Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.den Staat durch die Erweiterung der Stadt gehoben und das ganze Innere in eine für Krieg und Frieden zweckmäßige Verfassung gebracht hatte, gedachte er, um nicht jeden Zuwachs mit den Waffen zu erkämpfen, Roms Oberherrschaft durch Klugheit zu erweitern und zugleich der Stadt eine Zierde mehr zu verschaffen. 2 Schon damals stand der Tempel der Diana zu Ephesus in großem Ruf, und es hieß, die Staaten Asiens hätten ihn gemeinschaftlich erbaut. Da Servius im Kreis der vornehmsten Latiner, mit denen er angelegentlich von Seiten des Staates und für sich Gastrecht und Freundschaft geknüpft hatte, dieser Eintracht und verbündeten Gottesverehrung lauten Beifall gab, so brachte er es durch wiederholte Vorstellungen dahin, dass die Völkerschaften Latiums mit dem römischen Volk gemeinschaftlich der Diana einen Tempel zu Rom bauten. 3 Hierin lag das Bekenntnis, dass Rom ihre Hauptstadt sei, worüber schon so viele Kriege geführt waren. Zwar hatte es den Anschein, als hätten alle Latiner nach so vielen unglücklichen im Krieg gemachten Versuchen diesen Gedanken aufgegeben, und gleichwohl schien sich einem von den Sabinern das Glück anzubieten, als einzelner Mann die Oberherrschaft wieder an sein Volk zu bringen. 4 Ein Hausvater im Sabinerland soll in seinem Viehstand eine Kuh von wunderbarer Größe und Schönheit aufgezogen haben. Die Hörner sind mehrere Menschenalter hindurch über dem Eingang des Dianatempels als Denkmal des Wundertiers angeheftet gewesen. 5 Man nahm die Sache für das, was sie war, für ein Wunderzeichen; die Wahrsager prophezeiten dem Staat, dessen Bürger diese Kuh der Diana opfern würde, die Oberherrschaft über die anderen, und diese Weissagung war auch an den Vorsteher des Dianatempels gelangt. 6 Sobald der Sabiner einen passenden Tag für das Opfer fand, trieb er seine Kuh nach Rom zum Dianatempel und stellte sie vor den Altar. Der römische Vorsteher, dem die durch das Gerücht bekannt gewordene Größe des Opfertieres auffiel, erinnerte sich jener Weissagung und sprach zu dem Sabiner: Fremdling, was willst du da begehen? So unheilig der Diana ein Opfer bringen? Willst du dich nicht zuvor in fließendem Wasser baden? Unten im Tal fließt der Tiber! 7 Der Fremde, von heiliger Scheu befallen und nicht ohne den Wunsch, alles gehörig zu beobachten, damit der Erfolg dem Wunderzeichen entspräche, stieg vom Tempel zum Tiber hinab. Inzwischen opferte der Römer der Diana die Kuh zur größten Freude des Königs und aller Bürger.
(46) Hatte Servius gleich den Thron durch vieljährigen Besitz inne, so hörte er doch, der junge Tarquinius lasse zuweilen Äußerungen fallen, dass er ohne die Bestätigung des Volkes regiere. Er machte sich also zuerst den Bürgerstand dadurch geneigt, dass er die den Feinden entrissenen Ländereien Mann für Mann verteilte, und fragte nun ohne Bedenken beim Volk an, ob sie einwilligten und ihren Beschluss dahin erklärten, dass er ihr König sein solle. Und er wurde mit solcher Einstimmigkeit wie keiner vor ihm zum König gewählt. 2 Dennoch ließ Tarquinius bei seinen Bestrebungen nach dem Thron die Hoffnung nicht sinken; vielmehr hielt er, weil er gemerkt hatte, dass die Väter mit der Verteilung der Ländereien an die Bürgerlichen nicht zufrieden gewesen waren, dies für eine Gelegenheit, den Servius um so ernstlicher bei den Vätern zu verleumden und sich im Senat geltend zu machen, eine Aussicht, die er selbst als junger Mann mit glühender Leidenschaft verfolgte, und zu welcher seine Gemahlin Tullia seinen rastlosen Geist auch daheim spornte. 3 Denn auch die römische Königsburg brachte ein Beispiel eines tragischen Verbrechens hervor, damit der Abscheu gegen die Könige die Freiheit früher herbeiführen möchte und der Thronbesitz der letzte würde, der durch Frevel errungen war.
