Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.Spott Remus über die angefangene Mauer gesprungen sei. Der erzürnte Romulus habe ihn erschlagen und folgenden Fluch ihm nachgerufen: So fahre jeder dahin, der nach dir über meine Mauer springen wird!
3 So wurde Romulus alleiniger Herrscher, und die erbaute Stadt wurde nach ihrem Erbauer genannt. Das Palatium, auf dem er erzogen war, wurde zuerst ummauert. Den übrigen Göttern brachte er ihre Opfer nach albanischem, dem Herkules nach griechischem Brauch dar, wie ihn Euander angeordnet hatte.
4 Hercules nämlich, so erzählt man, führte die wunderschönen Rinder des von ihm erlegten Geryon in diese Gegend. Der durch den Tiber vor sich hingetriebenen Herde schwamm er nach. Um die Tiere durch Ruhe und fette Weiden zu erquicken, und selbst von der Wanderung ermüdet, legte er sich hier auf dem grasigen Anger nieder. 5 Speise und Wein, reichlich genossen, gaben ihm einen tiefen Schlaf. Ein auf seine Stärke trotzender Hirt aus jener Gegend (er hieß Cacus), der zu den schönen Rindern Lust bekam, suchte mit dieser Beute zu entkommen. Brachte er sie aber als Treiber in seine Höhle, so mussten selbst die Spuren den suchenden Eigentümer dorthin führen. Also zog er die schönsten Rinder bei den Schwänzen rückwärts in die Höhle. 6 Herkules, der mit der ersten Morgenröte erwachte, seine Herde musterte und sie nicht vollzählig fand, ging auf die nahe Höhle zu, ob etwa die Spuren dort hinführten. Er sah sie aber alle auswärts gekehrt und sonst nirgendwo hinlaufen, verlegen und unschlüssig wollte er schon aus einer so unsicheren Gegend entschwinden, 7 da erhoben, wie die Kühe es zu tun pflegen aus Sehnsucht nach den Zurückgebliebenen, einige ihr Gebrüll, und die aus der Höhle schallende Antwort der Eingeschlossenen bewog den Herkules umzukehren. Er ging gerade auf die Höhle zu. Cacus wollte ihm den Eingang mit Gewalt verwehren, schrie den Hirten, wiewohl vergeblich, zu, ihm zu helfen, und wurde mit der Keule zu Boden gestreckt. 8 Euander, ein Flüchtling aus der Peloponnes, beherrschte damals diese Gegend, mehr durch sein Ansehen als durch königliche Gewalt. Das Wunder der Schreibekunst, für jene mit den Wissenschaften unbekannten Menschen etwas Staunenswertes, hatte ihn der Nation ehrwürdig gemacht, ehrwürdiger noch der Glaube an die göttlichen Eingebungen seiner Mutter Carmenta, welche schon vor der Ankunft der Sibylle in Italien von diesen Völkern als Prophetin bewundert wurde. 9 Auch jetzt zog der Auflauf der Hirten, die den Fremdling als offenbaren Mörder verlegen umstanden, den Euander herbei. Als er sich die Tat und ihre Veranlassung hatte erzählen lassen und in dem Äußeren und Persönlichen des Mannes eine Größe und Erhabenheit wahrnahm, die ihn hoch über Menschen setzte, fragte er ihn, was für ein Held er sei. 10 Und wie er da seinen Namen, Vater und Vaterland erfuhr, rief er aus: Jupiters Sohn, Herkules, sei mir willkommen! Meine Mutter, durch deren Mund die Götter Wahrheit verkündeten, hat mir geweissagt, dass du die Zahl der Himmlischen mehren werdest, und dass dir hier ein Altar geweiht werden solle, den einst das mächtigste Volk auf Erden den Großen nennen und nach der Weise deines Landes auf ihm opfern werde. 11 Herkules gab ihm die Rechte und erklärte, er nehme die Verheißung an und wolle durch Errichtung und Einweihung eines Altars den Spruch des Schicksals erfüllen. 12 Sogleich vollzogen sie mit einem aus der Herde erlesenen Stier dem Herkules zu Ehren hier das erste Opfer, zu dessen Ausrichtung und Mahl die angesehensten Geschlechter jener Gegend, die Potitier und Pinarier, geladen wurden. 13 Es traf sich, dass die Potitier zur bestimmten Zeit sich einfanden und von den Eingeweiden mitaßen, die Pinarier hingegen erst nach verzehrtem Opferfleisch zu den späteren Gerichten kamen. Seitdem blieb es gesetzlich, dass die Pinarier, solange ihr Geschlecht dauerte, von den Eingeweiden der öffentlich gebrachten Opfer nicht essen durften. 14 Die Potitier wurden von Euander über diesen Gottesdienst unterrichtet und versahen ihn viele Menschenalter hindurch als Oberpriester, bis die Familienfeier den Staatssklaven übertragen wurde und das ganze Geschlecht der Potitier ausstarb. 15 Dies war der einzige ausländische Gottesdienst, den Romulus aufnahm, schon damals ein Verehrer durch Heldenmut errungener Unsterblichkeit, zu welcher ihn sein eigenes Schicksal führte.
