Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke
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So trat er in das Jahr 1761.
Der siebenjährige Seekrieg zwischen England und Frankreich, Englische Geschichte 8, 102-106 (Werke Bd. 21).
45. Friedrich der Große und die deutsche Literatur
Abhandlungen und Versuche. I. Sammlung, Werke Bd. 24 S. 23-28.
Wenn jemals ein Ereignis auf einer großen Persönlichkeit beruht hat, so ist es das Ereignis des Siebenjährigen Krieges. Die Kriege unserer Zeit pflegen durch wenige entscheidende Schläge zu Ende gebracht zu werden; frühere dauerten länger, doch stritt man mehr über Forderungen und Ansprüche als über die Summe der Existenz, über das Sein oder Nichtsein der Staaten selbst. Der Siebenjährige Krieg unterscheidet sich dadurch, daß bei so langer Dauer doch jeden Augenblick die Existenz Preußens auf dem Spiele stand. Bei dem Zustande der Dinge, der allgemeinen Feindseligkeit bedurfte es nur eines einzigen unglücklichen Tages, um diese Wirkung hervorzubringen. Vollkommen fühlte dies Friedrich selbst. Nach der Niederlage von Kolin rief er aus: »Es ist unser Pultawa!« Und wenn sich ihm dies Wort glücklicherweise nicht erfüllt hat, so ist doch wahr, daß er sich seitdem von Moment zu Moment vom Untergange bedroht sah. Ich will nicht berühren, welche Hilfsquellen ihm in einer so verzweifelten Lage sein militärisches Genie, die Tapferkeit seiner Truppen, die Treue seiner Untertanen oder zufällige Umstände dargeboten haben. Die Hauptsache ist, daß er sich moralisch aufrecht erhielt.
Nur zu leichten Geistesübungen, zu flüchtiger Poesie, zu akademischen Arbeiten hatte ihn die französische Philosophie angeleitet; eher zum Genuß des Lebens, so lange es dauert, schien sie ihn einzuladen, als zu so gewaltigen Anstrengungen. Aber wir dürfen sagen, daß der wahre Genius selbst von der irrigen Lehre unverletzt bleibt. Er ist sich seine eigene Regel, er ruht auf seiner eigenen Wahrheit; es gehört nur dazu, daß sie ihm zum Bewußtsein komme: dafür sorgt dann das Leben, die Anstrengung einer großen Unternehmung; das Unglück macht ihn reif.
Ein großer Feldherr war Friedrich II. längst; die Unfälle, die er erlitt, machten ihn zum Helden. Der Widerstand, den er leistete, war nicht allein militärisch, es war zugleich ein innerer, moralischer, geistiger. Der König führte diesen Krieg fortwährend in Überlegung der letzten Gründe der Dinge, in großartiger Anschauung der Vergänglichkeit alles irdischen Wesens.
Ich will seine Gedichte nicht als ausgezeichnete Werke poetischer Kraft rühmen; in solcher Hinsicht mögen sie manche Mängel haben. Aber diejenigen wenigstens, welche während der Wechselfälle dieses Krieges entstanden sind, haben einen großartigen Schwung einfacher Gedanken; sie enthüllen uns die Bewegungen einer männlichen Seele in Bedrängnis, Kampf und Gefahr. Er sieht sich »mitten im tobenden Meer, der Blitz streift durch das Ungewitter; der Donner«, sagt er, »entladet sich über mein Haupt; von Klippen bin ich umgeben, die Herzen der Steuernden sind erstarrt, die Quelle des Glücks ist ausgetrocknet, die Palme verschwunden, der Lorbeer verwelkt«. Zuweilen mag er wohl in den Predigten des Bourdaloue399
einen Anhalt, eine Stärkung gesucht haben; häufiger wendete er sich zur Philosophie der Alten. Jedoch das dritte Buch des Lucrez, das er so oft studiert hat, sagte ihm nur, daß das Übel notwendig und kein Heilmittel dagegen möglich sei. Er war ein Mann, dem selbst aus dieser harten, verzweiflungsvollen Lehre erhabene Gedanken hervorgingen. Dem Tode, den er sich oft gewünscht auf dem Schlachtfelde zu finden, sah er auch auf eine andre Weise ohne Scheu geradezu ins Auge. Wie er seine Feinde gern mit den Triumvirn verglich, so rief er die Manen des Cato und Brutus auf und war entschlossen ihrem Beispiel zu folgen. Doch war er nicht ganz in dem Falle dieser Römer. Sie waren in dem Gang eines allgemeinen Weltgeschickes verflochten – Rom war die Welt – ohne andern Rückhalt als die Bedeutung ihrer Person und der Idee für die sie sich schlugen; er aber hatte ein eignes Vaterland zu vertreten und zu verfechten. Wenn irgendein besonderer Gedanke auf ihn gewirkt hat, so würden wir sagen, daß es dieser Gedanke an sein Land, sein Vaterland gewesen ist. Wer schildert ihn uns nach der Kunersdorfer Schlacht, wie er den Umfang seines Unglücks und die Hoffnungslosigkeit seines Zustandes ermaß, wie er bei dem Haß und dem Glücke seiner Feinde alles für verloren hielt, wie er dann für sein Heer und sein Land nur einen einzigen Ausweg sah und den Entschluß faßte diesen zu ergreifen, sich aufzuopfern:400
