Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.gab seine Entscheidung, wenn sie zurückkamen.
Nicht selten klagen die auswärtigen Gesandten in ihren Berichten, daß er sich in den Audienzen unbestimmt und sogar furchtsam ausgedrückt habe. Seine Entschließungen wurden in der Tiefe seines Gemüts gefaßt und standen ihm dann auf immer fest. Auch darüber beschweren sich die Gesandten häufig, daß er alles allein tun wolle und sie von niemand sonst beschieden werden können; die auswärtigen Angelegenheiten seien unter zwei Minister verteilt,382 und keiner von beiden kenne sie alle; ein geheimer Rat, der vielleicht eine allgemeine Übersicht habe, wage doch nie zu dem Repräsentanten einer fremden Macht zu kommen; im ganzen Lande gebe es außer dem König nur einen einzigen Mann, der die innern und äußern Angelegenheiten zugleich kenne. Von diesem Manne, der alle Morgen mit dem König arbeite, ihn auf seinen Reisen begleite, machen sie eine beinahe mythische Beschreibung: er wisse alles, erfahre alles, aber kein Sterblicher könne sich rühmen, ihn je mit Augen gesehen zu haben. Auf eine wunderliche Weise verunstalten sie seinen Namen: es ist Eichel, dessen Briefwechsel mit Podewils wir zuweilen erwähnt haben, der im Kabinett die Feder führte, die mündlichen Resolutionen Friedrichs niederschrieb, die wichtigsten Anordnungen nach seiner Weisung ausfertigte; ein Mann von unermüdlicher Arbeitsamkeit, die aus Liebe zur Sache und persönlicher Hingebung entsprang, scharfsinnig und einsichtsvoll, nur ein wenig pedantisch und nicht ohne eine zaghafte Scheu bei den unberechenbaren Bewegungen des Genius, den er vor sich sah. Wenn die Fremden dem König Schuld geben, er habe nie auf Gegenvorstellungen der Minister geachtet, so erweisen die Akten das Gegenteil; zuweilen zeigt er sich sogar ungeduldig, daß er seinen Willen nicht durchsetzen könne. Nur mündliche Beratungen vermied er je länger je mehr. Wenn er noch einen zweiten seiner Minister befragte, hielt er doch nicht für gut, den, dessen Gutachten er zuerst gefordert, davon wissen zu lassen: er besorgte, daß der Vorzug, den er dem einen vor dem andern gebe, Eifersucht und Entzweiung verursachen möchte. Überdies wäre dann leicht das Geheimnis, worin er die Seele der Geschäfte sieht, verletzt worden.
»Ich verberge«, äußerte er einmal gegen einen seiner Vorleser, »meine Absichten denen, die mich umgeben; ich täusche sie sogar darüber; denn wenn sie vermuten, was ich im Sinn habe, so könnten sie davon sprechen, ohne die Folgen zu ahnen; nur durch das Geheimnis kann ich mich vor Schaden bewahren.« »Ich verschließe mein Geheimnis in mich selbst; ich bediene mich nur eines Sekretärs, von dessen Zuverlässigkeit ich versichert bin; wenn ich mich nicht selbst bestechen lasse, so ist es unmöglich, meine Absicht zu erraten.« Von den auswärtigen Angelegenheiten überließ er die, welche mehr rechtlicher Natur waren, den Ministern; die Leitung der andern behielt er in eigner Hand. Soviel Argwohn legte er gegen fremde Verschwiegenheit an den Tag, daß es für den Umgang mit ihm als eine Regel galt, sich zwar übrigens ohne Zwang zu bewegen, vertraulichen Mitteilungen aber lieber auszuweichen. Auch er selbst war gegen alles auf der Hut, was seine Umgebung ihm sagen mochte. »Wenn wir uns jedem Gespräch hingeben, das irgend jemand mit uns anfängt, darauf hören, wovon man will daß wir es hören, uns in zweifelhafte Verbindungen einlassen, so kann dies leutselige Wesen schlimmere Folgen haben als die Hartherzigkeit. Von Anfang an habe ich meiner Umgebung zu zeigen gesucht, daß sie bei mir durch Ränke und falsche Berichte nichts gewinnen wird, daß ich ein Mann bin um die Dinge selber zu sehen, und unerschütterlich in den einmal gefaßten Plänen. Gutmütigkeit muß mit Festigkeit vereinigt sein; der Fürst muß sich mit braven und ehrlichen Leuten umgeben; für sich selber gewinnt er damit wenig, aber alles für das Wohl des Staates.« Es mag sein, daß ihm auch darum für seinen persönlichen Umgang Fremde am liebsten waren, weil sie keinen Zusammenhang mit kleinen einheimischen Interessen hatten.
