Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.zu sehen, Gebete um göttliche Gnade und Erbarmung für das einzige Heilmittel der Krankheit. 8 Der König selbst, heißt es, habe nach dem Durchlesen der Bücher Numas gefunden, dass jährlich gewisse Opfer insgeheim gebracht würden, dem Jupiter Offenbarungen abzugewinnen, und sich zur Ausrichtung jener Opfer eingeschlossen. Da er aber diesen Gottesdienst nicht gehörig eingeleitet oder abgewartet habe, habe er, ohne irgendeine himmlische Erscheinung zu bewirken, von Jupiter, den diese verkehrten Beschwörungen gestört und erzürnt hätten, einen Blitz auf sich herabgezogen und sei mit seinem Haus verbrannt. Tullus regierte mit großem Kriegsruhm 32 Jahre.
(32) Nach dem Tod des Tullus fiel die Regierung, wie es von Anfang an üblich gewesen war, wieder an die Väter, und diese ernannten einen Zwischenkönig. Auf dem von ihm gehaltenen Wahltag ernannte das Volk den Ancus Marcius zum König, und die Väter bestätigten ihn.
Ancus Marcius war ein Enkel des Königs Numa Pompilius von dessen Tochter. 2 Mit Antritt seiner Regierung machte er es sich zur Hauptaufgabe, teils weil ihm das rühmliche Andenken seines Großvaters vorschwebte, teils weil die vorige Regierung, im Übrigen so vortrefflich, doch von einer Seite nicht ganz glücklich gewesen war, insofern sie nämlich die Gottesverehrung entweder verabsäumt oder verkehrt betrieben hatte, den öffentlichen Gottesdienst wieder so einzurichten, wie ihn Numa angeordnet hatte. Er ließ alle Vorschriften darüber aus Numas Büchern durch den Oberpriester aufzeichnen und dies Verzeichnis auf einer weißen Tafel öffentlich aushängen. Daher entstand bei den sich nach Ruhe sehnenden Bürgern und den benachbarten Staaten die Erwartung, der König werde den Grundsätzen und der Handlungsweise seines Ahnen folgen. 3 Die Latiner, mit denen unter Tullus’ Regierung ein Bündnis geschlossen war, fühlten sogleich ihren Mut gehoben; sie unternahmen einen Einfall ins römische Gebiet und gaben den Genugtuung fordernden Römern eine übermütige Antwort, in der Voraussetzung, der römische König werde, untätig genug, seine Regierung auf Kapellen und Altäre beschränken. 4 Ancus, dem Muster des Numa treu, ohne den Romulus zu vergessen, verband die Eigenschaften beider; und außer der Überzeugung, dass unter der Regierung seines Großvaters für jenes neue und wilde Volk der Friede eher notwendig gewesen sei, sah er auch ein, dass er die Ruhe, die jenem gelungen sei, nicht werde beibehalten können, ohne sich Beleidigungen gefallen zu lassen; man mache auf seine Nachgiebigkeit einen Versuch; gelinge er, so werde man sie verachten, auch eigne sich die Lage der Dinge mehr für einen Tullus als für einen Numa. 5 Um jedoch, so wie Numa die gottesdienstlichen Gebräuche des Friedens eingeführt hätte, in seiner Person den Stifter der kriegerischen Feierlichkeiten aufzustellen und die Kriege nicht bloß führen, sondern auch vermittels eines gewissen Feierbrauchs ankündigen zu lassen, nahm er von einem alten Volk, den Äquiculern,13 die gesetzliche Vorschrift her, wie die Genugtuung gefordert werden muss, und nach welcher sich noch jetzt die Fetialen richten. 6 Wenn der Gesandte an die Grenzen derer kommt, von denen man Genugtuung fordert, so spricht er, das Haupt mit einer Binde umwunden (die Binde ist von Wolle): Höre, Jupiter, höret, ihr Grenzen! Er nennt jedes Mal das Volk, dem sie zugehören. Mich höre das Recht, das vor Gott gilt. Ich bin der Staatsbote des römischen Volkes, ich komme, auf eine gerechte und gottgefällige Weise gesandt, und meine Worte verdienen Glauben. 7 Hier bringt er seine Forderungen vor. Dann nimmt er den Jupiter so zum Zeugen: Wenn ich ungerecht und freventlich jene Leute und jene Sachen an mich, den Voten des römischen Volkes, ausgeliefert haben will, so wollest du mich mein Vaterland nie wieder betreten lassen! 8 Diese Worte spricht er, wenn er über die Grenze schreitet, so, wenn ihm der erste Mann begegnet; er spricht sie bei seinem Eintritt ins Tor, und wiederum, wenn er auf dem Marktplatz steht, wobei er jedes Mal nur wenige Worte der Formel und des zu schwörenden Eides abzuändern hat. 9 Wird das Geforderte nicht herausgegeben, so kündigt er nach Verlauf von 33 Tagen – denn so viele sind festgesetzt – den Krieg folgendermaßen an: Höre, Jupiter, und du, Juno, Quirinus, und ihr himmlischen Götter alle, und ihr irdischen und ihr unterirdischen, höret! Euch rufe ich zu Zeugen an, dass jenes Volk – 10 er nennt den Namen – ungerecht ist und nicht leistet, was Rechtens ist. Doch hierüber wollen wir im Vaterland unsere Alten befragen, auf welche Art wir zu unserem Recht gelangen mögen. Mit diesen Worten kehrt der Gesandte nach Rom zur Beratung zurück.
