Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
Читать онлайн книгу.Sache entschieden: »wir haben den zweiten Band von Roßbach geliefert«.
Die Russen hatten nur auf einen glücklichen Erfolg der Österreicher gewartet, um mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; nach der Schlacht zogen sie sich über die Oder zurück, und der König konnte seine Verbindung mit Breslau herstellen. Wie sehr aber würde man sich täuschen, wenn man ihm nun die Gefühle eines Siegers, der seiner Sache und ihres Triumphes gewiß ist, zuschreiben wollte. Alle seine Briefe sind voll davon, daß er durch die gewonnenen Bataillen doch in keine bessere Lage gelange. Er hatte auf eine Abkunft zwischen Frankreich und England gerechnet; er wurde inne, daß daran nicht zu denken war. Die Verhältnisse Frankreichs waren mit den österreichischen und russischen so eng verflochten, daß ein Friede, der England mit Frankreich, Preußen mit Österreich ausgesöhnt hätte, noch zu den Unmöglichkeiten gehörte. Mit vieler Bestimmtheit hat er eine Bewegung der Türken gegen Österreich erwartet, die wirklich einmal von einer Allianz mit England und Preußen redeten; allein das Vordringen Laudons in Schlesien belehrte ihn, daß man in Österreich von den Bewegungen der Türken nichts mehr fürchte. Und wenn die Dänen einmal die Absicht gezeigt hatten, sich mit England und Preußen zu verbinden, so daß mit ihrer Hilfe die Schweden aus Pommern, die Russen aus Preußen hätten verjagt werden können, so schwand demnächst auch diese Hoffnung, denn unmöglich konnte sich Dänemark von Frankreich und von Rußland zugleich losreißen. Friedrich sagt, es bleibe ihm nichts übrig, als den Feind anzugreifen, der sich zuerst zeige, ihn zu schlagen und dann nach dem Orte zu eilen, wo die nächste Gefahr drohe. Eigene Pläne zu entwerfen und auszuführen war für ihn untunlich; seine Bewegungen hingen allezeit von den Umständen ab. Indem er sich gegen Schlesien wendete, fühlte er, wie sehr dadurch seine Position in Sachsen unsicher und seine eigenen alten Gebiete gefährdet wurden. »Ich könnte es nimmermehr verantworten, alle meine Länder den Gewaltsamkeiten der Feinde zu überlassen. Ohne Schlacht werden wir uns in uns selbst aufzehren.« Den Prinzen Heinrich, der einige Unentschlossenheit blicken ließ, beschwört er, feste Entschlüsse zu nehmen und nicht zu schwanken; ein schlechter Entschluß sei besser als gar keiner. Bei aller seiner Tätigkeit und seinem Eifer hatte Prinz Heinrich doch in einem seiner Briefe einstießen lassen, daß er sich zu schwach fühle, um seiner Obliegenheit unter diesen Umständen vollkommen zu genügen. Der König macht ihn in seiner Antwort393
aufmerksam, daß es leicht sei, dem Staate in glücklichen Tagen zu dienen; ein guter Bürger sei man erst, wenn man dem Gemeinwesen seine Dienste auch in Zeiten des Unglücks weihe. »Wir kämpfen für die Ehre und für unser Vaterland, ungeschreckt durch die Überlegenheit unserer Feinde. Meine Heiterkeit und mein guter Humor sind mit den geliebten und verehrten Personen begraben, an die sich mein Herz angeschlossen hatte. Ich habe eine große Maschine zu regieren, und zwar ohne Gehilfen; ich zittere, wenn ich daran denke. Kein Wunder, wenn der Kummer und die Unruhe, die ich seit zwei Jahren erfahre, meine Leibeskonstitution untergraben.« Er litt damals an Krampfanfällen. »Mein Wahlspruch ist siegen oder sterben; in andern Fällen lassen sich Mittelwege denken, nicht in meiner Lage.«
»Sie legen Wert auf das Leben«, schreibt er an d'Argens,394
»als Sybarit; ich sehe den Tod als Stoiker an. Ich werde mich nie dahin bringen lassen, einen entehrenden Frieden zu unterzeichnen. Unter den Ruinen meines Vaterlandes werde ich begraben werden, oder wenn das Schicksal mich so hart verfolgt, werde ich wissen meinem Unglück, wenn ich es nicht mehr aushalten kann, ein Ziel zu setzen.« Es ist, wie wir wissen, nicht das erstemal, daß er diesen Gedanken äußert.395
Wenn er ihn nicht ausgeführt hat, so rührt dies daher, daß die Ereignisse doch nicht eine Wendung nahmen, aus der schlechterdings kein andrer Ausweg gewesen wäre. Nur wenn der Staat vollkommen verloren war, konnte er daran denken, seinem persönlichen Dasein ein Ende zu machen. Wir zweifeln nicht: er hätte es getan.
