Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.und das übrige, was durch Steuern und Akzise bisher eingekommen, zwischen Land und Stadt verteilt, so daß den Städten nur die Akzise, dem Lande nur die Kontribution zur Last falle. Der König fand, daß die Summe zu seinem Kriegsstaat hinreichen werde, wofern man sie nur eben hauptsächlich zu diesem anwende. Nach den ersten Versuchen, denn anfangs hatte man gezweifelt, erklärte Münchow, daß die Sache gehen werde, obwohl, da die bisherigen Rechnungen und Gegenrechnungen aufhörten, alles doch ein ganz andres Ansehen gewann und bei weitem schwerer fiel. Die Hauptsache war nun aber, die Kontribution, welche die vornehmste Last ausmachte, besser zu verteilen. Der erste Versuch ward im Februar 1742 im Kreise Schwiebus gemacht; er führte zu dem Ergebnis, wie Münchow berichtet, daß der Kreis eine ansehnliche Summe mehr aufbrachte und die bessere Verteilung doch jedermann zufriedenstellte. Ein ähnliches gab ein zweiter, den man absichtlich in einer ganz andern Landesgegend, im Kreise Frankenstein, anstellte, und man beschloß nun die Sache systematisch anzugreifen. Unter Münchow, der die obere Leitung führte, ward eine Hauptkommission gebildet, die ihren Sitz in Breslau nahm; sie setzte die vornehmsten Grundsätze unter Zuziehung der Kammern fest; dann schritten die Klassifikationskommissionen ans Werk. Mitte Dezember war man mit siebenthalbhundert, Ende Februar 1743 mit mehr als zweitausend Dörfern, überhaupt mit 22 Kreisen fertig, und in 11 andern ging man eifrig vorwärts. Ende Mai hatte Münchow das Vergnügen, dem König melden zu können, daß das ganze Werk in dem gesamten Niederschlesien glücklich zustande gebracht worden sei. Einmal im Zuge, ergoß sich diese Tätigkeit nunmehr unverweilt auch über Oberschlesien und Glatz, die indessen erworben worden. Schon im August war man mit 600 Dörfern zustande; die vollendete Klassifikationstabelle von Oberschlesien konnte im Oktober, am 1. November die von der Grafschaft Glatz überreicht werden.
Der schlesische Etat ward im Jahre 1744 auf 3 265 000 Taler fixiert, um 100 000 Taler niedriger, als anfangs beabsichtigt worden: eine Summe, welche, dem Verhältnis des Umfanges und der Menschenzahl entsprechend, die Einkünfte des Staates ebenfalls ungefähr um ein Dritteil vermehrte.
Zweiter schlesischer Krieg: Eroberung von Prag, Bd. 5 S. 111 f.; Rückzug aus Böhmen, S. 124-132; Schlacht bei Hohenfriedberg, S. 159-165.
42. Friedrichs des Großen Denk- und Regierungsweise
Preußische Geschichte V, Werke Bd. 29 S. 293 ff.
Wenn man die kleineren Gedichte Friedrichs liest, so sollte es dem Verfasser zuweilen bloß auf den Genuß des Lebens anzukommen scheinen. Die Anstrengung wird als ein Verlust der Freiheit betrachtet; man stößt auf Nachahmungen des Lucrez, deren Inhalt die Lehren Epikurs wiederholt. Wenn Friedrich in einer seiner Episteln die Lehre entwickelt, daß sich die Vorsehung um das Kleine nicht bekümmere, so darf man schwerlich behaupten, daß er sie in dem unverfänglichen Sinne von Malebranche verstanden habe. Daneben aber nimmt man allenthalben eine ernste, auf das wesentliche und echte in den Dingen des menschlichen Lebens vordringende Richtung wahr. Den Lockeschen Lehren gemäß erscheint der menschliche Geist nicht fähig, das Unendliche zu ergreifen, aber Friedrich schließt daraus nur, daß man sich auf dieses Gebiet nicht wagen, vielmehr hier auf Erden sich der Tugend widmen, das Gute von dem Bösen unterscheiden lernen müsse. Einen seiner Brüder macht er aufmerksam, daß Tugend und Talent keine Ahnen haben; wer einen Namen besitzen will, muß ihn verdienen. Wie beklagt er die deutschen Fürsten, die, wenn sie von einer Reise nach Frankreich zurückkommen, ihren Ehrgeiz darin suchen, Meudon und Versailles in kleinen Dimensionen zu Hause nachzuahmen. Von der Nichtigkeit des Hoflebens oder des Treibens in großen Städten war wohl niemals ein Mensch mehr durchdrungen als Friedrich. Er ist vollkommen zufrieden in seiner Einsamkeit, denn das einzige Glück sieht er in geistiger Beschäftigung; was die Natur gegeben, muß der Fleiß vollenden. Ruhmesliebe hatte ihn zum Kriege gespornt, aber er weiß, daß die Meinung der Menschen von den Umständen abhängt, hin und wieder schwankt, das Glänzende oft dem Gediegenen vorzieht. Aus allen den Zufälligkeiten, welche auf Lob und Tadel einwirken, zieht er die Lehre, daß man den Weihrauch verachten, die Tugend um ihrer selbst willen lieben müsse.