11 Sogleich befragte der König die Väter mit ungefähr folgenden Worten: In betreff derjenigen Sachen, Streitigkeiten und Angelegenheiten sprach er zu dem, den er zuerst um seine Stimme fragte, über welche der Bevollmächtigte des römischen Volkes der Quiriten mit dem Bevollmächtigten der Altlatiner und den altlatinischen Männern übereingekommen ist, welche Sachen sie hätten geben, tun und zahlen müssen, welche Sachen sie aber weder gegeben, noch getan, noch gezahlt haben, wie dazu seine Stimme laute. 12 Dann sprach jener: Meine Stimme ist die, sie durch einen gerechten, gottgefälligen Krieg einzutreiben, und also halte und stimme ich. Nun wurden die Übrigen der Reihe nach befragt, und wenn der größere Teil der Anwesenden dieser Meinung beitrat, so war vermöge dieser Einstimmung Krieg. Gewöhnlich ging der Fetiale, eine mit Eisen beschlagene oder blutige, vorn angebrannte Lanze in der Hand, an jene Grenzen und sprach in Gegenwart von wenigstens drei Erwachsenen: 13 Weil die Völker der Altlatiner und die altlatinischen Männer gegen das römische Volk der Quiriten gehandelt und sich vergangen haben, weil das römische Volk der Quiriten den Krieg mit den Altlatinern beschlossen hat, und der Senat des römischen Volkes der (Quiriten es so erachtet, beigestimmt und beschlossen hat, dass mit den Altlatinern Krieg sein solle, darum kündige ich und das römische Volk den Völkern der Altlatiner und den altlatinischen Männern den Krieg an und beginne ihn. 14 Mit diesen Worten pflegte er einen Speer in ihr Gebiet zu schleudern.
Auf diese Art forderte man damals von den Latinern Genugtuung und kündigte ihnen den Krieg an; und diese Sitte pflanzte sich auf die Nachkommen fort.
(33) Ancus zog, nachdem er die Besorgung des Gottesdienstes den Eigen- und übrigen Priestern übertragen hatte, mit einem neu geworbenen Heer aus, nahm Politorium, eine Stadt der Latiner, mit Sturm und führte nach dem Beispiel der vorigen Könige, welche durch die Aufnahme der Feinde in die Stadt Roms Macht vergrößert hatten, die ganze Bevölkerung nach Rom. 2 Weil aber um das Palatium, den Sitz der Altrömer, her die Sabiner das Capitolium und die Burg, den Berg Caelius die Albaner eingenommen hatten, so wies er der neuen Volksmenge den Aventin an, welcher bald, durch die Eroberung von Tellenae und Ficana, noch mehr neue Bürger bekam. 3 Darauf musste er Politorium zum zweiten Mal erobern, weil die Altlatiner die leere Stadt besetzt hatten, und dies war der Grund, warum die Römer sie zerstörten, da sie immer für die Feinde ein Schlupfwinkel geblieben wäre. 4 Endlich zog sich der ganze Latinische Krieg vor Medullia, und hier wurde einige Zeit ohne Entscheidung mit abwechselndem Glück gekämpft. Teils war die Stadt durch ihre Werke gesichert und hatte eine starke Besatzung, teils hatte sich im Feld ein latinisches Heer gelagert, das mit den Römern öfters handgemein wurde. 5 Schließlich erfocht Ancus, von allen seinen Truppen unterstützt, zuerst einen förmlichen Sieg; dann kehrte er mit reicher Beute nach Rom zurück und nahm auch diesmal viele tausend Latiner unter seine Bürger auf. Um den Aventin mit dem Palatium in Verbindung zu setzen, gab man ihnen ihren Sitz bei der Kapelle der Murcia (der Myrtenvenus). 6 Auch zog er das Janiculum mit zur Stadt, nicht aus Mangel an Platz, sondern um nicht einst diese Anhöhe von einem Feind besetzen zu lassen, und vereinigte es nicht bloß durch eine Mauer mit der Stadt, sondern auch, um die Verbindung zu erleichtern, vermittels einer Balkenbrücke, der ersten über den Tiber geschlagenen. 7 Ebenso ist der Quiritengraben, der die Stadt vor einem Angriff von den Ebenen her nicht wenig schützt, ein Werk des Königs Ancus. 8 Weil auch in dieser bei dem ansehnlichen Zuwachs des Staates so hoch gestiegenen Volksmenge die Nichtachtung des Unterschiedes zwischen Recht und Unrecht Verbrechen erzeugte, deren Täter verborgen blieben, wurde zur Eindämmung der Überhand nehmenden Frechheit mitten in der Stadt am Marktplatz ein Gefängnis angelegt. 9 Doch nicht die Stadt allein, auch das Land und die Grenzen wurden unter diesem König erweitert. Den Vejentern nahm er den Mesischen Wald, dehnte seine Herrschaft bis ans Meer aus und baute an der Mündung des Tiber die Stadt Ostia, in deren Nähe er Seesalz gewann. Auch erweiterte er, weil er im Krieg so viel Ehre eingelegt hatte, den Tempel des Jupiter Feretrius.
(34) Unter der Regierung des Ancus zog Lucumo, ein tätiger und sehr reicher Mann, nach Rom, hauptsächlich in der Absicht und Hoffnung, zu hohen Ehrenstellen zu gelangen, wozu er in Tarquinii – denn auch dort war er fremder Abkunft – keine Gelegenheit hatte. 2 Er war der Sohn eines Korinthers namens Demaratus, welcher wegen Spaltungen aus seiner