Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.durch List und Verrat verloren.
2 Unter den römischen Jünglingen gab es mehrere, und zwar von höherem Rang, die unter der königlichen Regierung bei ihren Ausschweifungen mehr Freiheit gehabt und als Altersgenossen und Gesellschafter der jungen Tarquinier sich gewöhnt hatten, auf königlichem Fuß zu leben. 3 Jetzt, da alle gleiches Recht hatten, vermissten sie jene Ungebundenheit und führten unter sich darüber Klage, dass die Freiheit anderer für sie ein Sklavenleben geworden sei. Ein König sei doch ein menschliches Wesen; man könne auf ihn rechnen, möge es auf Recht oder Unrecht abgesehen sein; man könne sich bei ihm gelitten, ihn sich verbindlich machen; er könne zürnen und verzeihen und verstehe sich auf den Unterschied zwischen Freund und Feind. 4 Gesetze hingegen wären ein taubes, unerbittliches Ding, dem Hilflosen heilsamer und erfreulicher als dem Mächtigen; sie wüssten nichts von Erlass und Nachsicht, wenn man sich vergangen habe; es sei zu gewagt, wenn man, als Mensch so vielen Verirrungen ausgesetzt, sein Leben ganz der Unsträflichkeit zu verdanken haben wolle.
5 So missvergnügt waren sie schon durch eigene Stimmung, als von der königlichen Familie Gesandte dazu kamen, die, ohne eine Wiederaufnahme zu erwähnen, bloß die Herausgabe der Güter verlangten. Als sie ihr Begehren im Senat vorgebracht hatten, dauerte die Beratung darüber mehrere Tage, denn der Vorenthalt hätte ihnen einen Vorwand und die Verabfolgung Mittel und Hilfsquellen zum Krieg gegeben. 6 Unterdessen machten die Gesandten, der eine diesen, der andere jenen Versuch. Der Angabe nach bloß mit Betreibung der Rückgabe beschäftigt, schmiedeten sie insgeheim Pläne zur Wiedererlangung des Thrones, und während sie dem Schein nach bei den jungen Adligen der Sache wegen herumgingen, welche angeblich im Werke war, erforschten sie ihre Gesinnungen. 7 An die, bei denen ihre Rede Gehör fand, gaben sie Briefe von den Tarquiniern ab und besprachen sich mit ihnen, wie man die königliche Familie heimlich bei Nacht in die Stadt einlassen könne.
(4) Die Gebrüder Vitellius und Aquilius waren die ersten, denen sie die Sache anvertrauten. Eine Schwester der Vitellier war an den Konsul Brutus verheiratet, und aus dieser Ehe waren schon erwachsene Söhne da, Titus und Tiberius. Auch diese wurden von ihren Onkeln mit in den Anschlag gezogen, 2 und außer ihnen machten sie noch mehrere junge Adlige zu Mitwissern, deren Name bei der Länge der Zeit vergessen ist. 3 Da unterdessen im Senat die Meinung durchging, welche für die Auslieferung der Güter stimmte, und die Gesandten selbst diesen Vorwand ihres längeren Aufenthaltes in der Stadt angeben konnten, dass sie sich bei den Konsuln eine Frist genommen hätten, zur Fortschaffung der königlichen Sachen die nötigen Wagen zu besorgen, verwandten sie diese ganze Zeit zu Beratungen mit den Verschworenen und bewogen sie durch dringende Vorstellungen, ihnen einen Brief an die Tarquinier mitzugeben: 4 Wie würden diese sonst es glauben können, dass ihnen ihre Gesandten in einer so wichtigen Sache nicht vergebliche Hoffnung machten? Aber eben durch diesen, als Pfand der Gewissheit ihnen mitgegebenen Brief wurde die Sache entdeckt. 5 Denn als die Gesandten den Tag vor ihrer Abreise zu den Tarquiniern gerade bei den Vitelliern zu Abend gespeist hatten, und die Verschworenen nun ohne Zeugen über den neuen Plan, wie gewöhnlich, sich weiter ausließen, fing einer von den Sklaven, 6 der schon vorher gemerkt hatte, dass dies im Werke sei, ihre Reden auf, wartete aber den Zeitpunkt ab, bis den Gesandten der Brief eingehändigt würde, dessen man habhaft werden musste, um die Sache beweisen zu können. Sobald er merkte, dass dieser abgegeben war, machte er den Konsuln Anzeige. 7 Die Konsuln zogen zur Verhaftung der Gesandten und Verschworenen bloß mit einigen aus ihren Häusern hin, taten die ganze Sache ohne allen Auflauf ab und sorgten besonders dafür, den Brief nicht verloren gehen zu lassen. Die Verräter wurden sogleich in Fesseln gelegt, wegen der Gesandten war man einen Augenblick im Zweifel; und schienen sie es gleich verdient zu haben, als Feinde behandelt zu werden, so ließ man dennoch das Völkerrecht gelten.
