Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.sitzt. Ein eifersüchtiger Tölpel überfiel ihn mit mehreren Gesellen vor ihrem Hause. Mein lydischer Hitzkopf wehrte sich . . .«
»Und schlug den Angreifer zu Boden?«
»So, daß er nie wieder aufstehen wird.«
»Der Junge muß eine gute Faust schlagen.«
»Er hatte ein Schwert bei sich.«
»Desto besser für ihn.«
»Nein, desto schlimmer, denn sein Opfer ist ein Aegypter.«
»Das ist eine dumme Geschichte, die ein schlechtes Ende nehmen wird. Ein Fremder, der einen Aegypter erschlägt, ist des Todes so sicher wie Jemand, der schon den Strick um den Hals hat519. Uebrigens wird er einige Tage Frist haben. Die Priester sind alle mit Gebeten für den sterbenden König beschäftigt und haben keine Zeit zum Gerichthalten.«
»Ich gäbe viel darum, wenn man dem armen Schelme helfen könnte. Ich kenne seinen Vater.«
»Ja, und im Grunde hat er nichts wie seine Schuldigkeit gethan. Man kann sich nicht prügeln lassen!«
»Weißt Du, in welchem Gefängnisse der arme Jüngling sitzt?«
»Freilich! Das große Gefangenenhaus wird umgebaut, darum ist er einstweilen in den Speicher gesperrt worden, der die Hauptwache der ägyptischen Leibgarde von dem Haine des Neithtempels trennt Ich kam eben erst nach Hause und sah den armen Schelm dorthin abführen.«
»Er ist kühn und stark. Könnte er wohl, wenn man ihm forthülfe, entwischen?«
»Nimmermehr! Der Raum, in den man ihn gesteckt hat, ist zwei Stock hoch, und sein einziges Fenster schaut in den Hain der Göttin, der, wie Du weißt, von zehn Fuß hohen Mauern umgeben und gleich einer Schatzkammer bewacht wird. An allen Thoren stehen doppelte Posten. Nur da, wo das Wasser die Mauer bespült, braucht man zur Ueberschwemmungszeit natürlich keine Schildwachen aufzustellen. Die Thieranbeter sind vorsichtig wie Bachstelzen.«
»Das ist schade, dann müssen wir den armen Wicht seinem Schicksale überlassen. Leb’ wohl, Dämones, und folge bald meiner Einladung!«
Der Samier verließ die Wachtstube und gesellte sich sofort zu den Freunden, die mit Ungeduld auf ihn warteten und seinem Berichte mit großer Spannung lauschten.
Als der Hellene mit der Beschreibung des Gefängnisses fertig war, rief Darius: »Ich glaube, daß wir Zopyrus mit einiger Kühnheit retten können. Er ist behend wie eine Katze und stark wie ein Bär. Ich habe einen Plan!«
»Theile ihn mit,« sagte Syloson, »und laßt euch sagen, daß auch ich nicht ohne Hoffnung bin.«
»Wir kaufen Strickleitern, einen Bindfaden und einen guten Bogen, schaffen das Alles in den Nachen und fahren, wenn es dunkelt, zu der unbewachten Stelle der Tempelmauer. Ihr helft mir, sie zu überklettern. Ich nehme die eingekauften Gegenstände mit mir, stoße den Adlerschrei aus, durch welchen mich Zopyrus sogleich erkennen wird, da wir uns von Kindheit an mit diesem Schrei auf Jagden und Fahrten zu rufen pflegen, schieße den Pfeil mit dem Bindfaden in sein Fenster, – ich fehle niemals, – rufe dem Freunde zu, das Ende der Schnur zu beschweren und herabzulassen, befestige die Strickleiter an die Schnur, Zopyrus zieht das Rettungswerkzeug hinauf, schlingt es um den eisernen Nagel, der in jedem Falle mit der Leiter hinaufwandern muß, denn man kann nicht wissen, ob sich ein Gegenstand, um sie zu befestigen, in seiner Zelle befindet, steigt herunter, eilt mit mir zu der Stelle der Mauer, wo ihr mit dem Boote wartet, überklettert sie mit Hülfe einer zweiten Strickleiter, die dort hängen muß, springt in den Kahn und ist gerettet!«
»Herrlich, herrlich!« rief Bartja.
