Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.der Belagerung und Hungersnot die Bürger in einer solchen Eintracht, dass der Name eines Königs den Vornehmen nicht verhasster war als den Niedrigsten, 8 sondern auch später erwarb sich kein einziger durch schlechte Mittel die Liebe des Volkes in so hohem Grad als damals der ganze Senat durch gute Regierung.
(10) Als die Feinde erschienen, wanderte alles vom Land in die Stadt. Eine Kette von Bewaffneten deckte die Stadt. Hier schienen die Mauern, dort der schützende Tiber Sicherheit genug zu gewähren. 2 Allein beinahe hätte die Balkenbrücke24 den Feinden den Weg gebahnt, wäre nicht ein einziger Mann gewesen, Horatius Cocles. Er war das Bollwerk, auf welchem an diesem Tag das Schicksal Roms beruhte. 3 Er gehörte zu der der Brücke gegebenen Bedeckung; und als er das Janiculum durch Überrumpelung erobert sah, sah, wie die Feinde von dort in vollem Lauf herabrannten und seine zitternde Schar in der Bestürzung Waffen und Glieder im Stich ließ, da zog er einen nach dem andern wieder zurück, trat ihnen in den Weg, beschwor sie bei Göttern und Menschen und bedeutete sie, sie flöhen vergeblich, wenn sie ihren Posten aufgäben. 4 Ließen sie die Brücke hinter sich zum Übergang, so würden der Feinde bald auf dem Palatium und Kapitol mehr sein als auf dem Janiculum. Er fordere sie auf und stehe dafür ein, sie möchten die Brücke mit Brecheisen, Feuer und jeder ihnen möglichen Gewalt zerstören. Er wolle den Angriff der Feinde, so viel ein Mann Widerstand leisten könne, aufhalten.
5 Er ging vorn auf den Eingang der Brücke zu, und schon dadurch ausgezeichnet, dass er allein den Feinden, die allen übrigen dem Gefecht Ausweichenden auf den Rücken sahen, die Waffen zum Kampf entgegentrug, setzte er sie durch das Wunderhafte seiner Kühnheit in Staunen. 6 Nur zwei der Seinen hielt das Schamgefühl bei ihm zurück, den Spurius Lartius und Titus Herminius, beide ausgezeichnet durch Abkunft und Tapferkeit. 7 Mit ihnen hielt er den ersten Sturm der Gefahr und den Andrang des Kampfgetümmels eine Zeitlang aus. Dann hieß er auch sie, als von der Brücke nur noch ein kleiner Teil übrig war, und die Abbrechenden sie herüberriefen, sich in Sicherheit begeben. 8 Drohend richtete er seine furchtbaren Blicke auf die Anführer der Etrusker. Bald forderte er sie einzeln heraus, bald schalt er sie alle. Knechte übermütiger Fürsten, kämen sie, ohne einen Gedanken an die eigene Freiheit, die der anderen zu gefährden. 9 Eine Weile zauderten sie, während einer den andern darauf ansah, wer zum Kampf sich einlassen wolle. Dann bewirkte das Ehrgefühl eine Bewegung durch die ganze Linie, und nach erhobenem Geschrei schossen sie von allen Seiten ihre Pfeile auf den einzigen Feind. 10 Sie blieben alle im vorgehaltenen Schild hängen, und noch behauptete er ebenso trotzig mit mächtigem Schritt die Brücke, da wollten sie eben durch einen Angriff den Helden hinabstoßen, als zu gleicher Zeit das Krachen der abgebrochenen Brücke und das Geschrei, welches die Römer aus Freude über ihr schnell vollbrachtes Werk erhoben, sie plötzlich stutzen und mit dem Angriff innehalten ließ. 11 Da sprach Cocles: Vater Tiberinus, ich rufe dich an mit frommem Glauben, nimm diese Waffen und diesen Krieger in deinem Strom gnädig auf! Und so sprang er in voller Rüstung in den Tiber und schwamm unter einer Menge über ihm zusammenfallender Pfeile wohlbehalten zu den Seinigen hinüber, nachdem er eine Tat vollführt hatte, die bei der Nachwelt mehr Bewunderung als Glauben finden sollte. 12 Der Staat war für eine so große Tapferkeit dankbar. Es wurde ihm ein Standbild auf dem Waffenplatz errichtet und so viel Land gegeben, als er in einem Tag mit dem Pfluge umpflügen konnte. 13 Unter diesen öffentlichen Ehrenbezeigungen machte sich auch die Dankbeflissenheit der Einzelnen bemerkbar. Denn bei dem großen Mangel entzog sich jeder nach Maßgabe seines häuslichen Vorrats einen Teil seiner Lebensmittel, um für ihn zusammenzulegen.
