Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.Gerade schickte man sich in Rom dazu an, die Großen Spiele noch einmal zu geben. Die Veranlassung, sie zu wiederholen, war folgende: Am Festtag der Spiele hatte ein Hausvater frühmorgens, ehe das Schauspiel begann, seinen Sklaven unter dem Schultergalgen durchgeprügelt und mitten durch die Rennbahn vor sich hergetrieben. Und nun ließ man die Spiele ihren Anfang nehmen, ohne diesen Vorfall mit der heiligen Feier in Bezug zu setzen. 2 Bald nachher hatte Titius Latinius, ein Mann aus dem Bürgerstand, einen Traum. Jupiter erschien ihm und sagte, die Eröffnung seiner Spiele durch diesen Vortänzer habe ihm sehr missfallen. Würden die Spiele nicht mit aller Pracht erneuert, so sei die Stadt in Gefahr. Er möchte hingehen und es den Konsuln anzeigen. 3 Der Mann blieb allerdings nicht ganz ohne eine fromme Ängstlichkeit, doch siegte die Achtung vor seiner höchsten Obrigkeit über seine Furcht, und wer macht sich gern im Mund der Leute zum Gespött? 4 Dieses Zaudern kam ihm teuer zu stehen. Binnen wenigen Tagen verlor er seinen Lohn. Und damit ihm die Ursache des plötzlichen Todesfalles nicht zweifelhaft bliebe, erschien dem Betrübten dieselbe Gestalt abermals im Traum und fragte ihn, ob er für seine Verachtung des göttlichen Befehls genug gestraft sei. Er habe noch mehr zu erwarten, wenn er nicht eilends ginge und es den Konsuln meldete. 5 Jetzt war es ihm nähergelegt. Als er dennoch zauderte und die Sache verschob, befiel ihn eine heftige Krankheit und plötzliche Lähmung. 6 Da wurde ihm endlich die göttliche Ungnade zu sprechend. Den schon erduldeten und noch bevorstehenden Leiden erliegend, berief er einen Familienrat, erzählte, was er gesehen und gehört habe, wie Jupiter ihm so oft im Traum erschienen sei, und wie in seinen Schicksalen die Drohungen und der Zorn des Himmels in Erfüllung gegangen seien, und er wurde nach der unzweifelhaften Übereinstimmung aller Anwesenden in einer Sänfte auf den Markt vor die Konsuln gebracht. 7 Als er von hier auf Befehl der Konsuln ins Rathaus getragen war und zum großen Erstaunen aller Väter dieselben Umstände erzählt hatte – siehe, da ereignete sich ein neues Wunder. 8 Derselbe Mensch, der an allen Gliedern gelähmt ins Rathaus getragen war, ging, wie die Sage berichtet, sobald er sich seines Auftrages entledigt hatte, auf seinen eigenen Füßen nach Hause.
(37) Der Senat befahl, die Spiele mit größter Pracht zu feiern. Zu dieser Festlichkeit fand sich, da ihnen Attius Tullus mit seinem Beispiel voranging, eine große Menge Volsker ein. 2 Ehe die Spiele begannen, ging Tullus, so hatte er es zu Hause mit Marcius verabredet, zu den Konsuln und sagte, er wünsche mit ihnen über Staatsangelegenheiten allein zu sprechen. Alle Zeugen wurden entfernt, und er begann: 3 Ungern sage ich von meinen Mitbürgern etwas, was nicht so sein sollte. Doch komme ich nicht, sie einer begangenen Tat zu beschuldigen, sondern um zu verhüten, dass sie dieselbe begehen. 4 Der unserm Volke eigene Leichtsinn ist weit größer als mir lieb ist. 5 Unsere vielen Niederlagen haben uns dies fühlbar gemacht, und wenn wir noch als Staat dastehen, so ist dies nicht nur unser Verdienst, sondern auch eure Nachsicht. Es ist jetzt eine große Menge Volsker hier. Es sind Spiele. Die Einwohner werden als Zuschauer ihren Blick nur dahin richten. 6 Ich erinnere mich an das, was junge Sabiner bei gleicher Gelegenheit hier in der Stadt verübten. Mich schaudert vor jedem Schritt der Unbesonnenheit und Verwegenheit. Ich glaubte, unsret- und euretwegen euch, ihr Konsuln, hierauf aufmerksam machen zu müssen. 7 Was mich betrifft, so bin ich willens, sogleich von hier nach Hause zu gehen, um aller kränkenden Teilnahme an dem, was etwa mündlich oder tätlich vorfallen könnte, meine Person zu entziehen. So sprach er und reiste ab.
8 Als die Konsuln die zweifelhafte Sache, die sie aus dem Mund eines zuverlässigen Mannes hatten, dem Senate berichteten, fand man sich, wie so oft, mehr durch den Gewährsmann als durch die Sache selbst zu Vorkehrungen veranlasst, selbst wenn sie unnötig sein sollten. Vermöge eines Senatsbefehls, dass die Volsker die Stadt räumen sollten, wurden Herolde ausgeschickt, die es ausriefen, sie sollten alle noch vor Nacht abreisen. 9 Anfangs liefen sie in großer Bestürzung auseinander, um aus ihren Quartieren ihre Sachen mitzunehmen. Allein unterwegs sagten sie im Ausbruch des Unwillens, man habe sie von Spielen, von den Tagen einer Feier, zu der sich gewissermaßen Götter und Menschen zusammenfänden, wie eine Bande Verbrecher und Unreiner weggetrieben.
