Römische Geschichte. Livius Titus

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Römische Geschichte - Livius Titus


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allein den Bürgern war der Mut gewachsen, und sie gingen auf einem ganz andern Weg zu Werke, als den sie zuerst eingeschlagen hatten. 8 Da sie die Hilfe der Konsuln und des Senates aufgeben mussten, liefen sie, sobald sie einen Schuldner vor Gericht führen sahen, von allen Seiten herbei und tobten und schrien so laut, dass man ebenso wenig den Ausspruch des Konsuls hören, als, wenn er ihn getan hatte, ihn befolgen konnte. 9 Man verfuhr mit Gewalt, und stattdessen, dass vorher Furcht und Freiheitsgefahr auf Seiten der Schuldner war, traf dies jetzt die Gläubiger, die als Einzelne von mehreren sogar vor des Konsuls Augen misshandelt wurden.

      10 Nun kam noch die Furcht vor einem Sabinerkriege hinzu; und als eine Werbung befohlen wurde, gab niemand seinen Namen an, worüber Appius in Wut geriet und den Ehrgeiz seines Amtsgenossen ausschalt, der, dem Volk zu gefallen stumm, am Staat zum Verräter werde, und nach Unterlassung der Gerichtspflege in den Schuldklagen jetzt so weit gehe, dass er nicht einmal dem Senatsbefehl gehorsam eine Werbung halte. 11 Dennoch sei der Staat noch nicht durchaus verlassen; die Macht eines Konsuls noch nicht gestürzt. Er allein werde seine und der Väter Würde zu behaupten wissen. 12 Und da ihn täglich die immer dreister werdende Menge umstand, ließ er einen der lautesten Aufrührer greifen. Schon schleppten die Gerichtsdiener ihn fort, da sprach er das Volk an; aber Appius würde auch auf die Ansprache keine Rücksicht genommen haben, weil des Volkes Urteil leicht vorauszusehen war, hätten nicht endlich mehr die Ersten der Väter durch ihre Verwendung und Ansehen als das Geschrei des Volkes seinen Starrsinn mit vieler Mühe besiegt: So hohen Mut hatte er, den Hass zu ertragen. 13 Nun nahm das Übel täglich zu, nicht nur durch das öffentlich getriebene Geschrei, sondern auch durch Versammlungen in Winkeln und geheime Verabredungen, was weit verderblicher war. Endlich legten die den Bürgern verhassten Konsuln ihr Amt nieder, Servilius bei keiner Partei beliebt, Appius bei den Vätern in hohem Grade.

      (28) Nach ihnen traten Aulus Verginius und Titus Vetusius das Konsulat an. Jetzt war das Volk ganz ungewiss, was für Konsuln sie an ihnen haben würden; sie hielten nächtliche Zusammenkünfte, teils auf dem Esquilinischen Hügel, teils auf dem Aventin, um weder auf dem Markt über ihre Entschließungen in Verlegenheit zu geraten, noch in allen Stücken blindlings und auf gut Glück zu verfahren. 2 Die Konsuln, welche die Sache für das, was sie war, für verderblich hielten, brachten sie vor den Senat; allein die Stimmen der Reihe nach über ihren Antrag abzuhören, war ihnen nicht möglich, so lärmend erklärten die Väter durch Geschrei von allen Seiten ihren Unwillen, wenn die Konsuln die gehässige Verantwortung einer Sache, die sie vermöge konsularischer Gewalt hätten erledigen sollen, auf den Senat wälzen wollten. 3 Stünden noch Obrigkeiten an der Spitze des Staates, so würde wahrlich in Rom außer der öffentlich berufenen keine Zusammenkunft stattgefunden haben. Jetzt sei der Staat, da es Zusammenkünfte auf dem Esquilin und wieder andere auf dem Aventin gebe, in unzählige Rathäuser und Versammlungen zerrissen und zerstückelt. 4 Wahrhaftig, ein einziger Mann – denn dies sage mehr als Konsul ‒, wie man ihn in Appius Claudius gesehen habe, hätte sofort jene Rotten auseinandergesprengt. 5 Als die so gescholtenen Konsuln anfragten, was sie denn tun sollten (denn sie wollten in keinem Stück lässiger oder nachgiebiger verfahren, als es die Väter verlangten), beschloss man, sie sollten mit möglichster Strenge eine Werbung halten; der Übermut des Volkes sei nur eine Folge der Ruhe.

      6 Nach Entlassung des Senates bestiegen die Konsuln das Tribunal und riefen die Dienstfähigen namentlich auf. Niemand antwortete auf seinen Namen, und die gleich einer Versammlung sie umströmende Menge rief, länger lasse sich der Bürger nicht hinters Licht führen. 7 Nie sollten sie einen Soldaten haben, wenn das Wort des Staates nicht gehalten würde. Zuvor müssten sie jedem Einzelnen seine Freiheit wiedergeben, ehe sie ihm die Waffen gäben, damit er für ein Vaterland und für Mitbürger zu kämpfen habe und nicht für Gebieter.

      8 Die Konsuln sahen freilich, was ihnen vom Senat aufgetragen war, sahen aber auch von denen, die innerhalb der vier Wände des Rathauses so trotzig geredet hatten, nicht einen sich einfinden, um den Hass mit ihnen zu teilen, und offenbar sah man einem heftigen Kampf mit dem Volk entgegen. 9 Ehe sie also das Äußerste wagten, wollten sie lieber den Senat noch einmal befragen. Noch zudringlicher umringten jetzt fast alle jüngeren Väter die Sessel der Konsuln und forderten sie auf, vom Konsulat abzutreten und eine Gewalt niederzulegen, zu deren Behauptung es ihnen an Mut fehle.