(11) Porsenna, der jetzt, da sein erster Angriff abgeschlagen war, von dem Plan, die Stadt zu erstürmen, zu ihrer Belagerung überging, legte in das Janiculum eine Besatzung und lagerte sich in der Ebene und an den Ufern des Tiber, nachdem er von allen Seiten Schiffe hatte kommen lassen, 2 teils zur Aufsicht, um der Stadt die Zufuhr an Getreide zu nehmen, teils um seine Soldaten, wenn sich Gelegenheit zur Beute fände, an mehreren Stellen über den Fluss zu setzen. 3 Und bald machte er das ganze römische Gebiet so unsicher, dass nicht allein alles Übrige vom Land, sondern auch alle Herden in die Stadt geschafft wurden und niemand es wagte, sie vor die Tore zu treiben. 4 Dass man den Etruskern einen so großen Spielraum gestattete, war nicht eine Folge der Furcht, sondern eines Planes. Denn der Konsul Valerius, der auf eine Gelegenheit wartete, viele zugleich in völliger Unordnung unvermutet zu überfallen, achtete nicht darauf, jede Kleinigkeit zu bestrafen und behielt sich desto nachdrücklichere Rache im Großen vor. 5 Um die Plünderer aus dem Lager zu locken, ließ er den Bügern bekannt machen, es möchten ihrer viele am folgenden Tag ihre Herden vor das Esquilinische Tor treiben, welches den Feinden das abgelegenste war. Er vermutete, dass sie dies erfahren würden, weil bei der Belagerung und Hungersnot untreue Sklaven zu ihnen übergingen. 6 Wirklich erfuhren sie es durch die Anzeige eines Überläufers und setzten, in der Hoffnung des Fanges im Ganzen, in weit größerer Anzahl über den Fluss. 7 Da ließ Publius Valerius den Titus Herminius an der Spitze einer mäßigen Streitmacht bei dem zweiten Meilenstein25 an der Heerstraße nach Gabii sich in einen Hinterhalt legen. Spurius Lartius musste mit einer schlagfertigen Mannschaft am Collinischen Tor halten, bis der Feind vorbeizöge, und sich dann ihm in den Weg werfen, um ihm die Rückkehr zum Fluss zu nehmen. 8 Der andere Konsul, Titus Lucretius, zog mit einigen Rotten aus dem Naevischen Tor, Valerius selbst rückte an der Spitze auserlesener Kohorten vom Hügel Caelius aus, und diese bekam der Feind zuerst zu Gesicht. 9 Sobald Herminius dies Getümmel vernahm, eilte er aus dem Hinterhalt herbei und fiel den gegen Valerius gewandten Etruskern in den Rücken. Zugleich erscholl zur Rechten und zur Linken, dort vom Collinischen, hier vom Naevischen Tor her Geschrei zum Angriff. 10 So wurden die Plünderer umringt und niedergehauen, da sie zur Gegenwehr nicht stark genug und zur Flucht alle Wege gesperrt waren. Seitdem hatten die regellosen Streifzüge der Etrusker ein Ende.
(12) Nichtsdestoweniger dauerte die Einschließung fort. Getreide war für die höchsten Preise kaum zu haben, und Porsenna hatte Hoffnung, durch bloßes Liegen vor der Stadt dieselbe zu erobern. 2 Diese vereitelte Caius Mucius, ein junger Mann von Adel, der es unwürdig fand, dass das römische Volk, das in der Dienstbarkeit unter Königen in keinem Krieg und von keinem Feind belagert worden war, sich jetzt als freies Volk von denselben Etruskern belagern lassen sollte, deren Heere es so oft geschlagen hatte. 3 Anfangs entschloss er sich, weil man sich nach seinem Gefühl durch irgendeine große und kühne Tat dieser Schande erwehren musste, ganz für sich mitten in das feindliche Lager zu gehen. 4 Weil er aber fürchtete, die römischen Wachen möchten ihn, wenn er ohne der Konsuln Erlaubnis und jemandes Vorwissen wegginge, vielleicht ergreifen und wie einen Überläufer zurückschleppen – auch machte ja die damalige Lage der Stadt eine solche Beschuldigung glaublich –, so ging er zum Senat. 5 Ihr Väter, sprach er, ich will über den Tiber und, wenn ich kann, mich ins feindliche Lager machen, nicht als Räuber, auch nicht, um ihnen die Plünderungen zu vergelten. Unter dem Beistand der Götter wage ich eine größere Tat. Die Väter gaben ihre Einwilligung. Er nahm einen Dolch unter seinen Mantel und machte sich auf. 6 Als er dort ankam, stellte er sich in den dichtesten Haufen nahe an den Königsstuhl. 7 Hier wurde eben den Soldaten der Sold ausgezahlt; ein Schreiber, der fast in gleichem Schmuck mit dem König dasaß, war sehr geschäftig, und die Soldaten wandten sich der Reihe nach an ihn. Mucius, der es bedenklich fand, zu fragen, wer von beiden Porsenna sei, weil ihn seine Unbekanntschaft mit dem König verraten hätte, überließ seine Hand der Führung des Schicksals und mordete statt des Königs den Schreiber. 8 Durch die Schar der Bestürzten sich den Weg mit dem blutigen Dolch bahnend, schritt er fort. Allein in dem auf das Geschrei entstandenen Zusammenlauf ergriffen ihn die königlichen Trabanten und brachten ihn zurück. Da stand er an den Stufen des königlichen Richterstuhls, auch jetzt noch, unter so harten Drohungen des Schicksals, mehr der Furchtbare als der Fürchtende. 9 Ich bin ein römischer Bürger, sprach er, und heiße Caius Mucius. Als Feind wollte ich einen Feind töten und habe zum Tod nicht weniger Mut, als ich zum Mord bewiesen. Einen Römer bezeichnen große Taten und große Leiden. 10 Und nicht ich allein hege solche Gesinnungen; hinter mir steht noch eine lange Reihe, die nach ebendieser Ehre ringen. Hast du Lust, so lass dich auf die Gefahr ein, mit jeder Stunde dein Leben aufs Spiel zu setzen; lass Dolch und Feind am Eingang deines Königszeltes lauern. 11 Wir, Roms Jünglinge, erklären dir diesen Krieg. Kein Heer, keine Schlacht hast du zu fürchten. Du allein wirst es, und immer nur mit einem, zu tun haben.
12 Als der König, zugleich von Zorn entbrannt und geschreckt durch die Gefahr, drohend