Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.sprach Mucius: 13 Sieh her und lerne, wie wertlos denen der Körper ist, die hohen Ruhm vor Augen haben, und streckte die rechte Hand in das auf einem Opferbecken lodernde Feuer. Als er sie hier mit einer Festigkeit, die aller Empfindung entsagt zu haben schien, verbrannte, sprang der König, außer sich über die unerhörte Tat, von seinem Sitz, ließ den Jüngling vom Opferfeuer wegreißen und sprach: 14 Du magst hingehen, der du feindseliger gegen dich selbst als gegen mich verfuhrst. Glück auf! Wollte ich deiner Tapferkeit zurufen, wenn diese Tapferkeit meinem Vaterland diente. Des Kriegsrechtes ledig entlasse ich dich jetzt unangetastet und unverletzt. 15 Da sprach Mucius, als wollte er für diese Großmut erkenntlich sein: Ich sehe, dass du Tapferkeit zu schätzen weißt. So sei dir denn für deine Wohltat entdeckt, was deinen Drohungen nicht gelang. Dreihundert von uns, die ersten Jünglinge Roms, haben sich verschworen, auf diese Art gegen dich vorzugehen. 16 Mein Los war das erste. Die Übrigen werden, so wie es sie trifft, solange das Schicksal dich bloßstellt, jeder zu seiner Zeit sich einstellen.
(13) Dem entlassenen Mucius, der nachher vom Verlust seiner rechten Hand den Zunamen Scaevola (Linkshänder) bekam, folgten Gesandte von Porsenna in die Stadt. 2 Die Wendung der ersten Gefahr, aus welcher ihn nichts als der Irrtum des Auflauernden gerettet hatte, und die Misslichkeit, der er sich so vielmal ausgesetzt sah, als noch verschworene da wären, hatten so stark auf ihn gewirkt, dass er den Römern Friedensbedingungen antragen ließ. 3 Er brachte, obgleich vergeblich, in den Verhandlungen die Wiedereinsetzung der Tarquinier zur Sprache, mehr, weil er es ihnen nicht hatte abschlagen können, als weil er nicht gewusst hätte, dass ihm dies die Römer nicht zugestehen würden. 4 Die Herausgabe des den Vejentern abgenommenen Landes wurde ihm bewilligt; und die Römer sahen sich durch die Not gedrungen, Geiseln zu geben, wenn sie wollten, dass er seine Besatzung aus dem Janiculum zöge. Als der Friede unter diesen Bedingungen geschlossen war, führte Porsenna sein Heer vom Janiculum ab und räumte das römische Gebiet.
5 Dem Mucius schenkten die Väter zum Lohne seiner Tapferkeit ein Stück Land jenseits des Tibers, welches nachher die Mucische Wiese hieß. 6 Durch diese dem Verdienst zuteil gewordene Ehre fühlte sich auch das weibliche Geschlecht aufgefordert, sich um den Staat verdient zu machen. Cloelia, eine von den Geiseln, eine Jungfrau, benutzte den Umstand, als das etruskische Lager nahe am Tiberufer war, hinterging die Wachen, schwamm, den übrigen Mädchen voran, unter den Pfeilen der Feinde durch den Tiber und brachte sie alle wohlbehalten nach Rom zu den Ihrigen. 7 Als dies dem König berichtet wurde, geriet er anfangs in Zorn und schickte Gesandte nach Rom, die Geisel Cloelia zurückzufordern; die anderen Mädchen wären ihm gleichgültig. 8 Bald aber erhob er, zur Vewunderung hingerissen, diese Tat über die eines Cocles und Mucius und sagte unverhohlen, so wie er den Frieden für gebrochen ansehen werde, wenn ihm die Geisel nicht ausgeliefert würde, so werde er die Zurückgegebene, ohne ihr ein Leid anzutun, den Ihrigen zurücksenden. Von beiden Seiten hielt man Wort. 9 Die Römer lieferten das Unterpfand des Friedens aus, und sie erntete von ihrem Mut bei dem etruskischen König nicht bloß Sicherheit, sondern auch Ehre. Er lobte das Mädchen, sagte, er mache ihr mit einem Teil der Geiseln ein Geschenk, und hieß sie unter den Jünglingen aussuchen, wen sie wolle. 10 Als sie ihr sämtlich vorgeführt wurden, soll sie lauter Minderjährige ausgewählt haben. So schickte sich’s für die jungfräuliche Ehre, und selbst die Geiseln mussten ihr einstimmig beipflichten, wenn sie gerade das Alter der feindlichen Willkür entzog, das am meisten Unbilden ausgesetzt war. 11 Nach wiederhergestelltem Frieden belohnten die Römer die an einer Jungfrau ungewöhnliche Tapferkeit mit einer außerordentlichen Ehrenbezeigung, mit einem Standbild zu Pferde. Oben auf der Höhe der Heiligen Straße stand eine Jungfrau zu Pferde.
(14) Mit diesem so friedfertigen Abzug des etruskischen Königs von Rom steht eine Sitte im Widerspruch, die von den Alten auf uns gekommen und noch jetzt immer beim Güterverkauf üblich ist, die Güter des Königs Porsenna feilzubieten. 2 Diese Sitte muss notwendig während des Krieges entstanden und im Frieden beibehalten worden sein, oder sie verdankt ihre Fortdauer einer freundlicheren Veranlassung, als der Ausdruck: Güter wie von einem Feind zu verkaufen, zu verraten scheint. 3 Unter den verschiedenen Angaben kommt folgende der Wahrheit am nächsten. Porsenna machte bei seinem Abzug vom Janiculum mit dem reichen Vorrat seines Lagers, welches er mit Zufuhr aus den nahen Gefilden Etruriens versorgt hatte, den Römern ein Geschenk, da gerade jetzt die Stadt durch die lange Einschließung Mangel litt. 4 Um nicht das Volk darüber herfallen und alles feindlich plündern zu lassen, verkaufte man die Vorräte unter dem Namen »Güter des Porsenna«, so dass also der Ausruf mehr ein erfreuliches Geschenk andeutete als eine Versteigerung der königlichen Güter, welche die Römer ohnehin nicht in ihrer Gewalt hatten.
