Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.stimmt man nicht überein. 3 Einige behaupten, man habe auf dem Heiligen Berg nur zwei Tribunen gewählt, und dort sei auch das Heilige Gesetz30 gegeben worden.
Während der Auswanderung des Volkes hatten Spurius Cassius und Postumus Cominius das Konsulat angetreten. 4 Unter diesen Konsuln wurde mit den Völkerschaften Latiums ein Bündnis geschlossen. Zur Vollziehung desselben blieb der eine Konsul in Rom. Der andere, der in den volskischen Krieg geschickt wurde, errang einen Sieg über die Volsker von Antium, verfolgte die Geschlagenen in die Stadt Longula und eroberte diese. 5 Darauf nahm er Polusca, gleichfalls eine Stadt der Volsker; dann griff er mit großem Nachdruck Corioli an.
Zu den vornehmsten Jünglingen, die damals im römischen Lager dienten, gehörte Cnaeus Marcius, ein junger Mann voll Geistesgegenwart und Tatkraft, derselbe, der nachher den Beinamen Coriolanus hatte. 6 Das römische Heer, welches Corioli belagerte und ohne alle Besorgnis vor einem Angriff von außen sein ganzes Augenmerk auf die in der Stadt eingeschlossenen Feinde gerichtet hatte, sah sich plötzlich von einem aus Antium aufgebrochenen Volskerheer in demselben Augenblick angegriffen, als die Belagerten einen Ausfall machten, gegen welche gerade Marcius mit seinem Posten stand. 7 Mit seinen Auserlesenen schlug er nicht bloß den Ausfall zurück, sondern kühn drang er in das offene Tor, erfüllte die vordere Gegend der Stadt mit Mord und warf das Feuer, dessen er zufällig habhaft wurde, in die der Mauer nächsten Häuser. 8 Das bei einem solchen Schrecken gewöhnliche Geschrei der Einwohner, vom Geheul der Frauen und Kinder begleitet, erhöhte schon durch seinen Ausbruch den Mut der Römer und machte die Volsker bestürzt, weil sie die Stadt, zu deren Hilfe sie gekommen waren, für erobert hielten. 9 So wurden die Volsker von Antium geschlagen und die Stadt Corioli erobert. Und Marcius stellte durch seinen Ruhm den Namen des Konsuls so sehr in Schatten, dass es jetzt vergessen sein würde, dass gerade Postumus Cominius im Volskerkrieg Anführer gewesen sei, wäre uns nicht durch das auf einer ehernen Säule eingegrabene Bündnis mit den Latinern der Umstand aufbehalten, dass Spurius Cassius allein in Abwesenheit seines Mitkonsuls dies Bündnis geschlossen habe.
10 In demselben Jahr starb Menenius Agrippa, ein Mann, der während seines ganzen Lebens bei den Vätern und der Bürgerschaft gleich beliebt war, aber nach dem Auszug der Bürger diesen noch lieber. 11 Und er, der Vermittler und Stifter der bürgerlichen Eintracht, der Abgesandte der Väter an das Volk, der Wiederbringer des römischen Volkes in die Stadt, hinterließ nichts, wovon er hätte bestattet werden können. Die Bürger trugen die Kosten seiner Bestattung, zu denen jeder einen kleinen Geldbeitrag leistete.
(34) Darauf wurden Titus Geganius und Publius Minucius Konsuln. In diesem Jahre traf den Staat, als man rings von auswärtigen Kriegen Ruhe hatte und im Inneren der Zwiespalt beseitigt war, ein anderes weit größeres Übel; 2 zuerst Teuerung der Lebensmittel, weil während der Auswanderung der Bürger das Land unbestellt geblieben war, dann eine Hungersnot, wie sie nur in einer belagerten Stadt sein kann. 3 Die Sklaven vollends und die niedrige Klasse wären zugrunde gegangen, wenn nicht die Konsuln Vorkehrungen getroffen und nach allen Seiten ausgeschickt hätten, Getreide aufzukaufen, nicht nur nach Etrurien längs der Küste rechts von Ostia und durch das Volskerland links am Meer hinab bis Cumae, sondern sogar in Sizilien ließen sie nachfragen; so sehr wurden sie durch den Hass der Nachbarn genötigt, auf entfernte Hilfe Anspruch zu machen. 4 Zu Cumae nahm die Schiffe mit dem aufgekauften Getreide der dortige Zwingherr Aristodemus31 in Beschlag, zum Ersatz für das Vermögen der Tarquinier, deren Erbe er war. Im Volskischen und Pomptinischen wurde nicht einmal der Kauf gestattet; ja die Käufer selbst liefen Gefahr, öffentlich misshandelt zu werden. 5 Nur aus Etrurien kam Getreide auf dem Tiber, mit dem man die Bürger hinhielt.
Sie wären bei dieser gesperrten Zufuhr sehr zur Unzeit von einem Krieg heimgesucht worden, wäre nicht unter den Volskern, eben als sie sich rüsteten, eine heftige Pest ausgebrochen. 6 Dieses Unglück machte die Feinde kleinmütig; und um sie auch dann, wenn es aufhörte, durch Vorkehrung einigermaßen in Furcht zu erhalten, verstärkten die Römer die Anzahl ihrer Siedler zu Velitrae und setzten sich durch eine neue auf die Gebirge von Norba geschickte Kolonie in den Besitz einer Höhe, welche das Pomptinische beherrschen konnte.