Er bekennt seiner Schwester375 einmal, er habe eine zwiefache Philosophie: im Frieden und Glück schließe er sich den Schülern Epikurs an, im Unglück halte er sich an die Lehren der Stoa. Das heißt nur eben, daß er den Genuß durch Reflexion mäßigt oder entschuldigt und sich im Unglück durch moralischen Schwung erhebt; es ist nichts andres, als was ein Philosoph dieses Jahrhunderts sagt,376 daß Neigung zum Wohlleben und zur Tugend im Kampfe miteinander, wo die erste durch die letzte eingeschränkt wird, das höchste moralisch-physische Gut hervorbringen. Nur tritt in den Gedichten, der vorwaltenden Stimmung gemäß, bald die eine, bald die andre Richtung alleinherrschend hervor.
Nicht alles, was von Poesie in ihm war, legte Friedrich in seine Gedichte. Wir kennen seine Meisterschaft auf der Flöte; auch hier war jede seiner Kompositionen ein Versuch, eine besondere Schwierigkeit zu überwinden; hauptsächlich aber seine Empfindungen, seine Freude und besonders seinen Schmerz, ein melancholisches Gefühl, das ihn sein ganzes Leben begleitete, drückte er in diesen Tönen aus. Seine Verse sind oft mehr lebendig angeregtes Raisonnement als Poesie; wie Voltaire sagt, nicht von echt französischem Kolorit, aber um so eigentümlicher im Ausdruck und voll Ideen eines weiten Horizontes.
Wie in den Gedichten, so beschäftigte sich Friedrich in seinen Briefen, seinen Gesprächen unaufhörlich mit den schwierigsten Fragen, die der Mensch sich vorlegen kann, über Freiheit und Notwendigkeit (die er für das schönste Thema der »göttlichen« Metaphysik erklärt), über Schicksal oder Vorsehung, Materialität oder Unsterblichkeit der Seele; auf die letzte kam er immer von neuem zurück. Wir kennen sein Schwanken zwischen der Annahme eines blinden Geschickes und einer allwaltenden Vorsehung, und wie er in den großen Entscheidungen auf die letzte zurückkam.377 Meistenteils schien es ihm doch, daß alles ein nicht aufzulösendes Rätsel bleibe, wenn man nicht eine Vorsehung voraussetze, die das Weltgeschick zu einem großen Ziele leite. Nur in einem Punkte war er unerschütterlich: er fuhr auf, wenn jemand im Gespräche seinen Glauben an einen lebendigen Gott bezweifelte. Die populären Beweise für das Dasein Gottes, besonders den von der weisen Ordnung in der Natur hergenommenen, wiederholte er mit dem vollsten Ausdruck der Überzeugung: »Ich kenne Gott nicht, aber ich bete ihn an.«
Sein skeptisches Verhalten zu den meisten positiven Lehren gehörte ohne Zweifel dazu, um ihm die Politik möglich zu machen, die er in Beziehung auf die verschiedenen Bekenntnisse ergriffen hatte; er würde sonst mit sich selbst in Widerspruch geraten sein. Aber wie er schon im Gespräch abbricht, wenn er bemerkt, daß sein Mangel an Orthodoxie den andern verletzt, so hätte er im Leben noch viel weniger daran gedacht, seine Meinungsabweichungen auszubreiten, von denen er wohl fühlte, daß sie das Gemüt nicht befriedigen, einem Volke nicht genügen können. Er hielt es schon für ein Glück, daß man dieselben an ihm duldete. Für ihn reichte die Überzeugung hin, daß der Zweck der Welt in dem individuellen Glück liege; die wahre Philosophie bestehe nicht in den verwegenen Spekulationen, durch welche die Wissenschaft zu einer Kunst von Vermutungen gemacht, von den Sitten losgerissen werde, sondern in der Moral, welche die Heftigkeit der ersten Eindrücke zu mäßigen und zu zügeln fähig mache. Um glücklich zu sein, dazu gehöre sittlich leben, seinen Stand erkennen, sich der Mäßigung befleißigen, das Leben nicht zu hoch anschlagen. Friedrichs religiöses Gefühl erhob sich nicht über die ersten und einfachsten Elemente, dagegen sein moralisches Bewußtsein war von der lebendigsten Energie.
Eine der ersten Pflichten des Menschen, doppelt notwendig in seiner Stellung, sah er in der Selbstbeherrschung und arbeitete dafür unaufhörlich an sich. Er bekannte seinen Vertrauten, wenn er etwas Unangenehmes, Aufregendes erfahre, suche er nur durch Reflexion über die erste Bewegung Herr zu werden, die bei ihm unendlich lebhaft sei; zuweilen gelinge es, zuweilen auch nicht; dann aber begehe er Unvorsichtigkeiten und komme in den Fall, sich über sich selbst zu ärgern. Er bildet sich eine Politik des persönlichen Glückes