Römische Geschichte. Livius Titus
Читать онлайн книгу.diese Obrigkeit des Gesamtvolkes könne nach altem Herkommen niemand befehlsweise wegschaffen, weil es jedes Mal heiße: Wenn es euch gefällig ist, ihr Quiriten, so tretet ab. Die Gewandtheit, mit der er, und zwar so verächtlich, von dem Recht des Tribunen sprach, musste den Laetorius aus der Fassung bringen. 13 Glühend vor Zorn schickte der Tribun seinen Amtsboten auf den Konsul, der Konsul seinen Gerichtsdiener auf den Tribunen, indem er diesen laut für einen Privatmann erklärte, der keinen Oberbefehl, keine Amtswürde habe, 14 und der Tribun wäre misshandelt worden, wäre nicht für ihn die ganze Versammlung tobend gegen den Konsul aufgestanden und die aus der ganzen Stadt herbeiströmende Menge auf den Markt zusammengelaufen.
Dennoch trotzte Appius mit Hartnäckigkeit einem so großen Sturm, 15 und es wäre zu einem blutigen Kampf gekommen, hätte nicht der andere Konsul Quinctius einigen Konsularen den Auftrag gegeben, seinen Amtsgenossen, wenn sie nicht anders könnten, mit Gewalt vom Gerichtsplatz abzuführen, und in eigener Person hier die aufgebrachten Bürger durch seine Bitten besänftigt, dort die Tribunen gebeten, die Versammlung aufzulösen, 16 sie möchten ihrem Zorn Zeit lassen. Die Zeit werde ihnen nichts an ihrer Kraft entziehen, sondern noch Einsicht zur Kraft hinzufügen. Die Väter würden sich dem Willen des Volkes fügen wie der Konsul dem Willen der Väter.
(57) Mit Mühe beruhigte Quinctius die Bürger, mit ungleich größerer beruhigten die Väter den andern Konsul. 2 Als endlich die Volksversammlung entlassen war, hielten die Konsuln Senat. Hier wechselten anfangs widersprechende Meinungen, je nachdem Furcht oder Zorn sie eingegeben hatte; je mehr sie indes durch die vergangene Zeit von der Hitze zu Beratungen übergingen, um so mehr verging ihnen die Lust zum Kampf, so dass sie dem Quinctius dafür Dank abstatteten, dass er durch seine Einwirkung den Zwist gemildert habe. 3 Den Appius ersuchte man, er möge sich’s gefallen lassen, dass die konsularische Hoheit so groß sei, als es mit der Eintracht im Staat bestehen könne. Darüber, dass Tribunen und Konsuln, jeder auf seiner Seite, alles an sich rissen, sei der Vereinigungspunkt der Kräfte verlorengegangen. Man bekümmere sich mehr darum, in wessen Händen der Staat sei, wenn auch noch so sehr zerstückelt und zerrissen, als darum, ob er im Wohlstand sei.
4 Dagegen rief Appius Götter und Menschen zu Zeugen an, dass das allgemeine Beste aus Feigheit verraten und preisgegeben werde. Der Konsul lasse nicht den Senat, wohl aber der Senat den Konsul im Stich. Man lasse sich strengere Gesetze gefallen als einst auf dem Heiligen Berg. Doch von den Vätern überstimmt schwieg er, und der Vorschlag ging ohne allen Widerstand durch.
(58) Jetzt also wurden zum ersten Mal Tribunen nach Stimmen der Bezirke gewählt. Piso meldet, die Zahl sei auch um drei vermehrt worden, als ob vorher nur zwei gewesen wären. 2 Auch macht er diese Tribunen namhaft, den Cnaeus Sicinius, Lucius Numitorius, Marcus Duellius, Spurius Icilius, Lucius Mecilius.
3 Während der Uneinigkeit in Rom entstand ein Volsker- und Aequerkrieg. Sie hatten im Land geplündert, um dem Volk, wenn es etwa auswandern sollte, Gelegenheit zu geben, sich zu ihnen zu schlagen. Als aber die Sache beigelegt war, zogen sie sich mit ihrem Lager zurück. 4 Gegen die Volsker zog Appius Claudius; die Aequer bestimmte das Los dem Quinctius.
Die Härte des Appius, die im Feld dieselbe wie zu Hause war, war hier noch ungebundener, wo kein Tribun sie beschränkte. 5 Sein Hass gegen die Bürgerlichen war noch mehr als ein bloßes Erbstück vom Vater. Er selbst sei von ihnen besiegt. Man habe ihn, einen so ausgesuchten Konsul, der tribunizischen Gewalt entgegengestellt, und dennoch sei ein Vorschlag durchgegangen, den die vorigen Konsuln mit geringerem Kraftaufwand bei weit geringerer Erwartung der Väter hintertrieben hätten. 6 Dieser Groll, dieser Verdruss wurde für den stolzen Mann ein Sporn, seine Soldaten durch Grausamkeit zu plagen, aber dennoch ließen sie sich durch keine Gewalt bändigen, so tief waren sie vom Geiste der Widersetzlichkeit durchdrungen. 7 Unlustig, saumselig, nachlässig, widerspenstig waren sie in allem Tun, und weder Scham noch Furcht hielt sie in Ordnung. Befahl er schnelleren Schritt, so gingen sie geflissentlich langsamer. Wenn er als Treiber zur Arbeit erschien, so ließen alle in dem von selbst bewiesenen Fleiß nach. 8 War er zugegen, so schlugen sie die Augen nieder, ging er vorüber, so fluchten sie ihm insgeheim, so dass der von keinem Bürgerhass gebeugte Starrkopf oft nicht ohne Empfindung blieb. 9 Nachdem er alle Härte vergeblich angewandt hatte, ließ er sich selbst gar nicht mehr mit den Soldaten ein und sagte, die Hauptleute hätten das Heer verdorben, und nannte sie spottweise Volkstribunen, zuweilen auch Voleronen.