      (29) Als die Konsuln so mit der Stimmung auf beiden Seiten sich gehörig bekannt gemacht hatten, erklärten sie endlich: Sagt nicht, ihr versammelten Väter, wir hätten euch nicht gewarnt; ein großer Aufruhr droht auszubrechen. Wir verlangen, dass diejenigen, welche uns der Feigheit am lautesten beschuldigen, bei der vorzunehmenden Werbung uns beistehen. Wir wollen in der Sache, wenn es doch einmal so sein soll, nach dem Gutachten der Entschiedensten verfahren.

      2 Sie gingen wieder auf den Richterstuhl und ließen geflissentlich einen von denen beim Namen auffordern, die ihnen zunächst vor Augen waren. Er stand und schwieg; einige andere stellten sich im Kreise um ihn, falls er angegriffen würde, und als die Konsuln einen Gerichtsdiener hingehen ließen, trieb man diesen zurück. 3 Die Väter, welche Beisitzer der Konsuln waren, riefen, das sei unerhört, und liefen vom Richterstuhl herab dem Diener zu Hilfe. 4 Hatte man den Häscher bloß abgehalten, jenen zu greifen, so griff man nun die Väter wirklich an, und die Konsuln machten der Schlägerei, in welcher es übrigens ohne Steine und ohne Waffen mehr Geschrei und Erbitterung als Tätlichkeiten gab, durch ihr Dazwischentreten ein Ende.

      5 Nicht ohne Unordnung wurde der Senat berufen, mit noch größerer aber befragt, weil diejenigen, welche Schläge davongetragen hatten, auf eine Untersuchung drangen, und die Ungestümen alle nicht nur durch abgegebene Stimme, sondern auch mit Geschrei und Lärm den Befehl dazu verlangten. 6 Als endlich auf die Bemerkung der Konsuln, dass die Vernunft ihren Sitz ebenso wenig auf dem Rathaus als auf dem Markt habe, jene Hitze sich legte, schritt man zur ordentlichen Stimmensammlung, 7 und es gab drei Meinungen.

      Publius Verginius machte eine Einschränkung und riet, sich nur auf diejenigen einzulassen, die auf das Ehrenwort des Konsuls Publius Servilius im Volsker-, Aurunker- und Sabinerkriege gedient hätten; 8 Titus Larcius, es sei jetzt nicht an der Zeit, bloß Verdienste zu belohnen. Der ganze Bürgerstand stecke tief in Schulden, und keine Rettung sei möglich, wenn nicht allen geholfen würde. Im Gegenteil, wenn man den einen anders behandeln wolle als den andern, so würde die Zwietracht mehr entzündet als gedämpft werden. 9 Appius Claudius, von Natur rau und jetzt teils durch seinen Hass im Volk, teils durch die Lobsprüche der Väter noch mehr überspannt, sagte, nicht das Elend im Volk habe diese großen Unruhen erregt, sondern seine Straflosigkeit. Es sei mehr ausgelassen als aufgebracht. 10 Das ganze Übel habe lediglich seinen Grund in der freistehenden Ansprache. Die Konsuln könnten bloß drohen, nicht befehlen, solange noch eine Ansprache an Mitschuldige stattfinde. 11 Geschwind lasst uns, fuhr er fort, einen Diktator wählen, von welchem sich niemand mit einer Ansprache an das Volk wenden darf. Augenblicklich wird diese Wut, die jetzt alles in Flammen setzt, verstummen. 12 Dann schlage mir einmal einer den Häscher zurück, wenn er weiß, dass sein Leben und Tod in der Hand des einen steht, an dessen Majestät er sich vergriff.

      (30) Vielen erschien die Meinung des Appius, wie sie in der Tat war, grässlich und entsetzlich, die des Verginius und Larcius hingegen hielten sie des Beispiels wegen für schädlich, namentlich die des Larcius, weil sie allen Kredit aufhebe. Am meisten schien Verginius mit seinem Vorschlag den Mittelweg und zwischen beiden das Maß zu treffen. 2 Allein Parteigeist und die Rücksicht auf den eigenen Vorteil, die den Beratungen für das Ganze immer nachteilig waren und sein werden, gaben dem Appius den Sieg, und beinahe wäre er selbst zum Diktator ernannt worden. 3 Dies hätte vollends, gerade in der gefährlichsten Lage, da Volsker, Aequer und Sabiner alle zugleich in den Waffen waren, die Bürger erbittert. 4 Doch die Konsuln und die älteren Väter sorgten dafür, dass eine Gewalt, die ihrer Eigenheit nach streng genug war, in milde Hände kam. 5 Sie wählten zum Diktator den Manius Valerius, den Sohn des Volesus. Obgleich die Bürger sahen, dass man den Diktator gegen sie gewählt habe, fürchteten sie doch von dieser Familie, da sie das Gesetz über die Ansprache seinem eigenen Bruder zu verdanken hatten, keine Beleidigung und keine Härte. 6 Hierin bestärkte sie die Verordnung, die der Diktator ergehen ließ, die freilich mit der des Konsuls Servilius fast gleichlautend war, allein sie hielten sich zu größerem Vertrauen zu dem Mann und zu dem Amt berechtigt, gaben den Streit auf und ließen sich einschreiben. 7 Ein Heer von zehn Legionen, wie


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