Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.den Krieg veranlasst hatte, weil jetzt die Not die weibliche Furcht besiegte, Mut: Mit aufgelösten Haaren und zerrissenen Kleidern unter die fliegenden Pfeile, von der Seite her drängten sie sich ein, schieden die gegeneinander gekehrten Reihen, traten zwischen die Erbitterten und baten hier ihre Väter, dort ihre Männer, 2 dass sie doch nicht als Schwiegerväter und Schwiegersöhne den Fluch einer solchen Blutschuld auf sich laden, nicht die Schande eines an so nahen Verwandten verübten Mordes über die brächten, welche sie geboren hätten, diese über ihre Enkel, diese über ihre Kinder! 3 Wollt ihr durchaus nicht verwandt, nicht mit uns durch die Ehe verbunden sein, so kehrt euren Zorn gegen uns. Um unseretwillen wird der Krieg geführt, um unseretwillen werden Männer und Väter verwundet und erschlagen. Weit besser, wir sterben, als wir leben ohne die einen von euch als Witwen oder Waisen!
4 Die Heere und ihre Führer wurden gerührt. Es erfolgte Stille und eine unerwartete Ruhe. Dann traten die Feldherren zur Abschließung eines Vertrages hervor und schlossen nicht nur Frieden, sondern machten auch aus beiden Staaten einen; sie vereinigten sich zu gemeinschaftlicher Regierung; zur gebietenden Hauptstadt machten sie Rom. 5 Damit indes für den Vorteil, den Rom durch seine Verdoppelung gewann, den Sabinern doch etwas eingeräumt würde, nannten sich beide Völker nach der (sabinischen) Stadt Cures Quiriten. Zum Andenken an diese Schlacht wurde der Ort, wo das aus der Tiefe des Sumpfes sich emporarbeitende Ross den Curtius auf sicheren Grund brachte, der Curtische See genannt. 6 Dieser aus einem so traurigen Krieg unerwartet hervorgegangene erfreuliche Friede machte die Sabinerinnen ihren Männern und Vätern, vor allen aber dem Romulus selbst noch teurer. Darum benannte er, wie er das Volk in dreißig Kurien teilte, diese nach den Namen der Frauen. 7 Ohne Zweifel muss die Anzahl der Frauen viel größer gewesen sein, doch wird nicht überliefert, ob die, welche den Kurien ihre Namen geben sollten, nach dem Alter oder nach eigenem oder ihrer Männer Rang oder durch das Los gewählt wurden. 8 Auch drei Zenturien Reiter wurden damals errichtet. Die eine bekam den Namen Ramnens von Romulus, die Tities von Titus Tatius. Woher die Luceres Namen und Ursprung erhalten haben mögen, ist ungewiss. Nun regierten zwei Könige, und nicht bloß gemeinschaftlich, sondern auch einträchtig.
(14) Einige Jahre nachher misshandelten verwandte des Tatius die Gesandten der Laurenter. Diese belangten sie nach dem Völkerrecht; allein die Liebe zu den Seinigen und ihre Bitten galten bei Tatius mehr als das Recht. Dadurch zog er ihre Strafe sich selbst zu. 2 Als er zu einem feierlichen Opfer nach Lavinium kam, machte das Volk einen Auflauf und erschlug ihn. 3 Romulus soll diese Tat nicht so übel aufgenommen haben, als sie es verdiente, entweder weil eine gemeinschaftliche Regierung doch auch ihr Unsicheres hatte, oder weil er glaubte, dem Ermordeten sei kein Unrecht geschehen. Er fing auch keinen Krieg an. Um indes die Misshandlung der Gesandten und den Königsmord durch eine Sühne zu tilgen, mussten Rom und Lavinium durch feierliche Erneuerung ihres Bundes sich versöhnen.
4 Hier also blieb es wider Erwarten beim Frieden, dafür aber kam es zu einem weit näheren Krieg, und fast an den Toren Roms. Die Fidenaten, besorgt, dass ihre so nahen Nachbarn zu große Fortschritte machten, wollten ihnen, ehe sie noch zu der Stärke gelangten, welche die Zukunft erwarten ließ, durch einen Krieg zuvorkommen. Sie fielen mit ihrem Heer in die Gegend zwischen Rom und Fidenae ein und verwüsteten sie. 5 Von hier wandten sie sich nach links, denn rechts hielt der Tiber sie ab, und plünderten unter dem allgemeinen Flüchten der Landbewohner; und der plötzliche Kriegslärm, der vom Land in die Stadt drang, war sein eigener Bote. 6 Romulus führte ohne Verzug – denn ein so naher Krieg gestattete kein Zögern – sein Heer aus und schlug tausend Schritte von Fidenae ein Lager auf. 7 Hier ließ er eine mäßige Besatzung und rückte mit allen Truppen aus, hieß aber einen Teil in den von dichtem Gebüsch verdeckten Umgebungen sich in einen Hinterhalt legen. Mit dem größeren Teil und der gesamten Reiterei zog er gegen die Feinde, und durch seinen lärmenden und drohenden Angriff, in dem er fast an die Stadttore sprengte, gelang es ihm, sie herauszulocken. Gerade der Umstand, dass der Angriff mit Reiterei geschah, musste der verstellten Flucht, die in seinem Plan lag, alles Auffallende nehmen. 8 Und als das Fußvolk, während die Reiterei zwischen Flucht und Gefecht gleichsam zu wanken schien, eine rückgängige Bewegung machte, da stürzten die Feinde plötzlich in dichtem Gedränge zu den Toren heraus, warfen sich hinter das weichende römische Heer und gerieten in der Hitze des Nachsetzens und Verfolgens an den Ort des Hinterhalts. 9 Hier nahmen die plötzlich hervorbrechenden Römer den Feind in die Flanke. Der Ausfall der im Lager zurückgelassenen Besatzung vermehrte seine Bestürzung. Geschreckt von so vielen Seiten kehrten die Fidenaten, fast noch ehe Romulus und die ihn begleitende Reiterei mit ihren Pferden umwandten, den Rücken; 10 und während sie eben noch Verfolger der verstellt Fliehenden gewesen waren, eilten sie jetzt weit schnelleren Laufs – denn diese Flucht war Ernst – ihrer Stadt zu. 11 Aber sie entkamen dem Feind nicht. Die Römer, ihnen auf der Ferse folgend, brachen, ehe noch die Torflügel zugeworfen werden konnten, wie in einem Zug mit hinein.