(59) Die Volsker wussten dies alles und drangen umso nachdrücklicher vor, weil sie hofften, das römische Heer werde gegen Appius dieselbe Widersetzlichkeit beweisen, die es gegen den Konsul Fabius bewiesen habe.35 2 Allein es ließ sie gegen Appius zu einem weit heftigeren Ausbruch kommen als gegen Fabius. Denn es wollte nicht allein nicht siegen, wie das Heer des Fabius, sondern es wollte sich besiegen lassen. In die Linie vorgeführt, eilte es in schimpflicher Flucht dem Lager zu und hielt nicht eher stand, als bis es die Volsker gegen seine Verschanzungen anrücken und das scheußliche Gemetzel in seiner Nachhut sah. 3 Dies zwang sie zu tätiger Gegenwehr, um den siegenden Feind wenigstens vom Wall zu vertreiben; doch sah man deutlich, der römische Soldat habe nur sein Lager nicht erobern lassen wollen, freue sich aber übrigens seiner Niederlage und seines Schimpfes.
4 Appius, dessen Starrsinn hierdurch nicht im Geringsten gebrochen wurde, wollte noch obendrein wüten und berief eine Versammlung. Da eilten die Unterfeldherren und Obersten zu ihm und warnten ihn, seinen Oberbefehl, dessen ganze Kraft auf der Zustimmung der Gehorchenden beruhe, geradezu aufs Spiel zu setzen. 5 Die Soldaten versicherten durchgehend, sie würden nicht zur Versammlung kommen, und man hörte sie hin und wieder laut rufen: Das Lager müsse aus dem Volskerland aufbrechen. Der siegende Feind sei kurz zuvor beinahe schon in den Toren und auf dem Wall gewesen, und nicht bloß die Ahnung eines großen Unglücks, sondern der offenbare Anblick stehe ihnen vor Augen.
6 Endlich gab er nach – wiewohl der Soldat nichts als Aufschub der Strafe gewann –, stand von der Versammlung ab, ließ den Aufbruch für den folgenden Tag bekannt machen und mit frühem Morgen zum Abzug blasen. 7 Gerade als sich der Zug aus dem Lager in Bewegung setzte, griffen die Volsker, die, wie leicht anzunehmen war, von demselben Zeichen geweckt waren, die Nachhut an. Das Getümmel, das von dort bis zur Vorhut drang, brachte durch den Schrecken eine solche Unordnung unter die Fahnen und Glieder, dass man keinen Befehl hören, noch das Heer in Schlachtordnung aufstellen konnte. 8 Jeder dachte nur an Flucht. Sie stürzten über zu Boden geworfene Menschen und Waffen so unaufhaltsam fort, dass der Feind eher von der Verfolgung als der Römer von der Flucht abließ.
9 Der Konsul, der unter vergeblichem Versuch, seine Leute zum Stehen zu bringen, nachgeeilt war, nahm sein Lager, nachdem er endlich die Flüchtigen aus der Zerstreuung wieder gesammelt hatte, auf vaterländischem Boden, berief sie zur Versammlung, schalt mit Recht auf ein Kriegsheer, das die Kriegszucht verwahrlost und die Fahnen preisgegeben habe, 10 und fragte jeden, wo er seine Fahne, seine Waffen gelassen habe. Dann ließ er die Soldaten ohne Waffen, die Fahnenträger ohne Fahne, und außer ihnen noch die Hauptleute und Doppellöhner,36 die ihrem Glied entlaufen waren, mit Ruten peitschen und enthaupten. Aus der übrigen Menge wurde jeder, den unter Zehnen das Los traf, zur Hinrichtung bezeichnet.
(60) Im Aequerland hingegen wetteiferten Konsul und Soldaten miteinander in Wohlwollen und Gefälligkeit. Quinctius war teils von Natur milder, teils bestimmte ihn die unglückliche Grausamkeit seines Amtsgenossen, sich lieber seinem Hang zu überlassen. 2 Die Aequer, die es nicht wagten, sich einer so großen Einigkeit zwischen Feldherrn und Heer entgegenzustellen, überließen ihr Land dem Feind, der umherziehend Beute machte und sie hier in keinem der früheren Kriege so von allen Orten zusammengetrieben hatte. 3 Sie wurde sämtlich den Soldaten gelassen. Hierzu kamen noch Lobsprüche, die den Krieger nicht weniger als Belohnungen erfreuen.
Zufrieden mit seinem Feldherrn und des Feldherrn wegen selbst mit den Vätern, kam das Heer zurück und erklärte, ihnen habe der Senat einen Vater, dem andern Heer einen Tyrannen gegeben.
4 Dies unter wechselndem Kriegsglück, unter fürchterlichen Streitigkeiten in Rom und im Heer verflossene Jahr zeichnet sich besonders durch das den Bezirken gegebene Wahlrecht aus, wobei gleichwohl der Sieg in dem darüber entstandenen Streit mehr Erwägung verdient als der Vorteil. 5 Denn durch die Ausschließung der Väter aus der Versammlung verlor der Wahltag mehr an Würde, als an Macht dem Bürgerstand zuwuchs oder den Vätern entging.
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