Soll die Monarchie eine Wahrheit sein, so müssen die Regionen, wo die Entschlüsse gefaßt werden, von allem fremdartigen Einfluß frei bleiben; der höchste Wille muß sich nur auf das Wesen der Dinge richten. An den französischen Zuständen fand Friedrich nichts widerwärtiger und schädlicher als das Auseinanderstreben der verschiedenen Minister, deren jeder seine besonderen Rücksichten habe, seinen besonderen Vorteil suche. »So wenig«, sagt er, »wie Newton sein System in Verbindung mit Leibniz und Cartesius hätte zustande bringen können, so wenig kann ein politisches System gemacht und behauptet werden, wenn es nicht aus einem Kopfe entspringt, und das muß der des Fürsten sein; Minerva muß aus dem Haupte Jupiters hervorgehen. Von dem, was er selber gedacht hat, mehr durchdrungen als von den Gedanken anderer, wird er all sein Feuer an die Erreichung eines Zweckes setzen, der zugleich die Eigenliebe in Anspruch nimmt. Finanzen, Politik und Militär sind unzertrennlich; nicht der eine oder andre dieser Zweige muß gut verwaltet werden, sondern alle zusammen. Sie müssen zusammenwirken, wie in den olympischen Spielen die Rosse vor den Wagen, die mit gleicher Anstrengung die Rennbahn durchlaufen und dem Lenker den Preis verschaffen.«
In Hinsicht der Finanzen und des ganzen inneren Regierungssystems folgte er dem Vorgange seines Vaters, dessen Bild und Andenken ihn unaufhörlich begleitete. Im Gespräch erzählte er zuweilen Züge der Gutmütigkeit von demselben, die anderweit nicht vorkommen; öfter gedachte er seiner Härte und dessen, was er von ihm gelitten habe. »Ein schrecklicher Mann, vor dem man habe zittern müssen, aber durch und durch brav, ja im wahren Sinne des Wortes ein philosophischer König; er habe nur eine zu hohe Vorstellung von der Fähigkeit der Menschen gehabt und von seiner Umgebung und seinen Untertanen die nämliche Strenge gefordert, deren er sich gegen sich selbst bewußt gewesen sei. Wer es nicht wisse, könne sich keine Vorstellung davon machen, welchen Geist der Ordnung er in die verschiedenen Teile der Regierung gebracht, wie er bis ins einzelnste nach möglichster Vollkommenheit gestrebt habe. Der unermüdlichen Arbeitsamkeit, bewunderungswürdigen Ökonomie und strengen Soldatenzucht des Vaters verdanke er alles, was er sei. Auch ihn habe derselbe zu einem Soldaten machen wollen, aber kaum glauben dürfen, daß es damit gelingen werde; wie würde er erstaunen, wenn er wieder auflebte und ihn mitten in den ehemals kaiserlichen Gebieten an der Spitze einer siegreichen Armee sähe, namentlich mit einer Kavallerie, von der man in jenen Zeiten keine Idee gehabt habe; er würde seinen Augen nicht trauen.«
In dem Vater erscheint die Selbstherrschaft noch als Eigenwille, mit der Rauheit und Gewaltsamkeit des 17. Jahrhunderts, verbunden mit einer Religiosität, die eine pietistische Ader hatte; der Idee einer allgemeinen Ordnung im deutschen Reiche sich auch dann fügend, wenn diese unbequem ward. In dem Sohne lebt dagegen seit der ersten Jugend ein lebendiger Trieb persönlicher Ausbildung; er begreift die Wissenschaften mit dem doppelten Eifer eines Autodidakten; von der Religion hält er nur die allgemeinsten Grundsätze fest; das Reich erkennt er an, inwiefern es Rechte gewährt, nicht inwiefern es Pflichten auferlegt. In allen wesentlichen Dingen zeigte sich eben dieser Sohn als der wahre Fortsetzer des Vaters. An ihrem Beispiel sieht man, wie ein Zeitalter sich aus dem andern entwickelt, zu gleicher Zeit Identität und Verschiedenheit möglich sind. Nur Weiterbildung ist die rechte Fortsetzung. Zur Gründung gehörte ein noch von der Unwillkürlichkeit des ersten Antriebes umfangener, starker und rücksichtsloser Wille; die Durchführung erfordert eine selbstbewußtere und umsichtigere Tatkraft.
Friedrich vereinigte die strenge Staatsordnung des Vaters mit den ihm eingebornen Kulturbestrebungen, wodurch der Widerspruch des soldatischen Wesens mit den Tendenzen des Jahrhunderts vermittelt ward. Seine glücklichen Kriegsunternehmungen gehörten dazu, um dem Staate die Kräfte zu gewinnen, deren er noch bedurfte, ihm Haltbarkeit, Ansehen und Rang in der Welt zu geben.
In der Heerführung blieb Friedrich fortwährend einiger Lehren eingedenk, welche ihm einst, bei jener Anwesenheit im kaiserlichen Lager,383 Prinz Eugen von Savoyen gegeben hatte. Eine namentlich, die Geschichte der früheren Feldzüge zu durchdenken, sich die Lage der Generale zu vergegenwärtigen, um in dem Geiste die Fähigkeit auszubilden, in dringenden Momenten das rechte Mittel zu ergreifen, hat er nie vergessen. Er bekannte sich zuweilen als ein Schüler Eugens, doch war es die Schule aller großen Feldherren, in die ihn dieser geführt, der er sich in den eifrigsten Studien hingegeben hatte. In der Politik dürfte man sich nicht einmal an Vorbilder halten, da die Zeiten sich unaufhörlich verändern und Einsicht in die sich bildende Gegenwart die Summe davon ausmacht. Was man sonst wohl dafür fordert, Kenntnis der Formen, Schonung und rücksichtsvolle Rede war nicht Friedrichs Sache; er sprach mit Lebhaftigkeit und sparte die Sarkasmen