5 Als Porsenna den Krieg mit den Römern aufgegeben hatte, schickte er seinen Sohn Arruns, um seinen Feldzug in diese Gegenden nicht für erfolglos ansehen zu lassen, mit einem Teil seines Heeres zu einem Angriff gegen die Stadt Aricia ab. 6 Das Unerwartete setzte die Ariciner anfangs in Schrecken. Bald aber gaben ihnen die Hilfstruppen, die sie von den Völkerschaften Latiums und aus Cumae an sich zogen, Mut genug, sich auf eine Schlacht einzulassen. Als die Schlacht begann, brachen die Etrusker mit solchem Ungestüm los, dass sie gleich beim ersten Angriff die Ariciner schlugen. 7 Allein die Kohorten von Cumae, die gegen die Übermacht eine List anwendeten, zogen sich ein wenig seitwärts, machten eine kleine Schwenkung und griffen die vor ihnen vorbeistürmenden Feinde im Rücken an. So wurden die Etrusker, die den Sieg beinahe in Händen hatten, umzingelt und niedergehauen. 8 Nur sehr wenige retteten sich mit Verlust ihres Feldherrn und ihrer Waffen, weil sie keinen näheren Zufluchtsort hatten, nach Rom, in einem Aufzug, der auf Mitleid so viel Anspruch machte wie ihre Lage selbst. Hier wurden sie freundlich aufgenommen und in die Häuser verteilt. 9 Als sie von ihren Wunden geheilt waren, gingen einige nach Hause und rühmten die gastfreundschaftliche Verpflegung; viele hielt die Liebe zu ihren Wirten und zu der Stadt in Rom zurück. Man wies ihnen Wohnplätze an, die man später das Etruskische Quartier nannte.
(15) Hierauf wurden Marcus Horatius und Publius Valerius Publicola, nach ihnen Spurius Lartius und Titus Herminius zu Konsuln gewählt. In diesem Jahre kamen zum letzten Mal Gesandte von Porsenna, die Wiedereinsetzung des Tarquinius auf den Thron zu bewirken. Man gab ihnen zur Antwort, der Senat werde an den König Gesandte schicken, und sogleich gingen die angesehensten der Senatoren zu ihm ab. Sie sagten: 2 Der Grund, warum man lieber eine Gesandtschaft an ihn aus den Senatoren abgesendet als seinen Gesandten zu Rom eine Antwort erteilt habe, sei nicht der, dass man sich nicht in aller Kürze habe erklären können, man nehme die königliche Familie nie wieder auf, sondern der, die Erwähnung dieses Punktes auf immer zu beendigen und bei so großen gegenseitigen Beweisen des Wohlwollens nicht dadurch von beiden Seiten neue Misshelligkeiten hervorzurufen, wenn der König etwas verlangte, was gegen die Freiheit des römischen Volkes sei; und die Römer, wollten sie nicht zu ihrem Verderben die Gefälligen sein, dem etwas abschlagen müssten, dem sie nie etwas abzuschlagen wünschten. 3 Das römische Volk könne nie unter Königen, sondern nur in der Freiheit leben. Sie hätten einmal ihren Sinn darauf gesetzt, lieber den Feinden als der königlichen Familie die Tore zu öffnen, und ein Gemeingeist spräche aus allen, der letzte Tag für die Freiheit ihrer Stadt solle auch für die Stadt der letzte sein. 4 Wünsche er also Roms Erhaltung, so bäten sie ihn, ihnen auch die Freiheit zu lassen.
5 Von Achtung überwältigt, erwiderte der König: Wenn denn dies so fest und unwandelbar beschlossen ist, so will ich weder euch mit Wiederholung desselben vergeblichen Antrages beschwerlich fallen, noch die Tarquinier mit der Hoffnung auf Hilfe täuschen, die ich nicht leisten kann. Lassen wir sie ihre Verbannung, sie mögen Krieg oder Ruhe geratener finden, nach einem andern Ort mitnehmen, damit mein Friede mit euch keine Störung leide. An diese 6 Äußerungen schlossen sich noch freundschaftlichere Handlungen. Die noch übrigen Geiseln lieferte er aus; das Stück vom Vejenterland, das ihm durch den Vergleich beim Janiculum abgetreten worden war, gab er zurück.
7 Tarquinius, der alle Hoffnung auf eine Rückkehr gescheitert sah, flüchtete sich zu seinem Schwiegersohn Octavius Mamilius nach Tuskulum. So war der Friede zwischen Rom und Porsenna befestigt.
(16) Konsuln wurden jetzt Marcus Valerius und Publius Postumius. In diesem Jahr erfocht man einen Sieg über die Sabiner; die Konsuln hielten einen Triumph. Darauf rüsteten sich die Sabiner mit größerer Anstrengung. 2 Gegen sie, und zugleich, um einem plötzlichen Krieg von Tuskulum zu begegnen – denn war gleich der Krieg von dorther noch nicht erklärt,