(38) Als sie in einem fast ununterbrochenen Zug wanderten, nahm Tullus, der bis zur Ferentinischen Quelle vorangegangen war, die Vornehmsten, sowie sie ankamen, in Empfang, und unter den Äußerungen seines Bedauerns und Unwillens führte er sowohl sie selbst, während sie seinen Worten, die ihrem Groll entsprachen, emsig zuhörten, als auch die ganze übrige Menge auf eine an der Straße liegende Ebene. 2 Hier begann er eine Rede, als spräche er zu einer Volksversammlung: Wenn ihr auch alles Übrige, die alten Kränkungen vom römischen Volk, die Niederlagen des Volskerstammes vergesst, mit was für Empfindungen, so möchte ich fragen, nehmt ihr die heutige Schmach zu Herzen, dass sie ihre Spiele mit eurer Beschimpfung eröffneten? 3 Habt ihr nicht gefühlt, dass heute über euch Triumph gehalten wurde? Dass ihr mit eurem Abzug allen Menschen, Bürgern, Fremden, so vielen benachbarten Völkerschaften zum Schauspiel dientet? Dass eure Gattinnen und eure Kinder vor aller Augen wie Gefangene vorübergeführt wurden? 4 Was meint ihr wohl, haben alle diejenigen denken müssen, die den Ausruf des Heroldes vernahmen, und sie, die euch abziehen sahen, oder sie, die eurem schimpflichen Zug begegneten, was sonst, als dass wir irgendeine Schandtat begangen hätten, so dass wir durch unsere Gegenwart die Spiele entheiligen und, diese Entweihung zu tilgen, ein Sühnopfer nötig machen würden, und dass wir deshalb da, wo ehrliche Leute säßen, von jeder Zusammenkunft, jeder Versammlung weggewiesen würden? Und nun, wie weiter, 5 fällt es euch gar nicht ein, dass wir noch leben, weil wir unsere Abreise beschleunigten, wenn das eine Abreise und nicht vielmehr eine Flucht zu nennen ist! Und ihr seht in einer Stadt, wo ihr alle, wenn ihr euch einen Tag verspätet hättet, des Todes gewesen wäret, nicht die Stadt eurer Feinde? Der Krieg ist euch angekündigt zum großen Schaden derer, die ihn ankündigten, wenn ihr Männer seid.
6 Von selbst schon voll Erbitterung, zu der sie nun noch aufgefordert waren, gingen sie auseinander in ihre Heimat, und da ihrer so viele, jeder seine Völkerschaft aufwiegelten, hatte dies zur Folge, dass alles, was Volsker hieß, gegen Rom sich erhob.
(39) Zu Feldherren für diesen Krieg wurden nach dem einstimmigen Beschluss aller Völkerschaften Attius und der vertriebene Römer Cnaeus Marcius gewählt, auf den sie weit mehr Hoffnung setzten. 2 Und diese Hoffnung rechtfertigte er durchaus, so dass leicht zu sehen war, dass die Stärke der Römer mehr auf ihren Heerführern als auf ihren Heeren beruhe. Zuerst zog er vor Circei, verjagte dort die römischen Siedler und überlieferte die befreite Stadt den Volskern. 3 Von hier ging er durch Querpfade auf die Latinische Heerstraße und nahm die Städte Satricum, Longula, Polusca und Corioli, erst seit Kurzem römische Besitzungen. 4 Darauf eroberte er Lavinium; dann der Reihe nach Corbio, Vitellia, Trebium, Labici, Pedum; 5 von Pedum endlich zog er vor Rom, schlug bei den Cluilischen Gräben, 5000 Schritte von der Stadt, sein Lager auf und verwüstete von hier aus das römische Gebiet, doch so, 6 dass die Plünderer nach Anweisung der ihnen Mitgegebenen die Grundstücke der Adligen verschonen mussten, entweder weil er feindseliger gegen die Bürgerlichen war, oder, um zwischen Vätern und Bürgerlichen Zwietracht zu säen. 7 Und sie wäre gewiss ausgebrochen; so sehr hetzten die Volkstribunen durch ihre Beschuldigungen den an sich schon trotzigen Bürgerstand gegen die Väter auf; allein die Furcht vor dem Feind von außen – das stärkste Band der Eintracht – ließ sie, bei allem gegenseitigen Verdacht und Hass, dennoch zusammenhalten. 8 Nur darin blieben sie uneinig, dass der Senat und die Konsuln ihre einzige Hoffnung auf die Waffen setzten, die Bürger hingegen alles lieber wollten als Krieg.
9 Spurius Nautius und Sextus Furius waren jetzt Konsuln.32 Sie musterten die Legionen und verteilten die Truppen auf die Mauern und andere Plätze, wo Posten und Wachen stehen sollten, als ein großer Volkshaufe sie in Schrecken setzte, der anfangs mit revolutionärem Geschrei den Frieden forderte und dann sie nötigte, den Senat zu versammeln und auf eine Gesandtschaft an Cnaeus Marcius anzutragen. 10 Da die Väter so offenbar den Mut der Bürger wanken sahen, genehmigten sie den Antrag; allein die mit Friedensvorschlägen an Marcius abgeschickten Gesandten kamen mit einer harten Antwort zurück: 11 Wenn den Volskern das genommene Stück Land wieder abgetreten sei, dann erst könne man über Frieden verhandeln. Dächten sie aber daran, ihres Raubes aus dem Krieg nun in aller Stille sich zu freuen, so werde er, ebenso sehr der ungerechten Behandlung seitens seiner Mitbürger als der gütigen Aufnahme bei seinen jetzigen Wohltätern eingedenk, seine Kräfte aufbieten, um der Welt zu zeigen, dass sein Mut durch die Verbannung gespornt, aber nicht gebrochen sei. 12 Dieselben