Römische Geschichte. Livius Titus

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Römische Geschichte - Livius Titus


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wessen Sohn du bist. Wenn der plötzliche Schrecken deine Anschläge lähmt, so folge meinen.

      4 Als man dem Toben und Zudringen der Menge kaum noch steuern konnte, redete Tanaquil vom oberen Stockwerk des Palastes aus, und zwar von den nach dem Neuen Weg gehenden Fenstern ‒ der König wohnte neben dem Tempel des Jupiter Stator ‒ das Volk an. 5 Sie forderte es auf, guten Mutes zu sein. Der plötzliche Schlag habe den König betäubt, die Axt sei aber nicht tief eingedrungen, und er sei schon wieder zu sich gekommen. Nach Abwaschung des Blutes habe man die Wunde untersucht: Es stehe alles gut. Er hoffe, in den nächsten Tagen sich ihnen selbst zeigen zu können. Bis dahin, lasse er ihnen sagen, möchten sie den Befehlen des Servius Tullius Folge leisten. Der werde ihnen Recht sprechen und die übrigen Geschäfte des Königs versehen.

      6 Servius erschien im königlichen Gewand, hatte die Gerichtsdiener um sich, setzte sich auf den königlichen Stuhl, entschied manches; über anderes, sagte er, werde er den König befragen. So verhehlte er, als Tarquinius schon verschieden war, den Tod mehrere Tage und befestigte als Stellvertreter eines andern seine eigene Macht. Als endlich die Bekanntmachung erfolgte und im Schloss die Totenklage erhoben wurde, hatte sich Servius durch eine starke Wache gedeckt und war der erste, der, ohne vom Volk ernannt zu sein, bloß mit Zustimmung der Väter regierte.

      7 Des Ancus Söhne hatten sich gleich damals, als ihre Meuchelmörder ergriffen waren, auf die Nachricht, dass der König noch lebe und des Servius Einfluss so groß sei, mit Aufgabe ihres Vaterlandes nach Suessa Pometia16 geflüchtet.

      (42) Bald suchte sich Servius, so wie vorher durch Vorkehrungen im Ganzen, auch durch Familienverbindungen zu sichern; und damit die Söhne des Tarquinius nicht so gegen ihn gesinnt sein möchten, wie die des Ancus gegen Tarquinius gewesen waren, verheiratete er seine beiden Töchter an die jungen Prinzen, Lucius und Arruns Tarquinius. 2 Und doch konnte er den gebietenden Willen des Schicksals durch menschliche Mittel nicht brechen, noch die missgünstige Herrschsucht hindern, selbst die Glieder einer Familie einander treulos und gefährlich zu machen. Für die Ruhe seiner damaligen Lage zur rechten Zeit kündigte er den Vejentern – der Waffenstillstand mit ihnen war zu Ende – und anderen Etruskern den Krieg an. 3 In diesem Krieg zeigten sich die Tapferkeit und das Glück des Tullius in vollem Glanz, und er kehrte nach Besiegung eines mächtigen feindlichen Heeres nach Rom zurück, jetzt unstreitig als König, er mochte es auf die Entscheidung der Väter oder des Volkes ankommen lassen.

      4 Nun machte er sich an eins der wichtigsten Werke des Friedens. Wie Numa der Gesetzgeber für alles geworden sei, was Bezug auf die Götter hatte, so sollte die Nachwelt rühmend sagen: Der Begründer aller der Einteilungen und Stände, wodurch der Unterschied zwischen den Stufen des Ranges und Vermögens hervorgehoben wird, war Servius. 5 Er führte nämlich die Schätzung ein, diese für den zu einer solchen Größe bestimmten Staat so heilsame Einrichtung, vermöge welcher die Beiträge zu den Lasten des Krieges und Friedens nicht wie zuvor nach den Köpfen, sondern nach dem Bestand des Vermögens geleistet werden sollten. Dann stiftete er die von der Schätzung abhängige Einteilung in Klassen und Zenturien, eine Ordnung, die im Frieden ebenso wie im Krieg die zweckmäßigste ist.

      (43) Aus den Bürgern, welche 100 000 Kupfer-As17 oder ein größeres Vermögen besaßen, machte er achtzig Zenturien; vierzig aus den älteren, vierzig aus den jüngeren. 2 Alle diese hießen die erste Klasse. Die älteren sollten zur Verteidigung der Stadt verwendbar sein, die jüngeren zur Führung auswärtiger Kriege. Die Waffen, die diese sich zu halten hatten, waren ein Helm, ein Schild, Beinschienen, Harnisch, alles aus Erz; dies sollten die Schutzwaffen sein; zum Angriff auf den Feind Lanze und Schwert. 3 An diese Klasse schlossen sich noch zwei Zenturien Werkleute, welche ohne Waffen dienen sollten, an. Ihr Geschäft war die Fortbringung des Belagerungszeuges.

      4 Die zweite Klasse bildeten diejenigen, welche zwischen 100 000 und 75 000 As besaßen. Und aus diesen, älteren und jüngeren zusammen, teilte er zwanzig Zenturien ab. Die ihnen auferlegten Waffen waren statt des Rundschildes ein Langschild und außer dem Harnisch die gleichen wie bei den vorigen.

      5 Das Vermögen der dritten Klasse bestimmte er bis zu 50 000 As. Hier waren ebenso viele Zenturien und ebenso nach dem Alter unterschieden; auch war hier keine Abänderung in den Waffen; nur die Beinschienen fielen weg.