(15) Die Vejenter, mit dem Krieg bei Fidenae in naher Berührung, auch als Verwandte nicht ohne Teilnahme (denn die Fidenaten sind, wie jene, Etrusker gewesen) und selbst ihrer Nähe wegen, wenn die römischen Waffen allen Nachbarn gefährlich werden sollten, in Besorgnis, machten einen Einfall ins römische Gebiet, ließen sich aber mehr auf Plünderung als auf eine förmliche Führung des Krieges ein. 2 Ohne ein Lager aufzuschlagen, ohne das feindliche Heer zu erwarten, kehrten sie, beladen mit dem auf dem Land zusammengerafften Raub, nach Veji zurück. Die Römer hingegen setzten, als sie keinen Feind im Feld fanden, zu einer entscheidenden Schlacht bereit und jene erwartend über den Tiber. 3 Als die Vejenter hörten, dass sie ein Lager aufgeschlagen hatten und vor ihre Stadt rücken würden, gingen sie ihnen entgegen, weil sie lieber eine Schlacht wagen als eingeschlossen ihre Häuser und Mauern in Gefahr bringen wollten. 4 Hier siegte der römische König, ohne seiner Stärke durch eine Kriegslist zu Hilfe zu kommen, bloß durch die Kraft seines altgedienten Heeres und verfolgte die geschlagenen Feinde bis an ihre Mauern. Einen Angriff auf die durch ihre Werke und selbst durch ihre Lage feste Stadt wagte er nicht; auf seinem Rückzug verheerte er ihr Gebiet, mehr aus Rache als aus Raublust. 5 Durch diesen Schaden ebenso sehr wie durch die verlorene Schlacht gedemütigt, schickten die Vejenter Gesandte nach Rom und baten um Frieden. Sie mussten einen Teil ihres Gebietes abtreten, und es wurde ihnen ein Waffenstillstand auf hundert Jahre bewilligt.
6 Dies sind ungefähr die Friedens- und Kriegstaten des Romulus während seiner Regierung. Keine darunter ist mit der Glaubwürdigkeit seiner göttlichen Abkunft und der eigenen nach seinem Tod geglaubten Göttlichkeit unverträglich; weder der Mut, mit dem er seinem Großvater den Thron wiedergewann, noch die Bestimmung, die er sich gab, Erbauer einer Stadt zu werden und durch Krieg und Frieden sie zu festigen. 7 Denn tatsächlich wurde er durch die im Krieg erhaltenen Kräfte so mächtig, dass sie die nächsten vierzig Jahre hindurch einen sicheren Frieden genoss. 8 Gleichwohl hatte er mehr Liebe bei dem Volk als bei den Vätern; die größte Anhänglichkeit bewiesen ihm die Soldaten; und nicht nur im Krieg, sondern auch im Frieden hatte er eine Leibwache von 300 Bewaffneten um sich, die er Celeres nannte.
(16) Diese unsterblichen Taten hatte er vollbracht, und hielt eben auf dem Feld am Ziegensumpf eine Versammlung, um sein Heer zu mustern, als ein plötzlich entstandenes Unwetter, von lautem Krachen und Donnerschlägen begleitet, den König in eine so dichte Regenwolke hüllte, dass er den Blicken der Versammlung entzogen wurde; seitdem war Romulus nicht mehr auf Erden gesehen. 2 Als endlich nach dem Unwetter der Himmel wieder hell und ruhig war und die Bestürzung sich legte, sahen die römischen Krieger den Stuhl des Königs leer. Setzten sie gleich in die Aussage der Väter, die ihm am nächsten gestanden hatten, dass ihn die Sturmwolke in den Himmel gehoben habe, kein Misstrauen, so überließen sie sich doch eine Zeitlang, von bangen Gefühlen gleich Verwaisten durchdrungen, ihrem stillen Gram. 3 Bald aber wirkte das Beispiel einiger weniger; und unter der allgemeinen Begrüßung Gott! Gottessohn! König und Vater der Stadt Rom! entboten sie dem Romulus ihr Lebewohl; sie flehten in Gebeten um seine Gnade, und dass er sich’s gefallen lassen wolle, sie, seine Kinder, auch ferner unter seiner Obhut zu beglücken.
4 Ich glaube, dass es auch damals einige gegeben hat, die in der Stille die Vermutung hegten, die Väter selbst möchten den König zerrissen haben; denn auch diese Sage hat sich, freilich sehr unbestimmt, fortgepflanzt. Jener ersten erwarben die Bewunderung des Helden und der erschütternde Auftritt selbst eine große Verbreitung. 5 Und durch Zutun eines einzigen Mannes gewann die Sache noch mehr Glaubwürdigkeit.