Es bildet einen eigentümlichen Kontrast gegen diese verzweiflungsvolle Stimmung des Königs, daß indessen die Kaiserin-Königin trotz des Unfalls von Liegnitz mit wachsendem Mut auf eine entscheidende Unternehmung gegen ihn drang. In ihr konzentrierte sich, wir berührten es schon, die Direktion der militärischen Geschäfte; der Hofkriegsrat versammelte sich unter ihrem Vorsitz. Daun hat zuweilen die Gutachten seiner Generale, ohne ein eignes hinzuzufügen, nach Wien geschickt, um sich eine Entscheidung auszubitten; die Antworten der Kaiserin waren zuletzt maßgebend für die Intentionen, die man im Felde verfolgte. Vor allem hätte sie nochmals eine Unternehmung gegen Glogau gewünscht, bei welcher die Verbindung mit den Russen erst eigentlich vollzogen worden wäre. Auch waren diese nicht abgeneigt dazu mitzuwirken. Allein der Generalfeldzeugmeister Laudon, sonst so unternehmend, erklärte sich dagegen, weil die Herbeischaffung des erforderlichen Belagerungsgeschützes unüberwindliche Schwierigkeiten haben würde. Eine wirkliche Vereinigung der beiden Armeen in Schlesien hätten die Österreicher selbst nicht einmal gern gesehen, denn die Russen, sagten sie, seien durch ihren geringen Sold auf Plünderung gleichfalls angewiesen, und ihre Verpflegung würde große Ungelegenheiten herbeiführen. Ein andrer Gedanke der Kaiserin war auf die nochmalige Eroberung von Schweidnitz gerichtet, dessen Besitz sie allein vor weitern Einbrüchen des Königs sichern könne. Sie forderte diese Unternehmung selbst für den Fall, daß es darüber zu einer Schlacht komme, für deren Ausfall sie selbst die volle Verantwortung übernehme. Daun antwortete hierauf, daß es unmöglich sei, die Belagerung zu vollführen und sich zugleich gegen die Angriffe des Königs zu sichern.
Friedrich hatte indessen, mit der Armee des Prinzen Heinrich vereinigt, ein festes Lager bezogen. Maria Theresia meinte, ihre Truppen seien stark genug, um ihn daselbst anzugreifen, denn unerträglich sei es doch, daß der Feldzug wieder ohne wesentliche Erfolge enden solle. Und soviel man abnehmen kann, war Daun eines Tages wirklich zu einem solchen Angriff entschlossen, als der König sein festes Lager mit einem noch festeren vertauschte, in welchem er unangreifbar wurde. Da sich in Schlesien nichts erreichen ließ, so gab Laudon den Rat, den Kriegsschauplatz nach Sachsen zu verlegen. Lascy faßte den Anschlag, und er selbst stellte sich dabei an die Spitze, in Verbindung mit den Russen in die Kurmark einzubrechen. Auf Besitznahme war es auch jetzt nicht abgesehen, sondern mehr auf Brandschatzungen, die dann vornehmlich den Russen zugute kamen. Diese Bewegung sowohl als die bedenkliche Lage der Dinge in Sachsen bewogen den König, Schlesien zu verlassen, um seinen Feinden anderweit in Person zu begegnen. Für die Mark war es nicht nötig, sie wurde von den Eingedrungenen ohnehin geräumt. Von der größten Bedeutung aber war es, daß das österreichische Heer dem König auf seinem Wege nach Sachsen folgte, ganz im Sinne der Kaiserin, welche ihrem Feldmarschall zur Pflicht machte, besonders Leipzig und Torgau zu behaupten und, wenn es nötig sei, dafür eine Schlacht zu wagen.
So geschah es. Daun hatte ein festes Lager bezogen auf den Syptitzer Höhen bei Torgau und sie mit zahlreichem Geschütz besetzt. Unverzüglich griff der König ihn an, 3. November. Es war hierbei, daß Ziethen seinen Ruhm erwarb. Ziethen repräsentierte noch den Sinn und Charakter der Zeiten Friedrich Wilhelms I. Seinen Namen verdiente er sich als Führer der Husaren, der den Kroaten Nadasdys sich mit Geschicklichkeit entgegensetzte.396
Das Glück, das seine Unternehmungen begleitete, so daß jedermann unter ihm, dem Vater Ziethen, dienen wollte, bahnte ihm den Weg zu den höchsten militärischen Stellen. Jetzt war ihm die Hälfte des Heeres anvertraut, welches Daun bekämpfen sollte. Man weiß nicht, ob der König zu rasch angriff, oder ob Ziethen länger aufgehalten wurde, als man erwarten konnte. Endlich erschien er, dann war der Sieg der Preußen entschieden. Angriff und Widerstand waren einander wert. Niemals hatte man eine ähnliche Kanonade gehört; es war, sagt Friedrich, als wenn zwei Gewitter von entgegengesetzten Winden getrieben aufeinanderstießen.397
Die Österreicher nahmen ihren Rückzug nach Dresden. Der König hatte sie nochmals überwunden, aber eine durchgreifende Änderung der Situation hatte er damit nicht hervorgebracht. »Ich muß«, sagt er, »die Russen aus der Neumark, Laudon