4 Dieser Lucius Tarquinius nämlich – ob er ein Sohn des Königs Tarquinius Priscus oder sein Enkel gewesen sei, ist nicht ganz gewiss, ich möchte ihn nach der Mehrzahl der Geschichtsschreiber als seinen Sohn angeben – hatte einen Bruder gehabt, den Arruns Tarquinius, einen sanften jungen Mann. 5 An diese beiden waren, wie oben gesagt, die beiden Tullien, des Königs Töchter, vermählt, die ebenfalls an Sitten sehr ungleich waren. Das Schicksal hatte es so gefügt, dass nicht die beiden heftigen Gemüter verbunden wurden, zum Glück des römischen Volkes, glaube ich, damit die Regierung des Servius um so länger dauern und die Einrichtung des ganzen fester begründet werden mochte. 6 Der leidenschaftlichen Tullia machte es Qual, dass sie bei ihrem Gemahl gar keine Anlage zu Entwürfen und Wagestücken fand. Sie richtete ihr Augenmerk ganz auf den andern Tarquinius; ihn bewunderte sie. Er, sagte sie, sei doch ein Mann und zeige seine königliche Abkunft. Sie verachtete ihre Schwester, die von ihrer Seite, da ihr doch ein Mann zuteil geworden sei, als Frau es an Unternehmungsgeist fehlen lasse. 7 Bald führte die Ähnlichkeit sie zusammen, wie gewöhnlich das Schlechte sich gern zum Schlechten gesellt; allein den Anfang, das Ganze umzustürzen, machte die Frau. An geheime Unterredungen mit einem fremden Mann gewöhnt, gestattete sie sich die schimpflichsten Ausdrücke über ihren Mann gegen seinen Bruder, über ihre Schwester gegen deren Mann. Weit glücklicher, sagte sie, würde sie ledig und er unverheiratet geblieben sein, als sie in dieser Missheirat wären, in der sie an der Mutlosigkeit anderer dahinwelken müssten. 8 Hätten ihr die Götter den Mann gegeben, dessen sie würdig sei, so würde sie bald die Krone bei sich im Haus gesehen haben, die sie jetzt bei ihrem Vater sehen müsse. Bald hatte sie dem jungen Mann ihre Verwegenheit eingeimpft, 9 und Arruns Tarquinius und diese jüngere Tullia, die sich durch zwei fast aneinander schließende Leichenzüge zu einer neuen Vermählung Platz gemacht hatten, wurden ein Paar, nicht so sehr mit Billigung als mit Zustimmung des Servius.
(47) Und nun wurde das Alter des Tullius mit jedem Tag sicherer, mit jedem sein Thron unsicherer. Denn schon richtete diese Frau den Blick von einem Frevel auf den andern, und Tag und Nacht ließ sie dem Mann keine Ruhe, um den verübten Bruder- und Schwestermord nicht umsonst begangen zu haben. 2 Es habe ihr nicht an einem gefehlt, sagte sie, den sie hätte ihren Gemahl nennen und mit ihm in der Stille die Dienstbarkeit tragen können. An dem habe es ihr gefehlt, der sich des Thrones würdig gehalten, sich daran erinnert hätte, dass er der Sohn des Priscus Tarquinius sei, der den Thron lieber habe besitzen als erwerben wollen. 3 Bist du der, an den ich mich verheiratet zu haben glaubte, so spreche ich in dir den Mann und den König an; andernfalls stehen jetzt unsere Sachen um so schlimmer, weil du, ohne tätiger zu werden, Blutschuld auf dich geladen hast. Warum gehst du nicht ans Werk? 4 Du hast nicht nötig, wie dein Vater, von Korinth aus oder von Tarquinii dir einen fremden Thron zu erringen. Die Götter selbst, die deines Hauses und die deines Vaters, sein Ahnenbild, seine Königsburg und in der Burg der königliche Thron und der Name Tarquinius bestimmen und rufen dich zum Thron. 5 Oder fehlt es dir hierzu an Mut, was lässt du die Untertanen vergeblich hoffen? Warum zeigst du dich als Königssohn? Zieh dich zurück nach Tarquinii oder Korinth. Sinke wieder auf deinen Ursprung herab, der du deinem Bruder ähnlicher bist als deinem Vater! 6 Mit diesen und ähnlichen Vorwürfen setzte sie dem jungen Mann zu und konnte selbst sich nicht darüber beruhigen, wenn Tanaquil, eine Ausländerin, durch Geisteskraft es erzwungen habe, zweimal nacheinander den Thron, erst mit ihrem Mann, dann mit ihrem Schwiegersohn, besetzen zu können, und sie, eines Königs Tochter, auf Thronbesetzung oder Entthronung nicht den mindesten Ausschlag gäbe. 7 Von dieser weiblichen Wut gespornt, ging Tarquinius herum und schmeichelte besonders den Vätern aus den Geschlechtern vom zweiten Range. Er erinnerte sie an die Wohltat seines Vaters, bat sie, dafür erkenntlich zu sein, lockte die jungen Leute durch Geschenke an sich, verschaffte sich allenthalben teils durch große Versprechungen, teils durch Verleumdung des Königs einen Anhang. 8 Endlich, als ihm sein Plan zur Ausführung reif schien, stürmte er, von einer Schar Bewaffneter umgeben, auf den Markt, und nicht ohne allgemeine Bestürzung ließ er von hier aus, auf dem königlichen Stuhl vor dem Rathaus sitzend, durch einen Herold die Väter vor den König Tarquinius zum Rathaus fordern. 9 Sie versammelten sich sogleich, einige schon früher hierzu vorbereitet, andere aus Furcht, ihr Ausbleiben könnte ihnen nachteilig werden, von dem unerwarteten und unerhörten Auftritt erschüttert und schon der Meinung, dass es um Servius geschehen sei. 10 Hier fing Tarquinius an, indem er mit seinen Schmähungen von der Geburt des Servius ausholte, ein Sklave von einer Sklavin geboren, habe nach seines Vaters traurigem Tod, ohne den gewöhnlichen Eintritt einer Zwischenregierung, ohne angestellten Wahltag, ohne Stimmenwahl des Volkes, ohne Genehmigung der Väter, den Thron als ein Geschenk aus Frauenhand sich angeeignet. 11 So geboren, so zum König gewählt, habe er, als ein Gönner der niedrigsten Menschenklasse, aus welcher er selbst stamme, und aus Hass gegen einen Adel, den er selbst nicht habe, den vornehmen die Ländereien entrissen und sie unter die Niedrigsten verteilt. 12 Alle Lasten, die vorher gemeinschaftlich gewesen wären, habe er den Ersten des Staates aufgebürdet, habe die Schätzung eingeführt, um den Wohlstand der Reicheren dem Neid bloßzustellen und für sich einen Vorrat zu wissen, von dem er nach Belieben den Armen