Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.und Stille beobachteten. Außerdem gaben sie ihnen als Neulingen in Rücksicht auf ihre Herkunft und Abstammung teils Falsches, teils Wahres zu hören. 5 Dass sie dergleichen dicht unter dem Wall und an den Toren des Lagers verlauten ließen, litten die Konsuln sehr gern. Allein die Herzen des unerfahrenen Haufens bestürmte bald der Unwille, bald die Scham, und ließ sie des inneren Missverhältnisses vergessen; es ärgerte sie, wenn dies den Feinden ungestraft hinginge, und es ärgerte sie, wenn die Väter, wenn die Konsuln ihren Willen haben sollten. In ihrem Busen kämpfte Feindeshass mit Bürgerhass. 6 Endlich behielt der gegen den äußeren Feind die Oberhand; so schneidend und übermütig wurde der Spott des Feindes. Zahlreich versammelten sie sich vor dem Hauptzelt, forderten eine Schlacht und verlangten, dass das Zeichen dazu gegeben werde. 7 Die Konsuln steckten die Köpfe zusammen, als wollten sie die Sache überlegen; sie besprachen sich lange. Sie wünschten zu schlagen, allein sie mussten ihren Wunsch zurückhalten und verbergen, um durch Widerstand und Aufschub den Eifer des einmal gereizten Kriegers zu steigern. 8 Sie erteilten die Antwort, die Sache sei voreilig, noch sei die Zeit zur Schlacht nicht da, sie möchten sich auf ihr Lager beschränken. Dann ließen sie bekannt machen, es solle sich niemand in einen Kampf einlassen. Wer ohne Erlaubnis sich schlage, den würden sie als Feind behandeln. 9 Die mit diesem Bescheide Entlassenen wurden nun auf das Treffen umso mehr erpicht, als sie die Konsuln dazu nicht geneigt glaubten. Und außerdem setzten ihnen die Feinde umso kecker zu, als sie erfahren hatten, dass die Konsuln beschlossen hätten, nicht zu schlagen. 10 Denn nun würden sie ungestraft sie höhnen können. Den Soldaten würden die Waffen nicht anvertraut. Der Aufruhr werde zum heftigsten Ausbruch kommen, und Roms Oberherrschaft habe ihr Ende.
In diesem Vertrauen liefen sie beständig an die Tore, riefen ihre Schmähungen hinein und konnten sich kaum enthalten, das Lager anzugreifen. 11 Endlich konnten die Römer die Schmach nicht länger ertragen: aus dem ganzen Lager liefen sie von allen Seiten zu den Konsuln. Nicht mehr mit Zurückhaltung wie vorher, nicht durch die vornehmsten ihrer Hauptleute ließen sie ihre Forderungen vortragen, sondern betrieben sie alle in wilder Unordnung mit Geschrei.
Jetzt war die Sache reif; aber immer noch zögerte man von jener Seite. 12 Endlich ließ Fabius, als mit dem Getümmel die Furcht vor dem Ausbruch zunahm, mit Bewilligung seines Mitkonsuls, mit dem Feldzeichen Stille gebieten und sprach: Dass diese Leute siegen können, Cnaeus Manlius, das weiß ich. Dass ich aber nicht weiß, ob sie wollen, daran sind sie selbst schuld. 13 Daher bin ich fest entschlossen, das Zeichen nicht eher zu geben, bis sie schwören, dass sie aus dieser Schlacht als Sieger zurückkehren wollen. Einen römischen Konsul hat das römische Volk einmal in der Schlacht betrogen, die Götter wird es niemals betrügen. Unter denen, die am eifrigsten den Kampf begehrten, war Marcus Flavoleius, ein Hauptmann. 14 Ich, rief er, Marcus Fabius, werde aus der Schlacht als Sieger zurückkehren. Hielte er nicht Wort, so rief er den Zorn des Vaters Jupiter, des Mars Gradivus und der anderen Götter über sich. Und so verpflichtete sich der Reihe nach das ganze Heer, jeder durch seinen Eid.
Nach der Eidesleistung erhielten sie das Zeichen, griffen zu den Waffen und zogen voll Hoffnung und Wut in die Schlacht. 15 Jetzt forderten sie die Etrusker auf, Schimpfreden auszustoßen, jetzt hießen sie den Feind großsprecherisch ihnen entgegenzutreten. 16 Bürgerliche und Adlige, alle zeichneten sich an dem Tag durch Tapferkeit aus; aber am hellsten strahlte der Name Fabius und alle Fabier. Sie gingen darauf aus, die durch so manchen heimischen Zwist ihnen abgewandten Herzen ihrer Bürger in dieser Schlacht wiederzugewinnen.
(46) Jetzt wurden die Reihen aufgestellt, und die Feinde, Vejenter und Etruskerlegionen, nahmen die Schlacht an. Sie machten sich beinahe sichere Hoffnung, dass die Römer gegen sie ebenso wenig kämpfen würden, wie sie gegen die Aequer gefochten hätten; ja sie glaubten, bei dieser Erbitterung, und da sie eine noch nicht entschiedene Schlacht vor sich hätten, lasse sich von ihnen noch wohl ein wichtigerer Schritt erwarten. 2 Es folgte gerade das Gegenteil. In keinem der früheren Kriege gingen die Römer mit größerer Erbitterung ins Treffen, so sehr hatte sie hier der Hohn des Feindes, dort das Zögern der Konsuln gereizt. 3 Kaum hatten die Etrusker Zeit, sich aufzustellen, als das Gefecht, weil die Römer gleich im ersten Heranstürmen ihre Wurfspieße mehr aufs Geratewohl hingeworfen als abgeschossen hatten, schon Mann gegen Mann, schon bloß mit dem Schwert galt, was immer den heißesten Kampf gibt. 4 Unter den Anführern zeichnete sich das Fabische Geschlecht aus; sie waren ihren Mitbürgern ein Beispiel und ein Schauspiel.