(5) Nun kam die Frage wegen der königlichen Güter, deren Auslieferung man vorher zugestanden hatte, von Neuem vor die Väter. Im Zorn verboten sie die Rückgabe, verboten aber auch, sie für den öffentlichen Schatz einzuziehen. 2 Man überließ sie dem Volk zur Plünderung, welches eben dadurch, dass dieser an der königlichen Familie verübte Raub auf ihm haftete, auf immer die Hoffnung verlieren sollte, sich mit ihr auszusöhnen. Das Grundstück der Tarquinier zwischen der Stadt und dem Tiber hieß nachher, weil es dem Mars geweiht wurde, das Marsfeld. 3 Hier soll damals Getreide gestanden haben, das zur Ernte reif war; und weil man sich ein Gewissen gemacht habe, die Früchte dieses Feldes zu verbrauchen, habe man auf einmal eine Menge Leute hingeschickt, welche die mit dem Stroh abgeschnittene Saat in Körben in den Tiber schütten mussten, der, wie gewöhnlich im Hochsommer, sehr seicht floss; 4 und da sich noch so manches, was der Strom zufällig mit sich führt, hier absetzte, so sei daraus nach und nach die Insel entstanden. Nachher, glaube ich, tat man Felsstücke hinzu und kam mit Kunst zu Hilfe, so dass der Platz diese Höhe bekam und Festigkeit genug, sogar Tempel und Säulengänge zu tragen.
5 Auf die Plünderung der königlichen Güter folgte die Verurteilung und Hinrichtung der Verräter, die dadurch mehr in die Augen fiel, weil hier dem Vater sein Konsulat die Pflicht auferlegte, die Strafe an seinen Söhnen zu vollziehen, und das Schicksal eben den Mann, den man als Zuschauer hätte wegbringen müssen, dazu aufstellte, den Todesstreich zu gebieten. 6 Da standen sie, an einen Pfahl gebunden, Jünglinge von erstem Rang. Allein von den Übrigen wandten, als von unbekannten Personen, die Söhne des Konsuls aller Augen auf sich, und es jammerte die Leute sowohl ihre Bestrafung als auch die Untat, wodurch sie die Strafe verdient hatten. 7 Gerade in dem Jahr, in welchem das Vaterland befreit sei, hätten sie es gewagt, dies Vaterland, ihren Vater, den Befreier desselben, das Konsulat, das in ihrer Familie, der Junier, begann, Väter und Volk und alles, was in Rom Göttern und Menschen gehöre – dem ehemals so despotischen König, jetzt so erbitterten Vertriebenen, zu verraten. 8 Die Konsuln begaben sich auf ihre Richterstühle und sandten die Gerichtsdiener zur Vollziehung der Todesstrafe. Diese entkleideten sie, peitschten sie mit Ruten und enthaupteten sie, während die ganze Zeit hindurch der Vater, sein Antlitz und seine Blicke, den Augen aller ein Ziel waren und bei dem vom Staat ihm auferlegten Strafamt das Vaterherz sich deutlich offenbarte. 9 Nach Bestrafung der Schuldigen beschenkte man den Anzeiger mit einer Summe Geld aus der Schatzkammer, mit der Freiheit und dem Bürgerrecht, damit ein nach beiden Seiten hin glänzendes Beispiel gegeben würde, um von Verbrechen abzuhalten. Er soll der Erste gewesen sein, der vermittels der Vindicta (des Lösestabes) losgegeben wurde. 10 Einige glauben, auch die Benennung der Vindicta schreibe sich von ihm her, denn er habe Vindicus geheißen. Es wurde nach ihm so angenommen, dass alle, welche auf diese Art freigesprochen wurden, eben dadurch als unter die Bürger aufgenommen betrachtet wurden.
(6) Tarquinius hielt nunmehr auf die Nachricht von dem Verlauf dieser Begebenheit nicht bloß von Schmerz über die Vereitlung eines so wichtigen Planes, sondern auch von Hass und Zorn durchdrungen, da er seiner List den Zugang versperrt sah, den offenen Krieg für das einzige ihm übrige Mittel, und bereiste als bittender Flüchtling die Städte Etruriens. 2 Vorzüglich bat er hier die Vejenter und Tarquinier, sie möchten ihren Landsmann und Blutsverwandten, der jetzt in der Verbannung mit dem Mangel kämpfe, während er noch vor Kurzem ein so großes Reich beherrscht habe, nicht vor ihren Augen mit seinen erwachsenen Söhnen verschmachten lassen. Andere habe man nach Rom auf den Thron gerufen; er, der schon auf dem Thron saß und eben auf einem Feldzug Roms Oberherrschaft erweiterte, sei von seinen nächsten Verwandten durch schändliche Verschwörung vertrieben worden; 3 und weil kein Einziger unter ihnen des königlichen Thrones würdig sei, hätten sie die Regierung stückweise an sich gerissen und seine Güter, um an dem Verbrechen alle teilnehmen zu lassen, dem Volk preisgegeben. Er sei entschlossen, sein Vaterland, sein Reich wiederzuerobern und sich an seinen undankbaren Mitbürgern zu rächen. Sie möchten ihm beistehen, ihn unterstützen, möchten mitziehen, um für die ihnen zugefügten Kränkungen, für ihre so oft geschlagenen Heere, für den erlittenen Länderverlust sich zu rächen.
4 Auf die Vejenter wirkte dies. Laut drohend ließ sich jeder vernehmen, man müsse nun noch eher die Beschimpfungen zu tilgen und das verlorene durch Krieg wiederzuerobern suchen, da man einen Römer zum Anführer habe. Die Tarquinier bewog der Name und die Verwandtschaft; es schien ihnen ehrenvoll, wenn ihre Landsleute in Rom Könige wären. 5 So folgten zwei Heere zweier Städte dem Tarquinius, ihm seinen Thron wiederzuerobern und die Römer mit Krieg zu überziehen.
Als sie ins römische Gebiet einrückten, zogen die Konsuln dem Feind entgegen. 6 Valerius führte das Fußvolk in Schlachtordnung,