(8) Nach gehörig vollbrachten Opfern rief er seine Untertanen zur Versammlung, und weil sie zu der Einheit eines Staatskörpers nur durch Gesetze verschmelzen konnten, gab er ihnen eine Verfassung. 2 Überzeugt, dass einem rohen Haufen dies nur dann heilig sein könne, wenn er sich selbst durch Abzeichen der höchsten Gewalt ehrwürdiger machte, gab er sich eine größere Majestät sowohl in seinem übrigen Äußeren, als besonders durch zwölf angenommene Liktoren (Gerichtsdiener). 3 Einige glauben, er habe in dieser Zahl sich nach der Anzahl der Vögel gerichtet, die ihm durch ihren glücklichen Flug den Thron verkündigt hatten. Ich trage kein Bedenken, der Meinung derer beizupflichten, welche unsere obrigkeitlichen Diener (Apparitoren), und auch diese Klasse derselben, ja selbst ihre Anzahl von unseren Nachbarn, den Etruskern, herleiten, von denen wir auch den Thronsessel und die verbrämte Toga bekommen haben; bei den Etruskern aber wären es darum so viele gewesen, weil ihrem aus zwölf Völkern gemeinschaftlich gewählten König jedes Volk einen Gerichtsdiener gestellt habe.
4 Unterdessen wuchs die Stadt durch Bebauung eines Platzes nach dem andern, indem sie bei Aufführung ihrer Häuser mehr auf eine zu hoffende Volksmenge als auf die gegenwärtige Menschenzahl sahen. 5 Um aber die Stadt, deren Anlage nicht umsonst so groß gemacht sein sollte, zu bevölkern, befolgte er die Maßregel älterer Städtebauer, welche die unbekanntesten und niedrigsten Leute zu sich einluden und dann vorgaben, ein neues Menschengeschlecht sei ihnen aus der Erde erwachsen. Er eröffnete auf dem Platz, welcher jetzt, wenn man die Straße »Zwischen den beiden Hainen« hinabgeht, durch einen Zaun gesperrt ist, eine Freistatt. 6 Allerlei Gesindel aus den benachbarten Völkern, Freie und Sklaven ohne Unterschied, führte der Wunsch, sich in einem neuen Staat zu versuchen, hier zusammen; und dies war die erste Verstärkung der beginnenden Größe.
7 Als er nun schon mit seiner Macht zufrieden sein konnte, gesellte er die Einsicht zur Macht. Er wählte hundert Ratsherren. Entweder hielt er diese Anzahl für ausreichend, oder es waren nur hundert da, welche zu Vätern gewählt werden konnten; wenigstens wurden sie von ihrem Vorzug Väter und ihre Nachkommen Patrizier (der Adel) genannt.
(9) Schon hatte der römische Staat eine solche Stärke, dass er jedem seiner Nachbarn im Krieg gewachsen war. Aber aus Mangel an Frauen konnte diese Größe nur ein Menschenalter dauern. Zu Hause sahen sie sich ohne Hoffnung auf Nachkommenschaft, und noch berechtigten keine nachbarlichen Verträge sie zu Ehen im Auslande. 2 Auf den Rat der Väter schickte Romulus Gesandte zu den nächsten Städten und ließ für sein neues Volk um Bündnis und Wechselheirat anhalten. 3 Auch Städte, sagten die Gesandten, wüchsen, wie alles andere, aus dem Kleinen auf. Große Macht und großen Namen erwürben erst mit der Zeit sich diejenigen, die durch Tapferkeit und göttliche Hilfe sich erhöben. 4 Sie wären überzeugt, dass das Emporkommen Roms die Götter gefördert hätten und Tapferkeit es fördern werde. Sie möchten sich also nicht ungeneigt finden lassen, als Menschen mit Menschen Blutsfreunde und gemeinschaftliche Stammeltern zu werden. 5 Nirgends fanden die Gesandten günstiges Gehör; so sehr verachteten Rom seine Nachbarn, und so gefährlich zugleich schien ihnen für sie und ihre Nachkommen das in der Mitte sich erhebende Riesengebäude der römischen Macht. Fast durchgängig wurden sie mit der Frage entlassen, ob sie nicht auch für Frauen eine Freistatt errichtet hätten. Nur dann erst würden die Ehepaare zueinander passen. 6 Dies verdross die jungen Römer, und Gewalt war von ihrer Seite so gut wie beschlossen. Um hier die passende Zeit und Gelegenheit zu finden, traf Romulus, ohne seinen Unwillen sich merken zu lassen, angelegentliche Vorkehrungen zu einem Ritterspiel, welches er unter dem Namen Konsualien, dem ritterlichen Neptun zu Ehren, anstellen wollte. 7 Er ließ den benachbarten Städten dies Schauspiel ankündigen, und die Römer machten, um Aufsehen und Erwartung zu erregen, so feierliche Zurüstungen, als sie für damalige Zeiten wussten und konnten.
8 Es zog eine gewaltige Menge Menschen hin, auch aus Begierde, die neue Stadt zu sehen; am zahlreichsten die nächsten Nachbarn aus den Städten Caenina, Crustumeria, Antemnae. 9 Dann kam eine ganze Schar Sabiner mit Frau und Kind. In allen Häusern fanden sie gastliche Aufnahme, und wie sie die Lage und Befestigung Roms und die ansehnliche Häuserzahl sahen, wunderten sie sich über dies schnelle Wachstum. 10 Als endlich der Zeitpunkt des Kampfspieles herankam, und Herz und Auge hiermit beschäftigt war, brach die geplante Gewalttätigkeit aus. Auf ein gegebenes Zeichen sprengten die römischen Krieger nach allen Seiten zum Raube der Mädchen auseinander. 11 Die meisten wurden ohne Wahl weggenommen, wie sie jedem in die Hände fielen; hier und da hatten sich die Senatoren eine hervorragende Schönheit ausersehen, welche ihnen durch ihre Beauftragten im Volk in die Häuser geliefert wurde;