bis sich ihm dann doch allmählich die Möglichkeit eines erneuten Widerstands zeigte und er sich dieser fast hoffnungslosen Pflicht aufs neue widmete. Unmöglich konnte er sein Land, wie er es so lange sehen mußte, zurücklassen »von den Feinden überschwemmt, seiner Ehre beraubt, ohne Hilfsquellen, in lauter Gefahr«. »Dir,« sagt er, »will ich die Reste meines unheilvollen Lebens widmen; ich will mich nicht in fruchtlosen Sorgen verzehren, ich werfe mich wieder in das Feld der Gefahr.« »Setzen wir uns«, ruft er dann seinen Truppen zu, »dem Geschick entgegen; mutig auf wider so viele miteinander verschworene, vor Stolz und Vermessenheit trunkene Feinde!«401
So hielt er aus. Endlich erlebte er doch den Tag des Friedens. »Die Standhaftigkeit«, sagt er am Schluß seiner Geschichte dieses Krieges, »ist es allein, was in den großen Geschäften aus Gefahren zu erretten vermag«. Ungeschmälert behauptete er sein Land, und von dem Moment, da er sich wieder als Herrn desselben wußte, ließ er seine vornehmste, seine einzige Sorge sein, die Wunden zu heilen, die der Krieg ihm geschlagen.
Wenn es als der Begriff einer großen Macht aufgestellt werden könnte, daß sie sich wider alle andern, selbst zusammengenommen, zu halten vermögen müsse, so hatte Friedrich Preußen zu diesem Range erhoben. Seit den Zeiten der sächsischen Kaiser und Heinrichs des Löwen zum ersten Male sah man im nördlichen Deutschland eine selbständige, keines Bundes bedürftige, auf sich selber angewiesene Macht. Es erfolgte, daß Frankreich von dem an in deutschen Angelegenheiten wenig oder nichts vermochte. Mit einer Opposition, wie es sie im österreichischen Erbfolgekriege erweckt oder begünstigt hatte, war es völlig vorbei. Hatte Preußen sich emanzipiert, so hatten Bayern und Sachsen sich wieder an Österreich angeschlossen. Auch war so bald an keine Erneuerung dieses Verhältnisses zu denken; Frankreich selbst hatte sie dadurch verhindert, daß es in jene enge Allianz mit Österreich getreten war, die den Siebenjährigen Krieg herbeiführte. Ich will nicht untersuchen, inwiefern dieses Bündnis alle die andern Folgen gehabt hat, welche die Franzosen wenigstens nicht ohne Übertreibung, ihm zuschreiben; aber gewiß ist, daß Frankreich seine bisherige Stellung, kraft deren es die deutsche Opposition begünstigt hatte, hierdurch selber aufgab, daß »von diesem Augenblicke an«, wie dort gesagt worden ist, »der König von Preußen zum Nachteil der französischen Suprematie auf dem Kontinent der Beschützer der deutschen Freiheiten wurde«402 Und man glaube nicht, daß Österreich den Franzosen ihren alten Einfluß gestattet habe. Noch als Mitregent und von Anfang an ließ Joseph II. erklären, er halte die Rechte der kaiserlichen Krone für heilig, er bitte sich aus, daß man ihm nicht daran rühre, wenn man mit ihm gut stehen wolle. Es war schon damals zu erkennen, daß der wahre Schutz der politischen Unabhängigkeit Deutschlands in einer freien und festbegründeten Vereinigung der beiden Mächte gegen das Ausland bestehe.403
Diese große Veränderung bekam jedoch erst dadurch ihre volle Bedeutung, daß zugleich in der Literatur eine Befreiung der Nation von den französischen Vorbildern und ihrer falschen Nachahmung erfolgte. Ich will nicht sagen, daß sich unsre Nation nicht auch bisher geistiger Unabhängigkeit in einem gewissen Grade erfreut hätte. Am meisten lag dieselbe wohl in der Ausbildung des theologischen Systems, welches alle Geister ergriffen hatte und in der Hauptsache ursprünglich deutsch war. Allein einmal war es doch nur ein Teil der Nation, dem es angehörte, sodann in welch seltsame scholastische Form fand sich hier die reine, ideale, innerliche