»Aber sehr gefährlich!« fügte Syloson hinzu. »Wenn wir im heiligen Hain ergriffen werden, so sind wir schwerer Strafe gewiß. Die Priester feiern dort bei Nacht eigentümlich geheimnisvolle Feste, von denen jeder Unberufene streng ausgeschlossen ist. Uebrigens soll der See im Haine520 der Schauplatz derselben sein, und dieser ist ziemlich weit von dem Gefängnisse des Zopyrus entfernt.«
»Um so besser!« rief Darius; »aber jetzt zur Hauptsache! Wir müssen eiligst zu Theopompus schicken und ihn ersuchen, eine schnelle Triere für uns zu miethen und zum Absegeln fertig machen zu lassen. Die Nachricht von den Kriegsrüstungen des Kambyses ist bereits hier eingetroffen; man hält uns für Spione und wird Zopyrus und seine Befreier mit allen Kräften verfolgen; darum wäre es frevelhaft, wenn wir uns unnützen Gefahren aussetzen wollten. Du, Bartja, sollst die Botschaft ausrichten und Dich heute noch mit Sappho vermählen, denn wir müssen morgen, geschehe was da wolle, von Naukratis aufbrechen. Keine Widerrede, mein Freund, mein Bruder! Du kennst ja unsern Plan und weißt, daß Du bei dem Rettungswerke, das doch nur Einer ausführen kann, den müßigen Zuschauer spielen würdest. Ich habe den Anschlag erdacht und lasse mir’s nicht nehmen, ihn auszuführen. Morgen sehen wir uns wieder, denn Auramazda beschirmt die Freundschaft der Reinen!«
Lange weigerte sich Bartja, die Gefährten im Stich zu lassen; gab aber endlich den vereinten Bitten und Vorstellungen nach und ging dem Wasser zu, um dort ein Boot zur Reise nach Naukratis zu miethen, während Syloson und Darius die Werkzeuge zur Flucht des Zopyrus erstanden.
Um auf den Platz zu gelangen, wo die zu vermiethenden Nachen lagen, mußte der Königssohn an dem Tempel der Neith vorüber. Die Aufgabe war nicht leicht, denn das Volk umwimmelte in dichten Haufen die Eingangspforte der Götterwohnung. Als sich Batja bis zu den Obelisken vorgedrängt hatte, die bei der mit der geflügelten Sonnenscheibe und flatternden Fahnen geschmückten Pforte des Tempels standen, wurde er von priesterlichen Dienern zurückgehalten, welche die von Sphinxen begrenzte Prozessionsstraße521 freihielten. Die riesigen Thorflügel des Pylon öffneten sich, und Bartja, der gegen seinen Willen in die vorderste Reihe der Zuschauer gedrängt werden war, sah nun einen glänzenden Zug dem Tempel entströmen. Der unerwartete Anblick vieler ihm aus früherer Zeit bekannter Gesichter nahm seine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß er den Verlust seines breitkrämpigen Hutes, der ihm im Gedränge abgerissen worden war, kaum beachtete. Aus den Reden zweier hinter ihm stehender ionischer Söldner entnahm er, daß die Familie des Amasis, um für den sterbenden König zu beten und zu opfern, im Tempel gewesen sei.
Reichgeschmückte Priester mit Pantherfellen oder in langen weißen Gewändern gingen dem Zuge voran. Diesen folgten Hofbeamte, welche goldene Stäbe führten, an deren Spitzen Pfauenfedern und silberne Lotusblumen befestigt waren. Dann erschienen Pastophoren522, die eine goldene Kuh, das Thier der Isis, auf den Schultern trugen. Nachdem sich die Menge vor diesem Heiligthume verneigt hatte, nahte die Königin in priesterlichem Gewande, einen reichen Kopfputz mit der geflügelten Sonnenscheibe und den Uräusschlangen auf dem Haupte, ein heiliges goldenes Sistrum523, dessen Klang die Dämonen des Unheils vertreiben sollte, in der Linken und Lotusblumen in der Rechten tragend. Der hohen Frau folgten die Gattin, Tochter und Schwester des Oberpriesters in ähnlichem, aber weniger kostbarem Schmucke524. Dann erschien der Thronerbe in reichem Festornate. Hinter ihm wurde von vier jungen, weißgekleideten Priestern Tachot, die Tochter des Amasis und der Ladice, die falsche Schwester der Nitetis, in einer offenen Sänfte getragen. Die Wangen der kranken Jungfrau waren von der Andacht des Gebetes und der Hitze des Sommertages leicht geröthet. Ihre blauen Augen schwammen in Thränen und waren auf das Sistrum, welches ihre schwachen, abgezehrten Hände kaum zu halten vermochten, gerichtet.
Ein Murmeln der Theilnahme zog durch die Menge, welche mit Liebe an dem sterbenden Könige hing und seiner hinwelkenden, jungen Tochter jenes Mitleid freigebig schenkte, welches einem siechen Jugendleben, besonders wenn dasselbe zu Größe und Hoheit geboren zu sein scheint, so gern gezollt wird. Manches Auge wurde feucht, als sich die schöne Kranke zeigte, und Tachot schien die Theilnahme des Volkes