7 Unter den folgenden Konsuln Marcus Minucius und Aulus Sempronius kam ein großer Vorrat Getreide aus Sizilien an, und im Senat verhandelte man darüber, zu welchem Preis es den Bürgern gelassen werden sollte. 8 Viele glaubten, nun sei es Zeit, den Bürgerstand zu demütigen und sich wieder in die Rechte einzusetzen, welche den Vätern durch Auswanderung mit Gewalt entwunden worden waren; vor allen Marcius Coriolanus, ein Feind der tribunizischen Macht: 9 Wollen sie den alten Getreidepreis, sagte er, so mögen sie den Vätern ihre vorigen Rechte wiedergeben, warum muss ich Obrigkeiten aus dem Bürgerstand sehen, warum einen gebietenden Sicinius als ein Gefangener sehen, den man unter dem Galgen durchtreibt, und gleich als von Straßenräubern nur um Lösegeld entlassen? 10 Diese Unwürdigkeiten sollte ich länger ertragen als nötig ist? In Tarquinius hätte ich den König nicht geduldet und sollte ihn in Sicinius dulden? Jetzt mag er hinziehen und mag das Volk entführen! Der Weg zum Heiligen Berg und zu anderen Hügeln steht offen. 11 Lasst sie doch das Korn auf unsern Feldern rauben, wie sie es vor drei Jahren geraubt haben. Mögen sie nun den Getreidepreis haben, den sie sich durch ihre Wut verursacht haben. Ich möchte dafür einstehen, dass sie, durch diese Not gedemütigt, lieber selbst zur Bestellung der Felder Hand anlegen werden, als dass sie wieder durch einen Auszug unter den Waffen die Bestellung hindern sollten.
12 Darüber zu entscheiden, ob man dies habe tun sollen, finde ich nicht so leicht, als ich die Möglichkeit wahrscheinlich finde, dass die Väter unter der Bedingung wohlfeilerer Preise sich der tribunizischen Gewalt und aller ihnen aufgedrungenen Verpflichtungen hätten entledigen können.
(35) Auch dem Senat schien diese Meinung zu hart, und die Bürger hätte sie beinahe vor Erbitterung unter die Waffen gebracht. Nun greife man sie gleich Feinden sogar durch Hunger an; Brot und Speise würden ihnen vorenthalten. Das fremde Getreide, dies einzige Nahrungsmittel, das man gegen alle Erwartung dem Glück zu danken habe, solle ihnen vor dem Munde weggerissen werden, wenn nicht die Tribunen dem Cnaeus Marcius gebunden überliefert würden, wenn er sich nicht Genugtuung auf dem Rücken römischer Bürger verschaffen solle. Er sei als ihr neuer Henker aufgetreten, der ihnen nur zwischen Tod und Knechtschaft die Wahl lasse.
2 Sie hätten ihn, als er aus dem Rathaus trat, angegriffen, wenn nicht gerade jetzt die Tribunen Anklage gegen ihn erhoben hätten. Dadurch legte sich der Zorn. Jeder sah sich zum Richter seines Feindes, sich über dessen Leben und Tod zum Herrn gemacht.
3 Anfangs hörte Marcius die Drohungen der Tribunen mit Verachtung an. Ihrem Amt, sagte er, sei das Recht des Beistandes verliehen, aber nicht das der Strafe; und sie wären Tribunen der Bürger, nicht der Väter. 4 Allein die Bürger erhoben sich mit so großer Erbitterung, dass die Väter nur durch die Bestrafung des einen sich retten konnten. Gleichwohl leisteten sie Widerstand, so sehr sie sich auch dadurch dem Hass aussetzten, und gebrauchten bald den eigenen, bald des ganzen Standes Einfluss. Und zuerst machten sie den Versuch, die ganze Klage dadurch zu hintertreiben, dass sie durch angestellte Klienten diesen und jenen bereden ließen, den Zusammenkünften und Versammlungen der Bürger fernzubleiben. 5 Dann traten sie alle auf – man hätte die Väter sämtlich für die Angeklagten halten sollen – und baten das Volk flehentlich, ihnen zuliebe nur dies eine Mal einem Bürger, einem Ratsherrn, wenn sie ihn nicht für unschuldig erklären wollten, seine verdiente Strafe zu schenken.
6 Als er an dem bestimmten Tag nicht erschien, dauerte die Erbitterung fort. Er wurde abwesend verurteilt und ging zu den Volskern in die Verbannung, nicht ohne Drohungen gegen sein Vaterland und schon jetzt von feindlichem Trotz erfüllt. Die Volsker nahmen den Fremdling freundlich auf, und diese Güte stieg mit jedem Tage, je lauter aus ihm der Zorn gegen seine Mitbürger sprach, und je öfter er bald in Klagen, bald in Drohungen ausbrach. 7 Er genoss das Gastrecht bei Attius Tullus. Dieser war damals bei Weitem der angesehenste Mann unter den Volskern und von jeher der Römer bitterer Feind. Da also den einen der alte Hass, den andern die neue Erbitterung spornte, entwarfen sie gemeinschaftlich einen Plan zum Krieg mit Rom. 8 Ihre Mitbürger aber dahin zu bringen, dass sie die so oft zu ihrem Schaden versuchten Waffen abermals ergriffen, hielten sie für nicht leicht. Bei dem wiederholten Verlust ihrer Mannschaft in den vielen Kriegen und neulich noch in der Pest hätten sie den Mut verloren. Bei diesem durch das Alter erschöpften Hass müsse