedes größeren und kleineren Aberglaubens seine Zeit hinbrachte und sogar das