Einem von ihnen, dem Quintus Fabius – er war vor drei Jahren Konsul gewesen –, der den Seinigen voran in die dicht geschlossenen Vejenter einbrach und sich zu unvorsichtig unter den Händen so vieler Feinde herumtummelte, stieß ein an Körperkraft und Waffenkunst überlegener Tusker sein Schwert durch die Brust, und so wie er den Stahl zurückzog, stürzte Fabius mit seiner Wunde nieder. 5 Auf beide Heere wirkte des Helden Fall, und schon wichen die Römer, als der Konsul Marcus Fabius über die Leiche des vor ihm Liegenden wegsprang, seinen Schild ihr vorhielt und rief: Habt ihr das geschworen, Soldaten, dass ihr fliehend ins Lager zurückkehren wolltet? Ihr fürchtet also die feigsten Feinde mehr als den Jupiter und Mars, bei denen ihr geschworen habt? 6 Ich habe nicht geschworen, aber ich will entweder als Sieger zurückkehren oder hier neben dir, Quintus Fabius, kämpfend fallen. Und Kaeso Fabius, der Konsul des vorigen Jahres, erwiderte dem Konsul: Glaubst du, Bruder, durch deine Worte zu bewirken, dass sie fechten? 7 Die Götter müssen es bewirken, bei denen sie schworen! Und auch wir wollen unserem Rang gemäß und des Namens Fabius würdig, lieber kämpfend als ermahnend den Mut der Unsrigen anfeuern. So flogen die zwei Fabier mit drohenden Lanzen an die Spitze und zogen mit sich die ganze Schlachtreihe vorwärts.
(47) Während das Treffen auf dieser einen Seite wiederhergestellt wurde, förderte auf dem andern Flügel der Konsul Cnaeus Manlius die Arbeit ebenso lebhaft; und hier waltete fast ein gleiches Schicksal. 2 Denn so wie auf jenem Flügel dem Quintus Fabius, so rückten auf diesem dem Konsul selbst, der die Feinde schon als Geschlagene vor sich hertrieb, die Soldaten kräftig nach, und ebenso wichen sie auch, als er schwer verwundet die Linie verließ, weil sie glaubten, er sei gefallen. 3 Und sie hätten das Feld geräumt, hätte nicht der andere Konsul, der mit einigen Reitergeschwadern herangesprengt kam, durch seine laute Versicherung, dass sein Mitkonsul lebe, und dass er selbst als Sieger auf jenem Flügel herbeigeeilt sei, die wankende Linie wieder zum Stehen gebracht. 4 Auch zeigte Manlius, um das Gefecht wiederherzustellen, sich ihnen in Person. Der Blick in das Antlitz beider Konsuln erfüllte die Soldaten mit neuem Mut. Auch hatte inzwischen die Linie der Feinde an wahrer Stärke verloren, weil sie im Vertrauen auf ihre überflüssige Menge den Rückhalt hinten weggezogen und zu einem Angriff auf das römische Lager abgeschickt hatten. 5 Da sie in dieses ohne großen Widerstand eingebrochen waren und mehr an Plündern als an Kämpfen denkend die Zeit verloren, ließen die Römer der dritten Linie, die den ersten Einbruch nicht hatten hindern können, die Konsuln von ihrer Lage benachrichtigen, sammelten sich bei dem Hauptzelt in einen dichten Kreis und erneuerten freiwillig das Gefecht. 6 Unterdessen hatte der Konsul Manlius bei seiner Rückkehr zum Lager alle Tore mit Soldaten besetzt und den Feinden den Ausweg versperrt. Die Verzweiflung entflammte die Tusker mehr zur Wut als zur Tapferkeit. Denn da sie nach allen Seiten, wo sich nur ein Ausweg hoffen ließ, mehrmals einen vergeblichen Angriff gewagt hatten, nahm sich eine ihrer Scharen den Konsul selbst zum Ziele, den seine Waffen kenntlich machten. 7 Anfangs fingen die Umstehenden die Pfeile auf; dann aber konnten sie der Übermacht nicht widerstehen. Der Konsul, tödlich verwundet, fiel, und alle ringsum wurden versprengt. 8 Den Tuskern stieg der Mut; die Römer, ohne Fassung, trieb der Schrecken im ganzen Lager umher. Und es wäre zum Äußersten gekommen, hätten nicht die Unterbefehlshaber, nachdem sie den Leichnam des Konsuls weggerissen hatten, den Feinden den Ausweg durch ein Tor geöffnet. 9 Zu diesem stürzten sie hinaus, und in wilder Unordnung davoneilend begegneten sie dem siegreichen andern Konsul. Hier wurden sie abermals zusammengehauen und auseinandergesprengt.
Es war ein herrlicher Sieg errungen, nur verdüstert von der Trauer über den Tod zweier hochberühmter Männer. 10 Darum antwortete der Konsul, als ihm der Senat den Triumph zuerkannte, wenn das Heer ohne Feldherrn triumphieren könne, so wolle er ihm für die in diesem Krieg geleisteten außerordentlichen Dienste dies gern gestatten. Er aber werde, da seine Familie durch den Tod seines Bruders Quintus Fabius in Trauer, der Staat durch den Verlust des einen Konsuls zur Hälfte verwaist sei, den bei der allgemeinen und besonderen Trauer ihm gespendeten Kranz nicht annehmen.