      6 In der vierten Klasse bestand das Vermögen aus 25 000 As. Sie bekam ebenso viel Zenturien, aber andere Waffen. Nur Lanze und Wurfspieß wurde diesen gelassen.

      7 Die fünfte Klasse war wieder stärker und auf 30 Zenturien gesetzt. Sie führten Schleuder und Schleudersteine. Hierzu gehörten auch die Überzähligen, ferner die Hornbläser und Trompeter, die zusammen in drei Zenturien geteilt waren. Diese Klasse war zu 11 000 As angesetzt.

      8 Alles übrige Volk wurde in die Klasse von geringerem Vermögen zusammengenommen, machte nur eine Zenturie aus und war vom Kriegsdienst frei.

      Nachdem er so das Fußvolk ausgestattet und eingeteilt hatte, hob er in den vornehmsten Geschlechtern zwölf Zenturien Ritter aus. 9 Außer diesen verwandelte er die drei von Romulus errichteten Zenturien in sechs, doch mit Beibehaltung der Namen, unter denen sie eingereiht worden waren. Zum Ankaufe der Pferde wurden jedem 10 000 As vom Staat gegeben; und die Unverheirateten, Erbtöchter und Witwen wurden angewiesen, zusammen jährlich 2000 As für jeden aufzubringen, wovon sie die Pferde halten könnten. Alle diese Lasten legte er unter Verschonung der Armen den Reichen auf. Dafür aber gewannen diese nun auch an Rechten. 10 Es konnten nicht mehr so, wie nach Romulus’ Einrichtung die anderen Könige dies beibehalten hatten, die Stimmen nach Köpfen und ohne Unterschied mit gleichem Einfluss und gleichem Recht abgegeben werden, sondern er setzte Abstufungen fest, so dass niemand vom Stimmrecht ausgeschlossen zu sein schien und doch die Entscheidung bei den Vornehmen wäre. 11 Die Ritter wurden nämlich zuerst aufgerufen, dann die achtzig Zenturien der ersten Klasse. Konnten diese nicht einig werden, was selten der Fall war, dann sollten die Zenturien der zweiten Klasse aufgefordert werden, so dass die Stimmensammlung fast nie so weit herunterstieg, dass man bis an die Untersten gekommen wäre. 12 Man muss sich aber nicht wundern, dass unsere jetzige Ordnung, nachdem die Zahl der Bezirke auf 35 gestiegen ist, die sich ohnehin durch die Zenturien der Älteren und Jüngeren verdoppelt hatte, nicht mehr mit der von Servius Tullius festgesetzten Summe übereinstimmt; 13 denn er hatte die Stadt nach ihren Gegenden und Hügeln nur in vier Teile geteilt und nannte diese damals bewohnten Teile Tribus (Bezirke), wie ich glaube, vom Tribute; denn die dem Vermögen gleichmäßige Aufbringung desselben ist ebenfalls eine Erfindung von ihm. Auch stehen diese Bezirke mit der Einteilung in Zenturien sowenig wie mit deren Anzahl in Verbindung.

      (44) Nach vollendeter Schätzung, welche er durch die Furcht vor dem Gesetz beschleunigt hatte, das allen, die sich nicht schätzen ließen, mit Gefängnis und Todesstrafe drohte, verordnete er, dass alle römischen Bürger, Ritter und Fußvolk, jeder in seiner Zenturie auf dem Marsfeld mit Tagesanbruch sich stellen sollte. 2 Hier opferte er für das ganze aufgestellte Heer ein Schwein, ein Schaf und einen Stier zur Sühne. Dies wurde nachher der Schätzungsschluss genannt, weil hiermit die Schätzung geschlossen wurde. Bei dem damaligen Schätzungsschluss sollen 80 000 Bürger geschätzt worden sein. Fabius Pictor, der älteste römische Geschichtsschreiber, fügt hinzu, dies sei bloß die Zahl der Waffenfähigen gewesen.

      3 Für eine solche Volksmenge schien auch eine Erweiterung der Stadt nötig zu sein. Er zog noch zwei Hügel, den Quirinalischen und Viminalischen, mit hinein; dann kam der Anbau der Reihe nach an die Esquilin, und um dieser Gegend mehr Gefälliges zu geben, legte Servius hier seine Wohnung an. Er umgab die Stadt mit einem Wall, mit Graben und einer Mauer und rückte so das Weichbild der Stadt weiter hinaus. 4 Einige, die bloß auf die Bedeutung des Wortes Weichbild (pomerium) sehen, verstehen darunter nur den Raum hinter der Mauer. Es ist aber vielmehr der Platz auf beiden Seiten der Mauer, den die Etrusker ehemals bei Erbauung der Städte da, wo sie die Mauer ziehen wollten, innerhalb gewisser Grenzen auf beiden Seiten nicht ohne genehmigenden Vogelflug weihten, damit teils von der inneren Seite keine Gebäude unmittelbar an die Mauer stießen, wie man sie jetzt gewöhnlich damit verbindet, teils auch, um von außen einen offenen Platz zu behalten, der von aller menschlichen Bestellung verschont bliebe. 5 Diesen Raum, der weder bewohnt noch bebaut werden durfte, nannten die Römer Weichbild, sowohl deswegen, weil die Mauer hinter ihm, als auch weil es hinter der Mauer war; und bei Erweiterung der Stadt wurden jedes Mal,


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